Lekes Sicht:
„Er ist auf einmal liegen geblieben. Aber das tun Menschen doch normalerweise nicht, oder? Liegen bleiben, hinfallen, schreien. Oder, Leke?", riss mich Jaspers sorgenvolle Stimme aus meinen Gedanken. Ich zwang mich unsere Lage zu überdenken.
Normalerweise, geisterte Jaspers Wort durch meinen Kopf. Was war hieran bitte normal?
„Nein, Jas. Aber wir müssen ihm jetzt helfen, hast du verstanden?"
Ich wusste, dass Jasper mich verzweifelt ansah. Aber er musste endlich zu einem klaren Verstand kommen, denn alleine würde ich Zack hier niemals heraus schaffen können.
„Du nimmst seine Beine, ich die Schultern, okay?", ich versuchte soviel Ernst und Befehl wie möglich in meine Stimme zu legen, damit er mich auf jeden Fall wahr nahm und kapierte, was zu tun war.
„Okay?", hackte ich erneut nach, griff jedoch bereits unter Zacks Achseln. Dieser stöhnte laut auf, als wir ihn anhoben.
Ich war kein Arzt, doch es schien, als hätte er irgendetwas mit seinem rechten Bein angestellt. Zumindest schien er wieder bei Bewusstsein. War die Frage wie lange bei dieser Tortour.
„Komm schon", murmelte ich eher mir selbst als Jasper zu und sammelte meine letzten Kraftreserven. Doch wir kamen nur langsam vorwärts – zu langsam.
„Leke", brüllte Jasper auf einmal, sodass ich erschrocken stehen blieb. Doch ich konnte nicht sehen, was meinen besten Freund so sehr beunruhigte.
„Schnell, wir müssen weiter!", schrie ich ihn an und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme ungeduldig und verärgert klang. Endlich spürte ich, wie Zacks Körper wieder vorwärts geschoben wurde und versuchte mich erneut an der Wand zu orientieren.
Auf einmal stieß mir eine mächtige Rauchwolke direkt ins Gesicht und meine Lungen zogen sich bei dem Versuch zusammen, den letzten Rest Sauerstoff, der in der Luft war, einzuatmen. Röchelnd war ich gezwungen einen Arm vor den Mund zu nehmen und somit Zack mit nur noch einer Hand festzuhalten.
Meine Augen tränten, da ich sie aus Reflex weit aufgerissen hatte. Denn ich konnte durch das Feuer um uns herum so viel sehen wie schon lange nicht mehr. Die hellen Flecken tanzten vor meinen Augen umher, als würden sie mir dadurch etwas mitteilen wollen. Doch ich konnte aus ihnen nur eine Botschaft lesen: Rennt, sonst überlebt ihr das hier nicht.
Aber wir konnten nicht rennen, wir konnten noch nicht einmal schnell gehen, denn Zacks Gewicht zerrte an uns. Hustend kämpften wir uns unseren Weg vorwärts, während ich uns versuchte durch die Flammen zu lenken.
Auf einmal spürte ich keinen Boden mehr unter meinem linken Fuß, den ich vorsichtig nach hinten geschoben hatte. Ich schrie auf, während ich mich krampfhaft an Zacks Kleidung festklammerte. Schon sah ich mich im Geiste vollends über die Kante kippen, sah meinen Körper hilflos auf den dunklen Boden zufallen. Wie damals bei der Brücke – nur, dass mich dieses Mal kein nachgiebiges Wasser retten würde. Nein, ich würde auf dem harten Beton aufschlagen.
Meine Finger gruben sich in Zacks Achseln und zogen so ihn und Jasper gleichzeitig näher an den Abgrund. Doch Jasper schien bereits umgekippt zu sein, saß deshalb auf dem Boden und hatte genug Kraft, mich vor dem Fallen zu retten.
Heftig atmend fand ich mich halb auf dem Holzboden sitzend, halb mit dem Hintern in der Luft schwebend wieder. Ich hatte Zacks Schreien nur am Rande meiner Wahrnehmung mitbekommen, doch nun drang es immer deutlicher an mein Ohr. Lauter und lauter wurde sein Stöhnen.
Und es war es auch, welches mich wieder Wachrief. Immer noch vollkommen benommen, jedoch mit neuer Kraft stemmte ich mich hoch und zerrte Zack trotz seiner Schmerzen am Rande des Dachbodens entlang.
Doch wir würden es nicht schaffen, denn ich hatte nun vollends die Orientierung verloren. Wo die rettende Leiter war? Ich hatte keine Ahnung. Dazu kam, dass links und rechts neben uns bereits das Feuer war. Es brannte und brannte und die Wärme ließ uns immer tiefer laufen, bis wir schließlich krochen. Zack wurde über den Boden geschleift, und Jasper hinter ihm redete die ganze Zeit undeutliches Zeug.
Überhaupt, wie sollten wir Zack bloß die Leiter hinunter schaffen? Wir konnte ihn schlecht einfach hinunterwerfen und ich befürchtete, dass Jas und ich nicht die Kraft haben würden, ihn zu tragen.
„Scheiße", murmelte ich erneut und Tränen stiegen mir in die Augen. Doch sie waren nicht solche, die von dem reizenden Rauch verursacht wurden, sondern welche, die aus Angst meine Wangen benetzten. Die mir meine Lungen nur noch mehr zuschnürten und mich verzweifelt aufstöhnen ließen.
Todesangst.
„Es tut mir leid", meine Worte wurden von einem Hustenanfall zerstückelt.
„Es tut mir leid", wiederholte ich weinend und zog Zack noch näher an mich. Doch dieser antwortete nicht. Mir fiel auf, dass er bereits seit einigen Sekunden keinen Laut mehr von sich gegeben hatte, kein Röcheln, kein Stöhnen, kein Schreien. Er war bewusstlos. Aber das Knacken und Knistern, das Rauschen der Flammen hatte mich taub gemacht.
Ich konzentrierte mich auf Jasper, auf sein Gemurmel, welches einem Wahnsinnigen glich. Doch es war nicht Wahn, sondern Verzweiflung, die seine Zunge trieb. „Es brennt", bemerkte er fast neutral. „Es brennt, das Holz, das Stroh, ich ..."
„Jasper!", merkte ich augenblicklich auf und beugte mich schockiert über Zacks Körper zu ihm hinüber. Doch ich konnte natürlich nicht sehen, ob mein bester Freund brannte.
„Klopfen!", schrie ich, „du musst auf die Flammen klopfen!"
„Klopfen", wiederholte Jas und durch das Geschrei und die Flammen hörte ich seine Hand auf brennendes Holz klopfen. Vielleicht waren wir doch alle verrückt geworden.
„Nicht", ich griff nach ihm, versuchte seine Arme festzuhalten, die beständig weiterklopften. Er hatte seinen Körper nach hinten gedreht, dort, wo das Feuer war und wo es uns immer näher kam. Lange würden wir nicht mehr aushalten können.
Leider gab es nur eine einzige Seite, von der die Flammen nicht näher kamen: es war der Abgrund, welcher unsere einzige Rettung darstellte. Fieberhaft überlegte ich nach einer anderen Lösung, doch mir fiel keine ein. Meine Kraft war aufgebraucht, ich gab keine Anstalten, mich von diesem Fleck wegzubewegen.
Weit entfernt hörte ich andere Stimmen schreien. Ob Shy wohl auch unter ihnen war? Bestimmt brüllte sie mit hochrotem Kopf und war gerade unheimlich wütend auf mich, dass ich mein Versprechen nicht einhalten konnte.
„Leke", hörte ich auf einmal Jasper Stimme und horchte auf.
„Ja, Jas?"
„Ist das das Ende?" Es lag so viel Hoffnungslosigkeit in diesen Worten, dass er mir das Herz brach. Ich konnte einfach nicht ja sagen. Aber lügen konnte ich auch nicht.
„Ich weiß es nicht", murmelte ich und starrte zu dem einzigen Fleck in meiner Sicht, der noch dunkel war. Doch es schien, als würde die Kante, welche den Dachboden begrenzte, mich gleichzeitig anstrahlen wie ein heiliger Engel.
Manchmal musste man sich für das kleinere Übel entscheiden.
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The blind Badboy
Teen FictionJeder spielt als Kind verstecken in der Dunkelheit. Jeder schließt die Augen und stellt sich vor, was wäre wenn. Doch niemand tut es für immer. Leke schon. ~Ein braunhaariger Tollpatsch, blind und ziemlich durchgeknallt, steigt ein in das Rennen um...