Es waren vier Wochen, bis Lorsan seine Reise antrat. Nachdem Anavi herausgefunden hatte, dass sie reiten konnte, war nur noch das kräftezehrende Training mit Faria geblieben. Sie war eine strengen Lehrerin, die ihr nicht nur den Umgang mit versteckten Dolchen beibrachte, sondern auch noch das Bogenschießen. Sie wurde in keinem eine Meisterin, denn die Waffen fühlten sich seltsam falsch in ihren Händen an, aber es genügte um zu jagen oder sich Angreifer vom Leib zu halten.
Nun war es früher Morgen, die Sonne war noch nicht über der Stadt erschienen und eine kleine Gruppe hat sich vor dem Nebeneingang zu Lorsans Flügel versammelt. Anmelie und Sina, um speziell Anavi zu verabschieden, Maia und die Königin für Lorsan. Letztere wollte dafür sorgen, dass frühestens in einem Monat Lorsans Fehlen auffiel.
"Pass auf dich auf, ja?" Anmelie zog sie in die gefühlt hundertste Umarmung. "Ich würde ja sagen, schick Briefe, aber ich kann leider nicht lesen."
"Und ich nicht schreiben." Sie lachte, wissend, dass es ein Abschied für immer war. "Aber ich bin ja nicht aus der Welt."
"Mag sein, aber du ziehst in die Stadt und ich wohne hier. Das ist schon eine Entfernung."
Anavi schluckte. Sie hatte versprochen, dass Anmelie nichts von den wahren Plänen erfahren würde. Zu groß die Gefahr, dass der Prinz es dadurch herausfand. "Wir sehen uns bestimmt mal wieder.", log sie und lächelte.
Ihr Blick schweifte in die Ferne, wo hinter flimmernder Luft verborgen Faria wartete. Sie würde Maia und sie zum Treffpunkt begleiten. Einen Ort, den nur Lorsan und sie kannten. Für alle anderen, mögliche Verfolger eingeschlossen, schien es als gingen die beiden Frauen in die Stadt und ließen den Palast hinter sich. Hinter einer weiteren Täuschung verborgen, würden die drei sich mit dem Heiler treffen, der das zweite Pferd, die Stute des Menschenhändlers Bak, als Packpferd tarnte."Mach du es auch gut, Sina." Anavi löste sich von der Blonden und umarmte ihrerseits die Küchenhilfe. Diese nickte nur. Auch sie wusste nichts von den wahren Plänen, aber vielleicht ahnte sie etwas. Sie lösten sich und Sina machte ein paar schnelle Zeichen.
"Sie wünscht dir Glück." Martha lachte kurz und drückte Anavi eine Tasche in die Hand. "Das sollte für die erste Mahlzeit reichen. Mit Erlaubnis der Königin natürlich."
"Vielen Dank. Das wird Maia freuen." Auch die Köchin erhielt noch eine Umarmung.
Dann zupfte Maia an ihrem Ärmel. "Wir sollten los, Kindchen. Es wird früh." Anavi nickte und trat von der Gruppe zurück. Noch kurz verabschiedeten sich Maia und die Köchin, dann setzten sie sich in Bewegung.
Neben ihnen reihte sich Lorsan ein, den schwarzen Hengst am Zügel, die braune Stute dahinter. "Es ist schwer.", flüsterte er und sah sich noch einmal kurz um. Die Gruppe löste sich auf und nur die Königin blieb ein wenig länger vor der Tür stehen. "Das hatte ich nicht erwartet."
"Sie ist deine Mutter, sie hat dich aufgezogen. Natürlich ist das schwer." Bisher hatte sie keine weiteren Träume gehabt. Ob sie wohl noch Familie hatte? Ob man sich sorgte oder sie schon vergessen hatte?"Ich bin aber auch froh, dass ihr mich überredet habt." Er lächelte. "Ob ich allein weit kommen würde? Oder würde mich das Heimweh zurückzerren?"
Sie hielten bei Faria. Ein letzter Blick zurück bestätigte, dass nun auch die Königin verschwunden war.
"Dann sehen wir uns später wieder."
Anavi nickte. "Verschwinde aber nicht wortlos. Du hast es versprochen."
"Keine Sorge, ich halte mein Versprechen.""Keine Zeit verlieren." Aus der flimmernden Luft kam ein Arm und zog Anavi zurück. "Ihr wollt doch so unauffällig wie möglich raus, oder?"
"Sicher. Entschuldige die Verzögerung." Der Heiler stieg in den Sattel. "Zwei Stunden, dann treffen wir uns."
Kurz winkte Anavi ihn noch nach, während er das Pferd über eine zweiten, versteckten Pfad führte, der ihn nicht ins Blickfeld von Beobachtern geraten ließ.
"Komm jetzt. Hier lang." Faria führte sie über den Weg in die Stadt, vorbei am Palast, der selbst in der Dunkelheit des allzu frühen Morgens golden schimmerte. Hinter einigen Fenstern war bereits Licht und Bewegung zu erkennen. Schatten, die an Vorhängen vorbei liefen. In der Küche waren sicher schon die ersten wach und bei der Arbeit. Auch Sina und Martha würden direkt dorthin zurückgehen."Es ist schwer.", wiederholte Anavi und sah traurig zurück. Anmelie würde sie nicht mehr wiedersehen. Der Palast, die letzten Monate ein Zuhause, schien ihr mit spiegelnden Sternen nachzuwinken.
"Ich weiß. Aber du wirst auch etwas von der Welt sehen." Maia nahm ihre Hand. "Ich bin sehr froh, dass du diese Möglichkeit hast."
"Was ist eigentlich mit Anmelie? Wenn der Prinz herausfindet, dass wir Freundinnen sind, dann kann er doch auch sie zu einem Ziel machen."
"Darüber mach dir keine Sorgen." Faria lachte. "Ich habe Spione in ihrer Nähe platziert. Sollte der Prinz etwas ahnen, wird sie sofort aus dem Palast geholt. Oder wenn sie ahnt, dass du nicht in der Stadt bist."
Es beruhigte sie etwas, aber die Trauer vertrieb es nicht ganz. Dabei hatte Lorsan sie noch gewarnt, dass sie alles zurücklassen musste.Doch sie hatte sich dafür entschieden und diese Entscheidung würde sie nicht bereuen - hoffte sie.
DU LIEST GERADE
Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...