66. ~ Mittelalterniveau

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Shys Sicht:

Ich spürte, wie Leke neben mir zusammenzuckte. Nur langsam realisierte ich die Bedeutung von Jacks Worten.

Er will mich, dachte ich mir angespannt, während ich immer nervöser wurde. Ohne es zu wollen war ich auf einmal in einen Konflikt zwischen zwei Jungen geraten, die beide Interesse an mir hatten.

„Bist du eigentlich total bescheuert?", entfuhr es mir entgeistert. Nur mit großer Mühe schaffte ich es, meine entgleisten Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bekommen. Jacks Mundwinkel zuckten. Das war eindeutig nicht die Antwort, die er sich erwartet hatte.

„Ich fordere nur mein Recht ein!", entgegnete er mir mit blitzenden Augen und stemmte die Hände in die Hüften. Er stand auf einer leichten Anhöhe, weswegen wir gezwungen waren, zu ihm hochzublicken.

„Dein Recht? Was für ein Recht bitte?" Ich war sprachlos. Wie konnte Jack bloß? Wo dachte er bitte, dass wir uns befanden? Im Mittelalter?

„Er hat mich KO geschlagen, krankenhausreif! Und dafür fordere ich nun meine Entschädigung, wenn ihr nicht wollt, dass ich meine Anwälte auf euch hetzte!" Ein kalter Schauer lief über meinen Rücken. Jeder wusste, dass Jacks Vater reich war und dass es ihm ein Leichtes sein würde, gegen Leke und seine Freunde vorzugehen.

„Du meinst deinen Daddy und seine Freunde, ohne den du ein Nichts wärst!", Jasper trat dicht neben mich. Man sah ihm deutlich seinen Ärger an. Der Brustkorb hob und senkte sich in beachtlichen Tempo, während er die Hände zu Fäusten geballt hatte.

Doch Jack ignorierte ihn. „Leke, ich appelliere an deine Vernunft. Sie endlich ein, dass du verloren hast und mach es nicht noch schlimmer, als es ohnehin schon ist!"

Ich atmete scharf ein. „Der Einzige, der hier etwas schlimmer macht, bist du. Dein Verstand muss ziemlich viel Schaden erlitten haben, als Leke dir gezeigt hat, wer hier der Stärkere ist!"

Das saß. Jacks Gesicht wurde wenn möglich noch roter, während er mich mit tödlichen Blicken strafte. „Leke! Wenn sie nicht aufhört, dann werdet ihr es bereuen. Oh ja, ich werde dafür sorgen, dass ich alles bereuen werdet, was ihr in euren beschissenen kleinen Leben je getan habt! Und deswegen biete ich dir einen Deal an. Deine Freundin für mein Wort, den Vorfall zu vergessen."

Er sah Leke eindringlich an. Er schien ernsthaft zu glauben, dass der Junge neben mir, der mir erst vor wenigen Stunden seine Liebe gestanden hatte, der einzig Vernünftige wäre.

Nicht nur ich wartete gespannt auf seine Antwort, auch die anderen starrten ihn hoffnungsvoll an. Ich spürte, wie Leke mit sich rang. Auf einmal spürte ich seine Hand hinter meinem Rücken, die mich näher zu ihm heranschob. Sofort gab ich mich seiner Berührung hin und presste meinen Körper an ihn.

„Ich weiß ja nicht, wie du dir das hier vorgestellt hast, aber du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, dass ich mit dir einen Deal eingehen würde?", er spuckte vor Jack auf den Boden. Zumindest war ich mir sicher, dass er das vorhatte.

Doch stattdessen traf er dessen weiße Nikes. „Einen Deal, in dem ich DIR meine Freundin gebe? In welchem Zeitalter lebst du bitte? Anscheinend ist die Entwicklung zum Homo Sapiens spurlos an dir vorbeigegangen. Und ihr?"

Leke trat einen weiteren Schritt nach vorne und deutete wage auf die Jungs, die um uns herum standen. Die meisten von ihnen hatten Markenklamotten an, waren groß und trainiert und starrten mit verschränkten Armen auf uns herunter. Als Leke sie auf einmal ansprach blickten sie irritiert auf ihn herunter.

„Für wen haltet ihr euch eigentlich? Ihr könnt Jacks Vorschlag doch nicht ernsthaft richtig finden? Wollt ihr uns verprügeln? Und die Mädchen? Wollt ihr das oder müsst ihr es? Denn da gibt es einen eindeutigen Unterschied.

Aber ihr müsst euch jetzt entscheiden, ob ich entgültig in diese Sache verwickelt werden wollt ober ob ihr jetzt lieber nach Hause geht, bevor es zu spät ist. Das wird euch keiner nachtragen können, denn mittlerweile handelt es sich nicht mehr um das bloße Einschüchtern von vier Jungs."

„Sei endlich still! Hört nicht auf ihn, er will euch bloß verunsichern!", schaltete Jack sich mit aufgebrachter Stimme dazwischen und wendete sich seinen Leuten mit drohender Miene zu.

„Will ich das?", nahm Leke ungerührt den Faden wieder auf. Auf seinem Gesicht lag auf einmal ein Ausdruck jeglicher Ruhe, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Doch ich wusste, dass er innerlich auch den letzten Muskel angespannt hatte.

„Oder will ich ihnen einfach nur klar machen, dass das hier größer ist als sie selber? Das hier bald Anwälte eingeschaltet werden und jeder Betroffene befragt und bestraft? Das dies hier einen Eintrag in ihr Strafregister geben wird und ihnen die Chance auf ein gutes College verwehren wird? Jetzt sagt mir, will ich euch bloß verunsichern?"

„Genial", entfuhr es Jasper neben mir ganz leise, sodass nur ich es hören konnte. Und er hatte Recht. Lekes Worte schienen eine magische Wirkung auf Jacks Leute zu haben und einer nach dem anderen drehten sie sich kopfschüttelnd um und murmelten eine unverständliche Entschuldigung.

„Ihr verdammten Feiglinge!", brüllte Jack ihnen wütend hinterher und drehte sich langsam wieder zu uns um. Auf einmal standen neben ihm nur noch vier Jungen. Seine engsten Freunde waren geblieben.

Auf Jacks Lippen erschien ein Lächeln: „Ich wusste, dass ich auf euch zählen kann", er nickte seinen Freunden zu und meinte dann: „Vier gegen fünf" Er grinste und rieb sich die Hände.

„Wir haben es schon einmal mit euch aufgenommen und werden es wieder tun!", entgegnete Leke siegessicher und griff erneut nach meiner Hand. Ein wenig sorgenvoll betrachtete ich die Jungs mir gegenüber. Sie schienen alle ein wenig breiter gebaut als meine Freunde.

„Ach ja?", meine Jack, während er sich die Ärmel seiner Lederjacke hochkrempelte, „Beim letzten Mal wurden wie überrascht, es war mitten in der Nacht und wir waren angetrunken. Das sieht jetzt anders aus. Bereit, Jungs?"

„Tut mir leid, Kumpel, aber da kann ich nicht mitmachen", ein Junge mit braunen Locken schüttelte den Kopf und in mir stieg Hoffnung auf.

„Shade, das kannst du nicht machen!", es war das erste Mal, dass ich in Jacks Gesicht echte Emotionen sah. Sie wechselten zwischen Bestürzung und unendlicher Wut über solch einen Verrat.

„Ich habe Lily versprochen, mich aus so etwas herauszuhalten, und du weißt ja, wie sie ist", man konnte Shade ansehen, dass ihm die Situation unangenehm war, doch aus irgendeinem Grund war er mir sofort sympathisch. Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass die Situation sich dank ihm auf einmal gewendet hatte.

„Tja Jack", ich trat ebenfalls vor und dieses Mal war ich diejenige, die lächelte. „Ich würde sagen, es steht sechs zu vier, oder nicht?"


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt