74. Die Reise in den Himmel

3K 191 6
                                    

Lekes Sicht; irgendwo weit entfernt von der Realität und dem Jenseits so nah:

Meine Sicht, auch wenn sie nur so gering war und lediglich das blendend helle weiß der Flammen wahrnahm, verschwamm immer mehr. Meine Ohren hörten schon lange nicht mehr als das Rauschen des Feuers und in meiner Nase brannte der Rauch wie Chilli. Es kam mir vor wie Stunden, dabei waren es lediglich Sekunden.

Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig....

Mein Kopf fühlte sich an wie Wackelpudding, meine Glieder schienen zu flüssigen Lava zu werden, während der Schweiß und die Hitze meine Klamotten durchtränkte. Mein Verstand schien zu keinem einzigen klaren Gedanken mehr zustande.

Deshalb bemerkte ich auch die Stimmen zunächst nicht, die auf einmal um uns herum auftauchten. Sie kamen mir vor wie Geister, die unsere Seelen heimsuchten und uns zwingen wollten, zu ihnen zu kommen.

Jemand rüttelte an meiner Schulter. Es konnte nur das Feuer sein, welches anklopfte, um uns alle zu verschlingen.

Eine Stimme, nun direkt vor mir. Die Geister waren schnell.

Etwas wurde um meinen Kopf gespannt, vor mein Gesicht, meine Nase bekam nun besser Luft. War ich etwa schon im Himmel? Gab es dort genügend Sauerstoff für alle? Wie schön.

Ich gab dem Drang nach endlich vollends die Augen zu schließen und mich zurück zu lehnen. Langsam sank mein Körper nach hinten, doch er kam nicht auf dem Boden auf. Sanft wurde er aufgefangen, meine Beine wurden hochgehoben und endlich: Ich flog.

Das muss wahrhaftig der Himmel sein, dachte ich mir und spürte, wie sich ein Lächeln auf meine Lippen schlich. Glück durchströmte jede Faser meines Körpers und lies mich ignorieren, wie meine Glieder ab und zu etwas unsanft gegriffen und gestoßen wurde.

Der Weg nach oben besaß nun einmal viele Wolken, vielleicht regnete es ja gerade auf der Erde und es waren die Regenwolken, welche mir den Zugang in den Himmel erschwerten, die sich wie Wachen an dessen Toren postiert hatten.

Mein Kopf war nun vollkommen leer. Leer und leicht wie eine Feder. „Ach, wie schön", murmelte ich erneut. Fühlte sich so etwas Seligkeit an? Es musste so sein, denn für dieses Gefühl gab es einfach keinen besseren Ausdruck, keine andere Beschreibung meiner Lage. Selig.

Erneut wurde an meinem Körper gerüttelt. Hingen die Menschen etwa so sehr an meinem Körper, dass sie mich nicht gehen lassen wollten? Hatte ich nicht ein langes und glückliches Leben gelebt und war alt gestorben, sodass ich mir das hier verdient hatte?

Doch wer war ich überhaupt gewesen? Mit Schrecken stellte ich fest, dass ich es nicht mehr wusste. Ich wusste noch nicht einmal meinen Namen.

Und auf einmal wurde mir klar, dass hier etwas gewaltig nicht stimmte. Das konnte doch nicht sein? Ich musste mich doch an meine Lieben und Freunde erinnern können, sodass ich sie von hier aus beobachten konnte? Musste sie erkennen, wissen, wer sie waren, um sie von hier zu beschützen, über sie zu wachen. Schließlich befand ich mich auf den Weg ins Jenseits, da war ich mir ganz sicher.

Wer bist du?

Die Frage machte mich ganz verrückt.

Denk nach!

Und das tat ich. Ich dachte nach, bohrte in meinem Kopf und zwang mich zum ersten Mal wieder, mich anzustrengen. Doch das konnte es hier oben nicht geben: Anstrengung. Ich machte alles kaputt, weil ich nachdachte. Verdammt.

Aber ich musste einfach wissen, wer ich war. Und während ich so immer tiefer in meinen Gedanken kramte fiel ich. Ich fiel, immer schneller und schneller. Ich hatte den Himmel nicht verdient.

The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt