95 -

0 0 0
                                    

Dumpfe Schritte und Stimmen weckten sie diesmal, die Gedanken hingen jedoch noch einen Moment bei Syrga und den leuchtenden Personen. Es waren zweifellos Götter, nur sie umgab Licht statt Schatten. So musste Lorsan auch mehrmals an ihr rütteln, um mit ihr sprechen zu können. Noch immer im Halbschlaf und gefangen in der Erinnerung schob Lorsan die in den Waschraum und spritzte ihr kaltes Wasser ins Gesicht. Nicht viel, nur genug um aufzuwachen.
"Bleib hier und lass die Tür zu." Lorsan sah sie besorgt an, dann lauschte er zu den Stimmen.
"Ich verstecke mich sicher nicht." Wieder mit klaren Gedanken zog sie zwei Wurfmesser aus ihren Verstecken und hielt sie verdeckt in den Händen. "Vielleicht ist das die Prinzessin."
Sie lauschte in den Raum. Die Tür war nicht dick, Worte und Stimme waren klar zu verstehen: "...Befehl missachtet! Ich hatte doch gesagt, dass sie nicht vertrauenswürdig sind! Warum behandelst du sie so gut! Wieso tust du nicht, was ich dir sage!"
"Du verstehst das gleich. Sieh sie dir an, dann kannst du dein Urteil immer noch fällen."

"Sie will uns doch treffen?"
Lorsan nickte, hielt sich weiter vor Anavi in der Tür zum Waschraum. "Ich weiß nicht, worum es geht. Sollte etwas passieren, dann verschwinde so schnell es geht."
"Ich hab gesagt, ich lasse dich nicht zurück." Sie drückte den Heiler von sich. "Warum versuchst du immer, mich los zu werden?"
"Nicht loswerden. Beschützen." Erstes Licht fiel durch das Fenster und Anavi konnte die Farbe in Lorsans Augen sehen. Sie schien zu schimmern, weiter in hellblau zu gehen. Waren sie nicht... grün? Wie Fliederblätter?
Er blinzelte und das Schimmern verschwand. "Nur beschützen.", wiederholte er leise und drehte sich zur Zimmertür. Im gleichen Moment wurde sie krachend aus den Angeln gerissen, schlug gegen die Wand und fiel auf den Boden. Splitter verteilten sich im Raum und durch den Schreck suchte Anavi nach Lorsans Hand.

Das schneeweiße Haar der Frau leuchtete im Licht. Wütende, tiefgrüne Augen sahen in den Raum, leuchteten auf als sie mit der Faust gegen die Wand schlug und ein Loch darin hinterließ. Sie war einen Kopf kleiner als Rosalie, Lorik hinter sich war ein Vergleich zu dem hochgewachsenen Soldaten leicht möglich.
Am wenigsten durch ihre Erfahrungen der letzten Tage überraschten sie die feinen Züge des schmalen Gesichts und der kleinen Nase. Von der Haarfarbe abgesehen glich sie dem Heiler wie ein Zwilling.

"So. Und ihr zwei seid Loriks Gäste und potentielle Verbrecher." Sie stapfte in den Raum, die Fäuste in die Seiten gestemmt. Ihr Blick war mörderisch.
"Reisende.", korrigierte Lorsan ruhig und verbeugte sich. "Prinzessin Sylvana Jona, nehme ich an?"
"Aha. Verbrecher mit Informationen." Sie verschränkte die Arme, sah abschätzig zu Anavi, an ihr herauf und hinunter, dann zu Lorsan. Die Prinzessin bedachte ihn mit dem selben Blick. Sie versuchte wohl Anzeichen zu finden, dass er log, sie doch nur verkleidete Banditen waren und zu der Frau in die Käfige auf dem Hof mussten.
Doch ihre Prüfung kam zu einem jähen Ende, als sie in die Augen des Heilers sah. Ihre Augen wurden größer und trat einen Schritt zurück.

"Lor... san...?" Ihre Stimme war leise, nur noch ein Flüstern, als es die schneidende Stille brach. Glitzerten Tränen in ihren Augen?
"Ja. Mein Name." Lorsan sah zu Lorik. Das Grinsen des Soldaten halbierte fast sein Gesicht. "Aber das habt Ihr sicher bereits von ihm erfahren, Majestät."
"Lorsan..." Sie schien ihn nicht zu hören, streckte nur ihre Hand langsam aus und griff an den Reisemantel. "Lorsan... du bist... zurück." Die wütende Kriegerin verschwand, als sie ihn in eine Umarmung zog, das Gesicht an seiner Schulter vergrub und laut schluchzte.

Unschlüssig hielt der Heiler still. Diese Reaktion überforderte ihn sichtlich. Hilfesuchend ließ er den Blick schweifen, doch der Soldat machte keine Anstalten seine Prinzessin zur Ordnung zu rufen. Auch Anavi war von dem Verhalten der Prinzessin überrascht. Zu sehr, um etwas zu unternehmen.

So standen sie eine Weile in dem kargen Zimmer, ließen der Prinzessin Zeit, ihre Gefühle zu verarbeiten, bevor sie sich wieder löste, lächelte und die Hände auf Lorsans Schultern legte. "Ich bin so froh, dass du wieder hier bist. Es ist so lange her und wir hatten die Hoffnung fast aufgegeben. Wo warst du nur so lange? Wie bist du hergekommen?" Sie drehte sich zu Lorik und wieder schwankte ihre Stimmung. "Warum hast du nichts gesagt! Ich wäre vorher schon gekommen! Was fällt dir ein, mich im Unklaren über den Verbleib meines verschollenen Bruders zu lassen?"
"Ich wollte dich nicht enttäuschen, falls ich mich irre." Lorik senkte den Blick, kratzte sich wieder verlegen im Nacken. "Wir hatten schon genug Hochstapler, die den Thron wollten. Darum wollte ich, dass du sie ohne Verdacht triffst. Nur... ich hatte nicht erwartet, dass du so reagierst."

Die Prinzessin seufzte und wedelte mit der Hand. "Schön, dann eben so." Sie wandte sich wieder an Lorsan. "Es ist so schön, dass du zurück bist und sich dieses Versprechen in Rauch auflöst. Damit ist das Problem 'schlechter König' vom Tisch und wir können neu anfangen. Aber erzähl erst mal: wo warst du? Wie bist du aufgewachsen? Warum bist du jetzt plötzlich hier? Oh, aber nicht hier. Hier ist nicht genug Platz. Komm in mein Zimmer. Ich hab noch einen Wein, den du lieben wirst."
"Anavi kommt mit." Es war eine knappe Unterbrechung, die der Prinzessin das Lächeln raubte. Fassungslos fand ihr Blick Anavi.
"Warum?" Die Frage klang so kalt und abwertend, dass es sie schüttelte. Aber sie konnte die Prinzessin verstehen. Sie hatte ihren Bruder gerade wiedergefunden und war nicht gewillt ihn zu teilen. Immerhin hatten sie noch viele Jahre nachzuholen.
"Weil sie mich herbegleitet hat und ich nicht will, dass sie anders behandelt wird, Majestät." Lorsan stellte sich etwas gerader hin, was ihm nur eine Haarbreite mehr Größe verlieh. "Außerdem irrt Ihr Euch wahrscheinlich. Ich bin nur ein einfacher Heiler auf der Suche nach einem ruhigen Ort."
"Heiler?" Die Prinzessin sah wieder zu ihm. "Und Prinz..." Da grinste sie. "Wenn's sein muss kommt sie mit. Die Götter sind zumindest wieder auf unserer Seite. Lorik! Schick einen Boten zur Stadt und sag den Männern, dass wir unsere Mission früher beenden. In zwei Tagen will ich zurück. Solange können wir uns in aller Ruhe unterhalten."
Anavi fürchtete sich noch vor der Prinzessin, trotzdem folgte sie ihr an Lorsans Seite aus dem Raum. In Erinnerung an die letzte Nacht, dankte sie, dass die Götter sie gehört hatten. Nun sollte bitte nichts mehr schiefgehen, bis sie die Stadt erreicht haben.

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt