2. Fledermaus-Leben

8K 334 22
                                    

Ich bin zwar blind, dafür ist mein Gehör aber umso besser. Und dank dieser kleinen Mikrochips, die fest in meinen Ohren sitzen und Schallwellen an meine Umgebung senden, kann ich mich mittlerweile immer besser frei bewegen. Ich lebe seit vier Jahren wie eine Fledermaus.

Trotzdem ist da immer noch dieses gewisse Risiko.

Einmal bin ich in ein zwei Meter tiefes Loch einer Baustelle gefallen, welches gerade erst freigelegt worden war. Zum Glück bin ich mit ein paar geprellten Rippen davon gekommen. Damals war ich noch sehr unsicher mit dieser modernen Technik.

„Hey Leke, kommst du heute?", Zacks Stimme klang ein wenig zu optimistisch. Ich glaube er hoffte darauf seine neuste Flamme Lacey wieder zu sehen.

Die meisten Cheerleader und Footballer trafen sich immer Mittwoch abends in einem alten verlassenen Bahnhofsgebäude etwas außerhalb der Stadt.

Er wirkte vielleicht etwas klischeehaft, aber natürlich unternahmen die gut aussehenden Girls nur etwas mit den sportlichen und berühmten Footballern. Natürlich war ich kein Footballer, aber all meine besten Freunde, weshalb ich einfach dazugehörte.

„Klar komme ich!", ich grinste Zack freudig an, „aber sorg' dafür, dass die Neue auch kommt!"

"Ich probiere mein bestes", Zack lachte schallend auf und klopfte mir kumpelhaft auf die Schulter. "Es wird Zeit, dass wir uns mal wieder wie richitge Männer betrinken."

"Und wie betrinken sich richtige Männner deiner Meinung nach, hmm?", stichelte Jasper mit einem schlemischen Unterton.

Zack dachte einen Augenblick nach. "Na wie richtige Männer halt." 

Wir alle brachen in schallendes Gelächter aus. So ein Spruch konnte auch nur von Zack kommen. Ich strich über meine Uhr.

"Drei Uhr zwölf", antwortete mir eine autonome, weibliche Stimme. Verdammt. 

"Ich muss los. Jas, kommst du?"

"Mmmhh", bestätigte mir mein bester Freund.

Jetzt musste ich nämlich erst einmal ungesehen zum Gebäude von Dr. Forks kommen, die die Selbsthilfegruppe betreute. Ich sah keinen Grund dorthin zu gehen, aber mein Vater hatte mich vor einem Monat kurzerhand dort angemeldet, nachdem ich mich heftig mit ihm gestritten hatte.

Das war seine Art, mit der Sache umzugehen. Selbst nach vier Jahren hatte er es nicht geschafft, sich aufzurappeln und mit mir tat er genau das, was er mit allen Problemen machte: wegschieben.

Und nun war ich gezwungen einmal in der Woche diese Psychopathen aufzusuchen und mich eine ganze Stunde mit ihnen herum zu schlagen.

Jasper fuhr mich. 

Sein nagelneuer Minivan war zwar nicht das eleganteste Auto auf den Straßen von Pennsylvania, doch er meinte, der rote Lack würde alle Mädchenherzen zum schmelzen bringen. Meiner Meinung nach hatte das bisher nicht wirklich funktioniert.

„Halt, sind wir schon da?", schrie ich gegen die laute, melodische Stimme von Flo Rida an.

Ich hörte Jasper laut seufzen, als er die Musik mit einer schnellen Bewegung leiser drehte. „Was?"

„Wie weit noch, habe ich gefragt", ich blickte ihn durch meine schwarze Sonnenbrille an.

Er warf mir einen flüchtigen Blick zu und meinte sachlich: „Einen Block, um genau zu sein."

„Dann halt bitte an!"

Mein bester Freund war der einzige, der von der ganzen Geschichte wusste.

Ich hatte darauf vertraut, dass mein Vater nach ein paar Tagen Einsicht zeigen würde und die Entscheidung wieder zurück nahm, doch von wegen. Ich konnte ihn mit allen Tricks bearbeiten, die mein Repertoire hergab, aber es nützte alles nichts.

Jasper trat hart auf die Bremse und der Wagen kam mit quietschenden Reifen zum stehen.

„Danke, dude!", ich klopfte ihm auf die Schulter und stieg vorsichtig aus dem Wagen aus.

„Kein Problem. Aber hey, abholen kann ich dich leider nicht, ich bin mit Zack verabredet. Outfit aussuchen und so...", am Ende nuschelte er absichtlich ein wenig. Ihm schien es fast peinlich zu sein.

„Outfit? Der ist echt verschossen, was?", lachte ich freudig auf. Das Verhalten meiner Jungs zu beobachten, wenn sie verknallt waren, hatte einen gewissen Spaßfaktor, weswegen man es nicht verpassen sollte.

„Aber so was von. Na ja, mach's gut. Bis heute Abend!", Jasper machte von innen die Tür zu und fuhr wieder los. Augenblicklich ging die dröhnende Musik an. Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie das ganze Auto bei diesem harten Bass über die Straße hüpfte.

Leider war Dr. Forks die Mutter von Brook, mit der ich im Kindergarten und in der Middle school sehr gut befreundet war. Die Sitzungen fanden immer im Untergeschos ihrer Familienhauses statt.

Seit dem Unfall hatten sich Brooks und meine Wege jedoch getrennt. Sie wusste, dass ich blind war, doch ich wusste, dass ich ihr vertrauen konnte. Sie hatte es nie jemanden erzählt.

Sofort, als ich aus dem Wagen gestiegen war, hatte ich die Microchips erneut angemacht und lief mich nun orientierend durch die Straße. Nach einigen Metern registrierte ich die mir sehr vertraute leere und bog links ab.

Durch den Gang entlang des Hauses gelangte ich zur Hintertür -  wie alle Teenager, die die Selbsthilfegruppe besuchten.

Ich lächelte die gläserne Haustür still an, meine Lippen zu einer gezwungenen Grimasse hochgezogen, und klingelte.


~ Bild oben: Brook Forks ~


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt