29. Nichts

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Lekes Sicht:

„Es war schrecklich!", maulte ich mit unzufriedener Miene in mein Kissen, während Jasper es sich neben mir bequem machte. Die Couch gab ein schmatzendes Geräusch von sich, wie es nur neue Lederbezüge tun konnten.

„Ach komm schon", meinte mein bester Freund mit ungläubiger Stimme, „du übertreibst doch!"

„Nein!", widersprach ich ihm und verfluchte mich selber dafür, dass ich wie ein trotziges Kleinkind klang. Eines, dass unbedingt Recht haben musste.

„Ich mache das bestimmt nie, nie wieder!", murmelte ich in die Dunkelheit und schloss frustriert die Augen.

Es war immer noch Dienstag Nachmittag und eigentlich sollte ich mich an meinen Rechner setzten und den Schulstoff nachholen, den ich bisher nicht hatte machen können, aber ich wollte nicht. Ich wollte gar nichts.

„Oh man", seufzte Jasper und ein erneutes Schmatzen des Sofas verriet, dass er sich zu der Fernbedienung vorbeugte.

„Du hast echt Probleme!" Auf einmal hörte man eine Stimme in beruhigenden Ton reden.

„Und jetzt das Wetter für morgen...", meinte sie gerade.

Dann wurde sie rüge unterbrochen, indem Jasper den Sender wechselte.

„Das ist es doch, was ich dir die ganze Zeit schon versuche klar zu machen!", redete ich unbeirrt weiter und richtete mich wieder auf.

„Ja ja, mein Gott eure Sender sind immer die schlimmsten", murmelte der Lockenkopf abgelenkt und ich wusste, dass er gerade total gebannt auf den Bildschirm starrte.

Vielleicht hatte er ja Recht und ich reagierte mal wieder über, aber irgendwarum empfand ich die ganze Geschichte als ziemlich demütigend. Sonst hatte es mich nie sonderlich interessiert, dass ich ein Mädchen nicht sehen konnte.

Na und?, hatte ich mir gedacht. Küssen konnte ich sie trotzdem. Die Bindungen, die ich mit meinen Ex-Freundinnen eingegangen war, waren nie sonderlich fest gewesen.

Man konnte sie eher mit einem losen Seil beschreiben, bereit, gekappt zu werden, wann immer ich es wollte. Es lag alles unter meiner Kontrolle.

Aber jetzt war es anders. Schlimmer. Eindeutig.

„LEKE?", hörte ich auf einmal eine die Stimme meines Vaters durch die Wohnung rufen.

„Shit. Dadurch, dass du den verflixten Fernseher an hast, habe ich ihn gar nicht reinkommen gehört!", fluchte ich wütend und rief laut in Richtung meines Vaters zurück: „Ja?"

Normalerweise bevorzugte ich es, ihm aus den Weg zugehen. Jas wusste das. Er war der einzige, der über das Verhältnis zu meinem Vater Bescheid wusste.

Aber dieses mal blieb mir nichts anderes übrig, als braven Sohn zu spielen.

Ich hörte meinen Vater einige Schritte in unsere Richtung laufen und bemerkte durch eine winzig kleine Veränderung in meinem Sehbild, dass er im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen geblieben war.

„Hallo, Mr. Flynn. Schön, sie mal wieder zu sehen!", meinte Jasper neben mir. Mir fiel auf, dass er den Fernseher aus gemacht hatte.

„Hallo", antwortete mein Vater immer noch ein wenig verwirrt. Ich glaube, es hatte es nicht erwartet, gleich zwei Personen in seinem Haus vorzufinden.

„Was macht ihr beiden hier?", war seine nächste Frage und ich spürte, wie sie mich aus irgendeinen Grund wütend machte.

Konnte er es nicht einfach dabei belassen, uns hallo zu sagen, und dann weggehen wie normale Eltern auch? Musste er uns erst ins Kreuzverhör nehmen?

„Nichts", antwortet Jasper und merkte im selben Moment, dass es nicht die beste Antwort gewesen war. Er kannte meinen Vater länger als irgendjemand sonst.

Mit einem beruhigendem Seufzer bemerkte ich die klare Luft um mich herum. Keine stinkende Fahne, die Kilometer weit zu riechen war.

Mein Vater schien sich endlich wieder an seine Arbeitszeiten zu halten und schaffte es anscheinend sogar, dabei nüchtern zu bleiben.

„Hast du nicht heute deine Selbsthilfegruppe? Du wagst es doch nicht ernsthaft zu schwänzen, oder? Was meinst du, was mich dieser Spaß kostet, hmm? Siehst du nicht, dass ich mich Tag und Nacht zu Tode arbeite, nur damit du-..."

„DAD!", unterbrach ich ihn mit lauter Stimme, bevor er sich noch mehr in Rage reden konnte.

Langsam versuchte ich, meine erzürnten Gedanken zu ordnen und unterdrückte das Zittern, dass mir aus der Magengegend heraus in die Arme wanderte.

„Ich habe erst MORGEN Selbsthilfegruppe, okay? Komm mal runter, ich gehe da jetzt schon seit Wochen hin! Frag Mrs. Forks!", versuchte ich mich so gut es ging zu verteidigen und dankte Jasper im Stillen dafür, dass er die Klappe hielt.

Ich traute es ihm nämlich deutlich zu, alles nur noch schlimmer zu machen.

„Aha", bemerkte mein Vater und ich versuchte, den trotzigen Unterton zu ignorieren.

Er wusste, dass er mich mit diesem blöden aha so sehr ärgerte, wie wenn er mir noch weitere Beleidigungen oder Vorwürfe an den Kopf warf.

„Musst du nicht Hausaufgaben machen?", ich hörte seine Jacke rascheln, als er die Arme vor der Brust verschränkte.

„Dad!"

„Wenn ich morgen einen Anruf von der Schule kriege, dass du- ..."

„Ja, schon klar. Alles in Ordnung, du kannst dich wieder in die Küche setzten und dein Bier raus holen, aber lass mich in Ruhe!"

Zugegeben, dass war wirklich nicht der schlauste Spruch, den ich auf Repertoire hatte, aber ich konnte mich einfach nicht mehr gegen die Wut in meinem Kopf wehren.

„Sag mal, wie redest du denn mit mir?!", zischte mein Vater nun ebenfalls auf hundert achtzig und ich wäre verdammt gerne aufgestanden und hätte mich ebenfalls mit verschränkten Armen vor ihm aufgebaut, doch ich blieb, wo ich war.

Denn auf einmal spürte ich die beruhigende Hand von Jas auf meinem Oberschenkel, der mich zwang, nichts dummes zu tun. Leichter gesagt als getan.

Meine Lippen zitterten, als ich meinte: „Dann gehe ich eben Hausaufgaben machen, aber behaupte nicht noch ein einziges mal, dass du weißt, was besser für mich ist oder was ich zu tun habe!"

Mit diesem Satz stand ich ruckartig auf und verließ mit Jasper im Schlepptau das Wohnzimmer.

Und mit jedem Schritt spürte ich den Blick meines Vater mehr in meinem Rücken, wie ein Messer, dass sich immer weiter drehte.


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt