79. Draußen

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Shys Sicht, zwei Tage später:

„Ah, endlich!", Jasper stöhnte erleichtert auf, als wir aus dem Krankenhaus schritten. Sofort schlug uns die frische Luft wie ein Rettungsseil entgegen, an dem wir uns liebend festklammerten.

Geblendet musste ich den Blick senken, die Sonne stand uns hoch am Himmel entgegen, doch hatte sie an Wärme verloren. Man merkte, dass der Herbst Einzug in Erie hielt, dass bewiesen nicht nur die bunt gefärbten Blätter der Bäume.

Ich beobachtete den Lockenkopf, wie er regelrecht aufzublühen schien mit jedem Schritt, den wir uns von der stickigen, erdrückenden Luft des Krankenhauses entfernten. Mit seinen ein bandagierten Händen wirkte er wie eine halb angezogene Mumie und das noch leuchtende weiß der Verbände zog die Blicke einiger Passanten auf sich.

„Länger hätte ich es da drinnen nicht ausgehalten", fuhr Jasper fort und seine leuchtenden Augen trafen meine. Er lächelte mich an, woraufhin ich unwillkürlich die Mundwinkel anheben musste.

Ich nickte zustimmend. „Einen Tag länger und ich wäre abgehauen."

„Und was machen wir nun mit unserer neu gewonnen Freiheit?", hakte Leke stirnrunzelnd nach. Er hatte seine neue Sonnenbrille auf. Die, die ich ihm noch am ersten Tag besorgt hatte, als ich mich unerlaubt aus dem Krankenzimmer entfernt hatte.

Innerlich durchfuhr mich bei seinem Anblick ein Stich. Es war so schön gewesen, seine Augen zu sehen. Zu wissen, wenn er versuchte, mich anzusehen, wenn er sich anstrengte. Zu wissen, was er dachte. Die Augen sind der direkte Weg zur Seele, hatte ich einmal gehört. Seitdem ich Leke gesehen hatte wusste ich, dass es stimmte.

„Wie wäre es mit Kino?", schlug Brook mit vorsichtiger Stimme vor. Ich wusste, dass ihr Blick ganz und gar Zack galt, der mit angestrengter Miene neben uns her humpelte. So weit war er noch nie mit den Krücken gelaufen und man sah ihm an, dass er die letzten Tage im Bett gelegen hatte.

Sein Gesicht und seine Hände waren ganz weiß und seine Zähne zusammengebissenen. Dennoch, er beschwerte sich nicht, sagte nicht einen Ton, sondern versuchte stattdessen unser Tempo zu halten und uns nicht zu behindern.

„Klingt gut", stimmte ich zu. Brook und ich wussten beide, dass dies die beste Lösung war, da Zack dann einfach nur sitzen musste.

„Und in welchen Film gehen wir?", Lekes Stimme klang komisch.

Verdammt. Erst jetzt viel mir auf, dass er den Film ja gar nicht sehen konnte. Aber ich wollte ihn vor den anderen auch nicht darauf ansprechen, schließlich hatte er nicht widersprochen. Und ich war mir sicher, dass er auch nicht anders behandelt werden wollte.

„Wie wäre es mit einem Horrorfilm?", meldete sich Pacey das erste Mal zu Wort. Wir drehten uns zu ihm um. Leke, Zack und Jasper mit erschrockener Miene und ich und Brook mit einem diebischen Grinsen im Gesicht.

„Ich finde das klingt gut!", ich lachte über die Gesichter der Jungs. „Oder habt ihr etwa Angst?"

Ich hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber das würden sie natürlich niemals zugeben.

„Angst? Wir? Ich bitte dich!", schoss es aus Jasper heraus, doch seine großen Augen verrieten ihn. Ich konnte einfach nicht aufhören zu lachen und Brook stimmte mit ein.

„Also ich habe keine Angst", Leke drückte die Brust durch und ich glaubte eine Herausforderung in seiner Mimik zu sehen.

„Dann ist ja gut", ich kicherte über den Haufen Weicheier, den wir als Freunde hatten. Jungs waren eben doch die größten Angsthasen auf diesem Planeten.

An der Kasse blickte uns die Verkäuferin prüfend an, doch es kam keine weitere Fragen, als wir sechs Karten für ES bestellten.

„Oh mein Gott", ich flüsterte, obwohl wir längst außer Hörweite waren, wohl aus Angst vor einem Rückruf der Frau, „sie hat nicht nach unserem Ausweis gefragt! Endlich, wir sehen aus wie sechzehn!" Ich ballte siegessicher die Fäuste und grinste die anderen an.

„Toll", bemerkte Brook mit trockenen Stimme. „Und das, wo ich bald achtzehn werde. Herzlichen Glückwunsch."

Auf einmal erklang ein raues Lachen. Es war Zack, den ich das erste Mal seit Tagen zu einem Lächeln hingerissen sah. Seine Augen jedoch erreichte das Strahlen nicht. Doch als Brook ihm beleidigt in die Seite boxte wurde das Grinsen breiter.

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee war", bemerkte Jasper neben mir, als das Licht ausging und man einen kleinen Jungen dabei beobachten konnte, wie er seinem Bötchen hinterher lief. Ich grinste in die Dunkelheit hinein.

„Soll ich Sydney anrufen, damit sie dir Gesellschaft leisten kann?", fragte ich mit lasziver Stimme. Leke neben mir hörte ich husten. Allen Anschein nach hatte er sich bei meinen Worten an seiner Cola verschluckt.

„Ich glaube sie ist nicht mehr so gut auf uns zu sprechen, nachdem wir ihr ihren Schuppen abgefackelt haben...", Jaspers versuchte seine Enttäuschung, seinen heimlichen Schmerz über diesen Zustand, zu verbergen, doch es gelang ihm nicht.

„Hey", flüsterte ich und beugte mich zu ihm rüber, um ihm in die Augen zu sehen. Er sah mich zweifeln an. „Das ist nicht deine Schuld gewesen, ganz und gar nicht. Und ich glaube auch nicht, dass Sydney so dumm sein wird und dir die Schuld daran gibt. Wenn sie das tun würde hätte sie dich nicht verdient, wirklich nicht."

Wie hatten wir es bloß geschafft, von einem so schönen und glücklichen Moment hier her zu kommen, wo wir den Tränen nahe waren?

„Das sagst du."

Er glaubte mir nicht. Jasper glaubte nicht an seine eigene Unschuld. Seine Stimme klang so leblos, als er meinte: „Und was sagen die anderen? Die über uns sprechen werden, die sich den Mund über das zerreißen werden, was passiert ist? Die nicht wissen, was passiert ist? Die sagen das, was ihnen passt, glauben das, was ihnen passt. So läuft das eben. So war es immer schon und daran wird sich so schnell nichts ändern, nicht, weil wir es sind, denen es passiert ist."

„Das stimmt nicht!", widersprach ich ihm wütend.

„Ach wirklich?", dieser verdammte Blick. Diese hochgezogene Augenbraue, die wusste, dass sie Recht hatte.

Ich musste mich einfach zurücklehnen. Mit bebender Brust versuchte ich mich auf den Film vor mir zu konzentrieren. Es gelang mir nicht. Als alle anderen im Kino erschrocken aufjapsten, die Mädchen ängstlich nach den starken Armen ihres Freundes suchten und diese sie schützend an sich zogen saß ich da und starrte auf die dunkle Leinwand.

Als wir aus dem Krankenhaus getreten waren hatte ich gedacht, wir könnten das alles nun hinter uns lassen. Wie hatte ich nur so naiv sein können? Schließlich war weglaufen noch nie unsere Stärke gewesen.


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt