3. Die sauberen Dinge gibt's unten

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„Ich darf euch ganz herzlich zu unser heutigen Gesprächsrunde begrüßen, auch, wenn wir heute eine Person weniger sind. Wie ihr sicherlich schon mitbekommen habt fehlt Laura. Nun ja..."

Ich blickte in die Runde und zählte acht verschwommene Schemen, einen weniger als sonst. Misses Forks hatte recht.

„Was ist mit ihr?", hörte ich eine ziemlich ängstlich klingende Stimme zu meiner Rechten. 

„Sie...liegt auf der Intensivstation", ein erschrockenes Aufstöhnen ging durch die Reihe, „weil sie die letzten Wochen immer weniger gegessen hat und nun einen kritischen Zustand angenommen hat. Leider. Die Ärzte denken aber, dass sie durchkommt. Nein, ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sie es schafft!"

Misses Forks Stimme klang traurig, dennoch versuchte sie die Gruppe nicht weiter zu beunruhigen.

Arme Laura, dachte ich voller Ironie, da versucht sie schon still und heimlich Magersüchtig zu sein und scheitert auch noch daran. Schlimmer geht's nicht.

Ich war einfach nicht so gestrickt, um diese Menschen ernst zu nehmen. Jede Woche erneut darüber zu klagen, wie schlimm ihr Leben doch sei. Oder eben nicht, so wie ich. Einfach nur dazusitzen und anderen dabei zu zuhören.

Warum konnten sie sich nicht einfach mit ihrem Schicksal abfinden, oder aber das ganze still und leise ertragen?

Bei Laura hatte ich vom ersten Tag an gemerkt, dass sie schwach war. Dafür brauchte ich nicht Medizin oder Psychologie studiert zu haben.

Es war auch nicht so, dass ich wirklich genervt von diesen Leuten war. Nein, ich war einfach nur wütend auf meinen Dad, der mich zwang hier zu sein. Und deswegen ließ ich meine Wut eben an anderen aus.

„Nun denn", riss mich die Stimme von Brook's Mutter aus den Gedanken", wer möchte gerne anfangen? Peter, wie schön. Dann sag, was hast du auf dem Herzen?"

„Ihr müsst wissen", fing die weinerliche Stimme an und ich wusste sofort, was folgen würde. Es waren nämlich die selben Worte wie jede Woche, „Ich habe ein Alkoholproblem!..."

Langsam ließ ich mich im Stuhl zurücksinken und verdrehte die Augen.

***

Es war kurz nach acht, als ich über die still gelegten Bahnschienen ging und zielsicher auf die Tür des alten Bahnhofsgebäudes zusteuerte.

Ich streckte leicht meinen Arm aus und stieß gegen die früher einmal ziemlich robuste Holztür, die jetzt allerdings nur noch einem durchnässten Wrack glich.

Sofort schlug mir ein warmer Lufthauch gepaart mit Zigarettenrauch entgegen und laute Musik brachte meine Ohren fast zum bersten. Schnell schaltete ich meine Microchips ab, doch mein Trommelfell piepste immer noch gequält auf.

Ich fühlte mich jetzt schon wie vollgedröhnt und presste meine Hände gegen die Schläfe. Ob mich wohl schon der bloße Geruch nach Alkohol betrunken werden lassen konnte?

„Hey Leke!", sofort war Jasper neben mir und führte mich die Treppen hoch aufs Dach.

Hinter seinen Worten lag ein schelmisches Grinsen versteckt, als er meinte: „Du musst doch nicht sofort Drogen nehmen, wenn du hier ankommst. Der Abend ist noch lang!"

 Zögernd schaltete ich die Microchips mit einem leichten Ziehen an meinem Ohrläppchen wieder an und nahm meine Hand von der pochenden Stirn. „Ha ha, sehr witzig, Jasper!", grummelte ich beleidigt und zog eine Schnute. Dieser lachte laut auf.

„Drogen? Ich habe gedacht, hier geht es sauber zu!", hörte ich eine angespannte Stimme ein wenig entfernt von uns flüstern. Sie klang empört und anmaßend zugleich.

„Ja, willst du auch welche?", rief ich laut über das Dach und drehte mich zu der Stimme um. "Sind auch gut gewaschen."

Spöttisch zog ich eine Augenbraue hoch, was man noch gerade so über meiner Sonnenbrille erkennen konnte. Ich konnte mir ein keckes Lächeln nicht verkneifen.

Das Mädchen keuchte erschrocken auf und brauchte einen Moment, um sich zu fassen.

„Wie hat der das gehört?", fragte sie die Person neben sich; immer noch flüsternd.

„So, wie ich dich auch jetzt höre, mit meinen Ohren natürlich.", beantwortete ich ihre Frage grinsend. In gewisser Weise verdrehte ich hier die Wahrheit ein wenig, aber das war mir egal.

„Kümmer' dich gefälligst um deinen eigenen Kram!", zischte das Mädchen wütend und ich konnte mir denken, dass ihr Kopf knallrot sein musste. "Idiot", flüsterte sie hinterher. Ich war mir sicher das sie wusste, dass ich auch diese Bemerkung von ihr bestens verstehen konnte.

Tatsächlich hatte ihre Stimme noch nie zuvor wirklich wahrgenommen. Wahrscheinlich war sie irgendeine Freundin aus  irgendeiner Stadt hier in der Nähe.

Aber es machte mir verdammt Spaß, sie zu ärgern.

„Nicht so schüchtern! Wir wollen doch alle nur unseren Spaß haben...", blockte ich ihre Beleidigung einfach ab und spürte, wie Jasper sich neben mich stellte.

„Wusstest du, dass die hier Drogen nehmen?", wendete sich das Mädchen beleidigt ihrer Freundin zu.

Ach, jetzt nehmen wir also schon alle Drogen, na so was.

„Das hast du behauptet!", funkte ich dazwischen, bevor irgendjemand noch etwas Falsches über mich verbreiten konnte.

Plötzlich meldet sich eine zweite, genervt klingende Stimme zu Wort: „Leke, muss das sein?" Ich erkannte sie sofort, es war Brook. Meine Spielkastenfreundin von vor vielen Jahren.

„Brook, du bist ja auch hie-...", hier.  Shit. Das habe ich nicht gerade wirklich gesagt.

Augenblicklich gefror meine Haltung wie zu einem einzigen Eisblock und ich wagte nicht, auch nur zu atmen. Verdammt, warum habe ich das nur getan?

„Ja, schon die ganze Zeit du hormongesteuerter Hornochse", sie machte eine kurze Pause und ich atmete erleichtert wieder aus.

Sie lässt mich nicht auffliegen, sie nicht. Jeder normale Mensch bei klaren Verstand würde fragen, warum ich so etwas dummes gesagt hatte. 

„Und das hier", sie schien auf ihre Freundin zu deuten, „ist übrigens Shy. Eigentlich hätte ich jetzt gesagt, seid nett zu ihr, aber das hast du ja gerade schon kaputt gemacht, nicht wahr?"


~ Bild oben: Shy Jayed~


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt