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"Da seid ihr ja endlich!" Rosalie nahm die Stufen der weißen Treppe doppelt. Ihre silberne Rüstung glänzte im Licht. "Gut gemacht, Maxis. Zurück an die Arbeit."
Der Soldat verbeugte sich vor ihr und verschwand zur Seite der Treppen in einem langen, einfachen Gebäude. "Hattet ihr eine sichere Fahrt? Der Überfall tut mir leid. Ich konnte nicht ahnen, dass das solche Auswirkungen hat. Aber das wird schon. Gab es Probleme?"

"Dein Gesandter war etwas zu neugierig, was Anavi angeht, ansonsten gab es nichts." Lorsan nahm die Hand seiner aufgeregten Schwester. Wie schon bei Anna schien diese Geste allein zu genügen, damit Rosalie ruhiger wurde.
"Schon wieder? Ich kümmere mich um ihn." Sie sah zum Palast. "Später. Tut mir leid. Vor einigen Wochen ist seine Frau weggelaufen, nachdem sie ihn mit einer Hure erwischt hat." Rosa schüttelte den Kopf. "Egal. Das ist jetzt wichtiger. Kommt."

Sie wandte sich zurück nach oben und führte die beiden durch breite, ebenso weiße Tore, wie die Treppe.
Interessiert sah Anavi nach oben.
Aus der Nähe schien der Palast viel zu groß, für nur eine Familie und die Angestellten. Konnte es so viele Gäste geben, dass er jemals voll besetzt war? Gab es überhaupt genug Menschen auf der Welt? Wer hatte eigentlich die Idee ihn in dieser Höhe zu bauen?
"Geht es um das Pulver?" Lorsan ließ sich nicht von dem gewaltigen Bauwerk ablenken.
"Leider. Mein Bericht enthielt Informationen über die Eigenschaften von dem, das du mitgebracht hast. Das hat dem Handelsminister nicht gefallen und er hat selbst Fragen an euch. Und der König muss das natürlich auch wissen. Darum die neuen Sachen. Königliche Audienz, festliche Kleidung. Könnt ihr in den Schuhen denn laufen?"
"Langsam..." Anavi wollte gerne die Dekoration in den Gängen betrachten, musste sich jedoch mehr auf ihre Schritte konzentrieren. Wenigstens die großen, mit Schlangen bemalten Vasen blieben ihr im Gedächtnis.
Leider hatte das Sprechen sie abgelenkt. Sie trat falsch auf, die Sohle  blieb am Teppich hängen, der die hallenden Schritte dämpfte und wurde von Lorsan gefangen.
"Langsamer bitte.", bat nun auch er und fasste sie unter den Knien und am Rücken. "Ich setz dich rechtzeitig ab."

"Tut mir leid." Rosalie seufzte und setzte sich wieder in Bewegung. "Nicht mehr weit. Zur Etikette müsst ihr nicht viel beachten. Sprecht nur, wenn ihr angesprochen werdet. Kein Blickkontakt mit höhergestellten. Am besten ihr seht auf ihre Nase. Lorsan, du musst leider zurück in die Rolle eines Prinzen. Damit stehst du immerhin über dem Minister. Ach, und ihr seid verlobt. Das schützt Anavi vor den übergriffigen Prinzen. Ist das in Ordnung?"
"Ist gut." Anavi klammerte sich an den Heiler, dessen Blick sich für einen Moment verfinstert hat. Sie konnte ihn verstehen. Gerade war er aus einer Verantwortung geflüchtet, nun musste er wieder den Prinzen spielen. Aber... vielleicht konnten sie so mehr Leute vor Respen schützen.

"Um diese Ecke." Rosalie hielt an und wartete, bis Anavi wieder auf eigenen Füßen stand. Sie lächelte. "Es wird alles gut. Ihr müsst nur ein paar Fragen beantworten. Der Minister heißt Juls, der König Calis. Der aktuelle Thronfolger Calis der Vierte und der achte Prinz Mirs sind auch anwesend. Der Rest..." Die Generalin biss sich auf die Lippe. "Das ist kompliziert. Ignoriert den Rest einfach. Und nicht vergessen: ihr seid verlobt."
"Das wird schon." Lorsan nahm Anavis Hand wieder, worauf Rosalie schnell ihr Kleid gerade zupfte. "Was kann schlimmstenfalls passieren?"
"Krieg mit Mida... Oder eine Einschränkung des Handels..." Sie sprach nur leise und schüttelte direkt darauf den Kopf. "Nein, das würde keiner riskieren. Tut mir leid, dass ich euch nicht besser vorbereiten konnte."
"Das wird schon, Rosa. Ehrlich antworten und berichten, das ist kein Problem." Anavi nickte, sah jedoch verunsichert neben ihr in den Gang. Er unterschied sich deutlich von denen, durch die sie bis jetzt gelaufen waren. Schlangen aus goldener Farbe zogen sich uber die Wände. Ihre Köpfe endeten an einer großen Tür, scheinbar aus reinem Gold. Dahinter lag wohl der Thronsaal.

"Du hast wohl recht. Hier lang." Rosalie ging wieder vor, führte sie in den Gang, jedoch nicht zur vergoldeten Tür. Sie bog schon davor ab. Eine kleinere Schlange markierte eine andere goldene Tür, an die die Generalin erst höflich klopfte. Von innen wurde sie geöffnet, da es außen kein Schloss gab, und ihnen Einlass gewährt.
Unsicher drückte Anavi sich ein Stück näher an den Heiler, trat vorsichtig auf, um sich vor dem Herrscher des fremden Landes nicht zu blamieren.

"Tut mir leid...", flüsterte Rosalie ein letztes Mal und gab den Blick auf den Raum frei. Feine Teppiche schmückten den Boden, Vorhänge aus Seide die offenen Wände, hinter denen sich ein ordentlich gepflegter Garten erstreckte. Zwischen einigen der Vorhängen, wie ein eigener Raum eingerichtet, warteten die vier Männer auf niedrigen Liegesofas. Dazwischen gingen oder saßen junge Frauen. Einige hielten Gläser und Karaffen mit Getränken in den Händen, andere Tabletts mit Früchten, die sie den Männern reichten. Die meisten verteilten sich auf dem Boden, einige mit Büchern, andere mit Stoffen, in die sie goldene Schlangen stickten. Oder sie liefen in kleinen Gruppen durch den Garten und unterhielten sich.
"Personal?" Anavi hauchte ihre Frage nur, nur für Lorsans Ohren bestimmt. Der antwortete nur, in dem er mit den Schultern zuckte und sie noch ein Stück zu sich zog. Auch wenn ihr Kleid blickdicht war, fühlte sie sich doch unwohl zwischen den Frauen, in den fast durchsichtigen Stoffen.

"Majestät, König Calis Ming. Das sind  mein Bruder und seine Verlobte. Prinz Lorsan Mida und Anavi." Rosalie verbeugte sich vor einem der Männer. Graue Strähnen durchzogen das lange pechschwarze Haar, zurückgehalten von einem schmalen, goldenen Reif.
Lorsan folgte dem Beispiel seiner Schwester und zog Anavi unauffällig mit.
"Ah, der verschollene Prinz." Der König deutete auf ein freies Sofa. "Nehmt Platz und erzählt." Der Heiler folgte der Aufforderung und auch Anavi ließ sich auf dem weichen Platz nieder. Rosalie setzte sich neben einen jüngeren Mann, der dem König sichtbar ähnelte.
"So nennt man mich hier also? Verschollener Prinz?" Lorsan nahm lächelnd ein Glas Wein in Empfang, das ihm von einer der Frauen gereicht wurde. Ihr Blick lag zu lange auf dem Heiler, für Anavis Empfinden.
"Nun, bis vor wenigen Wochen wusste niemand von Euch.", mischte sich der junge Mann zur Rechten des Königs ein. "Warum haben wir nie etwas von Euch erfahren, Prinz? Warum gab es keine Aufzeichnung in den Adelsregistern?"

"Es war der Wunsch der Königin, meine Existenz zu verschweigen. Später auch meiner, als ich anfing Nachteule zu unterstützen. Es ist einfacher sich in der Stadt zu bewegen, wenn nicht jeder weiß, dass man ein Prinz ist. Und sicherer. Man vergiftet einen seltener." Unangetastet gab er das Glas zurück. "Bitte das nächste Mal ohne Gift. Danke."

Rosalie verschluckte sich fast an ihrem Wein, als der Blick des Rechten auf das Glas fiel, dann den Heiler.
"Calis... darüber werden wir noch sprechen.", brummte der König und nickte. "Verzeiht den Scherz meines Sohnes. Jeder musste das schon über sich ergehen lassen."
Rosalie nickte zustimmend, ebenso der neben ihr und der letzte der Männer, dessen Haar bereits vollständig ergraut war.
"Lasst uns doch einfach zu den Informationen kommen, die Generalin Rosalie über Euch zugekommen sind. Generalin, beginnt bitte."
"Natürlich, Majestät." Rosalie stand auf und verbeugte sich. "Bei einem gemeinsamen Besuch im Laden des Magiers Gem stießen mein Bruder und seine Verlobte über die medizinischen Pulver, die bei uns weit verbreitet sind. Diese werden aus zerriebenen Edelsteinen gefertigt und mit Magie versetzt. Lady Anavi erinnerte sich dabei, dass auch Prinz Respen Mida ein solches Pulver besaß. Das Pulver des Prinzen lähmte jedoch den Körper bei der geringer Dosis, in Alkohol wird es abgeschwächt, in Wasser gelöst.
Ein zweites dieser Pulver konnte Prinz Lorsan Mida dem Kronprinzen entwenden. Es verstärkt bei Kontakt Schmerz um ein vielfaches. Doch diese Pulver sind unrein. Ihre Magie, die wir von dem Experten Gem überprüfen ließen, war nicht ausgereift und schien lediglich bei der Anwendung bei Frauen Wirkung zu zeigen. Ein solches unsauber gearbeitetes Pulver wird bei der Produktion Mings sofort vernichtet, darf also nicht existieren."

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt