10. Und Blödmann sitzt neben mir

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Shys Sicht:

Der Junge war komisch.

Ich glaube ein besseres Wort gab es nicht, um ihn zu beschreiben. Einfach komisch. Seltsam. Geheimnisvoll. Anziehend; leider.

Direkt an meinem ersten Tag hier war er mir aufgefallen.

„Wer ist das?", ich hatte mit dem Kinn auf den muskulösen Jungen mit der schwarzen Sonnenbrille gedeutet.

Um ihn herum standen ein paar Jungen in schwarzer Kleidung. Sie wirkten irgendwie ... abgehoben.

„Der? Das ist unser berüchtigter Leke!", Brooks Stimme hatte seltsam geklungen. Als stecke noch mehr dahinter.

„Sieht aus wie ein ... Blödmann", ich hatte den braunhaarigen weiter beobachtet. Er stach einfach aus der Masse heraus.

„Blödmann?", meine neue beste Freundin hatte laut aufgelacht.

„Argh. Macho?! Was ist denn mit dem?"

„Das musst du schon selber herausfinden...", hatte Brook mit verschwörerischer Stimme geantwortet und mich frech angegrinst.

Und tatsächlich.

Mein erstes Zusammentreffen mit ihm glich einer Beerdigung. Nicht nur, dass er immer noch komplett schwarze Sachen trug, nein. Anscheinend hatte er beschlossen, dass er beim Supertalent antreten wollte.

Wer schafft die meisten Kunststücke auf einer dünnen Mauer glatte zehn Meter über dem Boden, während er betrunken ist?

Und dann dieses seltsame Reaktion. Er hatte ängstlich gewirkt, als könnte ich ihm etwas antun. ICH!

Und bedankt hatte er sich auch nicht. Stattdessen war er blitzschnell verschwunden und hatte mich alleine auf dem kalten Dach stehen lassen.

Dann dieses Sache mit den Drogen.

Als er erneut in der Schule bei mir aufgetaucht war, sah es gar nicht mehr so aus, als wäre das ganze nur ein Spaß gewesen.

Als wenn ich seinen Eltern unter die Nase reiben würde, dass er auf dem Dach eine kläglich gescheiterte Ausführung einer Ballettfigur zum Besten gegeben hatte!

Aber genug davon.

Mittlerweile war es mein vierter Tag an der Northern High School und ich saß auf der Ersatzbank der Fußballer neben einem kleinen, sommersprossigen Jungen mit Streberbrille, der alle drei Sekunden mit der Nase schniefte.

Als er erfahren hatte, dass heute Leichtathletik auf dem Plan stand und er somit in Gefahr kam, sich bewegen zu müssen, war er zu Umkleide geeilt und wenige Minuten später mit einer sorgfältig gefalteten Entschuldigung zurück gekommen.

Daraufhin nahm sein rotes Gesicht einen zufriedenen Ausdruck an.

Ich wollte nicht hinsehen. Wirklich!

Zwang mich, die verschwitzen Jungen anzustarren, in ihren viel zu engen Oberteilen, alle, nur nicht IHN.

Doch als Mr. Mackay nun erneut seinen Befehl zum Fertig machen gab, huschten meine Augen sofort suchend über den Platz. Da war er.

Leke stand ein wenig verloren an der Innenbahn. Er blickte sich suchend um, aber sein Blick ging ins Leere.

„Fertig?", rief der Sportlehrer und runzelte die Stirn, als er bemerkte, dass Leke einen Meter von der weißen Linie entfernt stand.

Langsam beugte er sich vor und verlagerte das Gewicht auf rechts.

„LOS!", brüllte er, während er die kleine Klappe zuschnappen ließ.

Mit angespannter Miene verfolgte ich die sechs Jungen, die augenblicklich los sprinteten. Aber irgendetwas stimmte da nicht.

Leke lief ... schief. Zick zack.

Und er war langsam. Ziemlich langsam. Es schien, als würde er sich anstrengen, doch irgendwie auch nicht.

„Was macht er da?", Streber neben mir rückte mit verstörter Miene die Brille zurecht, während er Leke keinen Moment aus den Augen ließ.

Der braunhaarige Junge, der anscheinend keine Gelegenheit ausließ, mich zu ärgern, rannte einfach weiter. Rannte und rannte. Über das Ziel hinaus, als wäre er in einem Tunnel.

Verwirrt runzelte ich die Stirn.

Auf einmal blieb er stehen und schaute sich verwirrt um. Ein Junge mit strahlend blauen Augen kam auf ihn zugelaufen und steckte mit ihm den Kopf zusammen.

Komisch. Aber das sage ich ja schon die ganze Zeit.

Ein Mädchen, ich glaube eine Latina, kam mit wehenden Haaren auf ihn zugelaufen und redete mit ihm.

„Warum machen die bloß so einen Aufstand?", murmelte ich immer noch sichtlich verwirrt.

„Das ist Leke Flynn. NATÜRLICH machen die einen Aufstand ...", bemerkte Streber mit verächtlichen Ton, während er jenem einen bösen Blick zuwarf.

Als ich erneut aufblickte, kam der komische Junge genau auf uns zu. Unsicher blickte ich mich um. Wollte er etwa hier hin? Auf die Ersatzbank?

„Ich sag Mr. Mackay Bescheid, dass es dir nicht gut geht, okay?", hörte ich seinen Freund mit den braunen, süßen Locken sagen.

Ich meine mich daran zu erinnern, dass er Jasper heißt.

„Danke", der braunhaarige hebt ihm letzten Moment den Fuß, um ihn über die weiße Außenbahnumrandung zu heben.

Danach drückt Jasper ihn mit einer bestimmenden Bewegung auf den Platz neben mich.

Täusche ich mich, oder hat er mir gerade zugezwinkert?

Wütend schaue ich dem Lockenkopf hinterher, der bereits auf dem Weg zum Sportlehrer ist.

Beleidigt starre ich weiterhin zu den anderen Schülern, die wieder und wieder die 50 Meter sprinten.

Ich hüte mich davor, erneut eine ziemlich unangenehme Konversation zu beginnen und schweige vor mir hin.

Und Blödmann sitzt neben mir.


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt