Die ersten drei Läufe starteten mit den Mädchen, dann kamen wir Jungen dran.
„Leke, meinst du, das geht für dich in Ordnung?", auf einmal stand unser Sportlehrer neben mir und legte mir einen Arm um die Schultern, während er den Lauf der Jungen kopfschüttelnd beobachtete.
Verunsichert schluckte ich: „Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass..."
„Perfekt. Ich liebe es, wenn Leute sich was trauen und es einfach nur ausprobieren wollen!", er strahlte übers ganze Gesicht, als er mir einmal kräftig auf den Rücken klopfte.
Nur eine Millisekunde später stand er wieder neben den nächsten Schülern und redete mit ihnen.
„Aber..."
Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten und schluckte meine Wut herunter.
Ich will das nicht! Ich will mich nicht vor allen blamieren.
Und auch wenn ich es nicht zugeben würde, ich hatte Angst. Davor, es nicht einmal zu schaffen, geradeaus zu laufen.
„Leke!", rief auf einmal die Stimme meines neuen besten Feindes alias Mr. Mackay über die Bahn. „Du läufst innen!"
Zitternd trat ich nach vorne und schaute mich hilfesuchend um. Doch da war keiner. Nur undeutliche Schemen. Und schwarz. So viel schwarz.
Mir blieb nichts anderes übrig, als an die Innenbahn zu treten und auf das Beste zu hoffen. Und einfach nur geradeaus zu laufen.
Ich würde nie 100% geben können. Ich meine, wer läuft schon so schnell er kann, wenn er absolut nichts sieht? Niemand. Das ist ein menschlicher Schutzreflex.
Und doch musste ich alles geben.
Langsam atmete ich aus, während ich auf den Startpfiff wartet. Wahrscheinlich stand ich noch nicht einmal an der weißen Linie, sondern Meter davor.
„Fertig? LOS!", brüllte Mr. Mackay hinter uns mit hochrotem Kopf und ich rannte los.
Die Microchips in meinen Ohren piepsten sofort wütend auf. Schnell korrigierte ich mich ein wenig nach rechts. Und lief schneller.
Doch in meinen Kopf machte das ganze keinen Sinn. Die ganze Zeit geistert nur ein Gedanke in meinen Kopf:
Du fällst! Du fällst. Stolperst über diese blöde Kante oder über deine eigenen Füße. Du fällst!
Mit grimmiger Miene setzte ich einen Fuß vor den anderen und laufe.
Höre das Schnaufen der anderen weit vor mir und laufe. Laufe und laufe.
„Halt, Leke, stopp!", schreit Pacey auf einmal hinter mir, während er mir hinterher rennt. Verwirrt halte ich inne und blicke mich wild atmend um.
„Was ist?"
„Du bist schon viel zu weit gelaufen!", mein Freund legt sachte eine Hand auf meine Schulter und führt mich wieder zurück zu den anderen.
Peinlich berührt merke ich, wie meine Wangen noch roter werden.
„Ich war schrecklich, oder? Gib es zu", sauer beiße ich mir auf die Unterlippe. Ich weiß es einfach.
„Du warst nicht schlecht...", Pacey stockt verlegen und sein Gesicht nimmt eine rötliche Färbung an.
„Pff. Komm schon, sag es mir!", fordere ich ihn mit einem leichten Seitenhieb auf.
„Na ja, du warst Letzter, aber da war nicht sooo viel Abstand. Wirklich nicht! Nur ein wenig."
Meine Schultern sacken ein wenig mehr in sich zusammen und plötzlich kommen mir meine Beine verdammt schwer vor.
Ob sie es gesehen hatten? Ob die anderen zugesehen hatten, wie ich versagt hatte? Würden sie Fragen stellen?
Würden sie sich denken 'was MACHT der da?' Ich würde ja selber so reagieren.
„Was war das denn?", hörte ich ein Mädchen zu meiner linken hinter vorgehaltener Hand flüstern, als ich an ihnen vorbei ging.
Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten und vergrub sie tief in den weiten Taschen meiner dunkelblauen Sporthose. Schweiß lief mir über die Stirn. Mit einer schnellen Handbewegung wischte ich ihn weg.
„Alles okay Leke?", Sydney stieß mit einem besorgten Ausdruck auf dem Gesicht zu uns. „Du warst so LANGSAM..."
Innerlich stöhnte ich vor Scham und Wut auf. Nichts war okay.
„Es ist nichts, Syd. Meine Brust tut nur ein wenig weh", log ich ihr ins Gesicht und setzte dabei eine schmerzverzerrte Miene auf. Sofort schlang Pacey einen Arm um mich und tat so, als würde er mich stützten.
„Oh", die Augen der Halb-mexikanerin wurden größer, „Soll ich dir vielleicht etwas kaltes holen? Oder ..."
Sie beugte sich verschwörerisch zu uns vor, während sie mit der linken Hand, die mit zwei elfenbeinfarbenen Ringen besetzt war, eine Art Trichter formte.
„Odeeer lieber etwas Vodka, hmm? Das hilft bestimmt!"
Ich musste ein Lachen unterdrücken.
„Ich glaube nicht, dass das bei meiner Situation so angebracht wäre. Aber vor allem denke ich, dass Mr. Mackay, so nett er auch ist, deinen Vorschlag nicht unterstützen würde."
Sydney zuckte enttäuscht mit den Schultern: „Dann eben nicht. Aber sag Bescheid, wenn du etwas brauchst!"
Mit diesen Worten wandte sie sich von uns ab und lief zu den anderen Mädchen der Cheerleader-Clique.
„Der arme hat Herzschmerzen!", rief sie mit zutiefst betroffener Stimme und ich hörte ein mitleidiges „Ohhh" von den anderen.
„Aber doch nicht etwa wegen Liebeskummer?!", bemerkte eine belustigte Stimme mit einem Grinsen. Die Mädchen lachten laut auf.
Ich spürte, wie ich automatisch rot anlief. Schnell drehte ich meinen Kopf in die andere Richtung.
LIEBESKUMMER? Ich bitte dich. Ich doch nicht.
Nein, ich werde nie erfahren, was Liebe ist. Denn niemand wird mit einem Blinden zusammen sein wollen, der einen nicht sehen kann.
Das ist auch der Grund, warum ich es keinem sagte. Es war mein Geheimnis. Damit ich nicht schon von vorneherein abgestempelt wurde.
Auf Dauer würde das nicht funktionieren, aber dennoch glaubte ich fast verzweifelt daran. Es war schließlich meine einzige Hoffnung.
~Bild oben: Sydney~
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The blind Badboy
Teen FictionJeder spielt als Kind verstecken in der Dunkelheit. Jeder schließt die Augen und stellt sich vor, was wäre wenn. Doch niemand tut es für immer. Leke schon. ~Ein braunhaariger Tollpatsch, blind und ziemlich durchgeknallt, steigt ein in das Rennen um...