8. Einfach...irgendwie geradeaus

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Es ist Freitag Nachmittag. Und die Juniors der Northern High School dürfen sich bei 30 Grad auf dem Sportplatz die Klamotten durch schwitzen.

Mit vor der Brust verschränkten Armen lausche ich argwöhnisch den Worten unseres Sportlehrers Mr. Mackay.

Wir stehen in einem Halbkreis schnaufend um ihn herum. Die Mädchen in kurzer Hose und knappen Tops, die Jungs in Football-Trikots und Shorts.

Das Einlaufen ist für mich kein Problem. Erstens habe ich meine Microchips, die mir die weiße Umrandung der 400 Meter Bahn anzeigen und zweitens Jasper, der wachsam neben mir läuft.

„Heute probieren wir mal etwas Neues aus!", unser Sportlehrer blickt mit einem schelmischen Grinsen in die Runde.

Er ist um die dreißig und das eng anliegende dunkelblaue T-shirt betont seinen muskulösen Körper. Sein kurzer, blonder Bart lässt ihn sehr jung aussehen, weshalb die Mädchen ihm reihenweise verfallen.

Ich will gar nicht wissen, wie viele gemalte Herzchen in den Schulheften ihm gelten.

Ungeduldig wippe ich von einen Fuß auf den anderen. Etwas Neues? Das konnte nichts gutes Bedeuten.

„Football spielen wir das ganze Jahr über und immer sitzen die gleichen auf der Ersatzbank", Mr. Mackays Blick fiel auf mich, doch er schaute sich sofort weiter um.

Dachte er etwa, ich würde es nicht merken? In all den Jahren hatte ich ein gewisses Gespür dafür entwickelt, fremde Augen zu bemerken. Auch, wenn ich längst nicht alles sah.

Ja, ich saß auf der Ersatzbank, weil ich die Lüge verbreitet hatte, nach meinem Unfall an Herzproblemen zu leiden.

Kontaktsport gemischt mit rennen war da nicht so die beste Methode. Aber die Lehrer wussten von meiner Blindheit.

„Wir gehen ein wenig in die Leichtathletik. Weitsprung. Speerwurf. Sprint. Das wird Ihnen allen mal eine Abwechslung sein. Also gut, wir beginnen mit einem kleinen Dehnprogramm und dann starten wir!"

Zischend stieß ich die Luft aus, die ich bis jetzt unbewusst angehalten hatte. Bestürzt wandte ich mich an Jasper, der sich gerade sein rotes Bandana erneut um die braunen Locken band.

„Das ist nicht sein Ernst!"

„Ich fürchte wohl. Aber wir machen das schon, keine Sorge!", zuversichtlich nickte er mir zu und zerrte mich gleichzeitig ein paar Schritte zurück.

Auf einmal befand ich mich in einem mickrigen Kreis, der von Mr. Mackay angeführt wurde.

„Rechtes Bein nach vorne, Gewicht mittig, na ja, ein wenig nach vorne, so dass es in der hinteren Wade zieht!", zischte mir mein bester Freund mit zusammen gebissenen Zähnen zu, während er gleichzeitig Jenny sein bezauberndes Lächeln zuwirft.

Er sollte zu den Bauchrednern wechseln.

Schnell tue ich das, was er mir erklärt hat. Ich habe keine Lust, mir dämliche Blicke wegen diesen blöden Dehnübungen einzuhandeln.

„Anderes Bein."

Mürrisch seufzte ich auf, als ich mein Standbein wechselte. Wie ich das hasste. Nichts konnte ich alleine.

„Keine Sorge, ja?!", griff ich seinen Satz von Vorhin wieder auf und drehte meinen Kopf in seine Richtung.

„Mein Gott, jetzt schau doch nicht wie sieben Tage Regenwetter. Shy guckt schon ganz verwirrt", Jasper schnalzt verärgert mit der Zunge, weil ich ihn von seinem kleinen Flirt mit Jenny abgehalten habe.

„Was? Sie ist hier?", rufe ich schockiert aus und schaffe es nur gerade so, meine Stimme leise zu halten. Das fehlte mir gerade noch.

„Ja, du Dummkopf. Aber keine Sorge, sie scheint kein Interesse an dir zu haben..."

„Aber du hast doch gerade noch gesagt, dass sie-..."

„Vergiss es. Das habe ich doch nur gesagt, um dich auf andere Gedanken zu bringen. - Oh, die Hände hinter dem Rücken fassen, ein Arm von oben und einer von unten. - Aber EIN Training wirst du wohl überleben, oder? Ansonsten sagst du einfach, dass-..."

„Ja ja", unterbreche ich ihn leicht wütend darüber, dass er mich angelogen hat, „dass ich Herzprobleme habe, schon klar. Damit mich wieder alle für einen Loser halten."

Meine Lippen ziehen sich zu einem dünnen Strich zusammen.

„Aber das ist nicht wahr, Leke. Niemand hält dich für einen LOSER! Das würden sie sich gar nicht trauen", widerspricht Jasper mir.

Ich höre den ernsten Tonfall in seiner Stimme deutlich heraus.

Genau in diesem Moment kann ich mir seine großen braunen Augen, die mich teils mitleidig, teils bestimmt anschauen, und seine offene Miene deutlich vorstellen.

Die mir sagen will, dass alles okay ist. Ist es aber nicht.

Mr. Mackays befehlsgewohnte Stimme unterbricht unsere Unterhaltung und wir wenden uns wieder nach vorne.

„Also gut. Wir beginnen mit ein paar Sprints. 50 Meter werden Sie ja wohl schaffen?!", ein leichtes Lächeln huscht über sein Gesicht, als er uns schelmisch zuzwinkert.

Einige Schüler stöhnen leise auf.

Die Sonne knallt ohne Erbarmen auf uns herunter und mein schwarzes T-shirt erweist sich als die schlechteste Entscheidung, die ich in den letzten 24 Stunden getroffen habe.

Zusammen marschieren wir zu mittleren Linie zwischen Start und Ziel und unser Mr. Fitness-Mackay zeigt uns, wie wir starten sollen.

Leise versucht Jasper, das Gesehene in Worte zu fassen.

Ein wenig ratlos kratze ich mich am Kopf, während ich seinen Worten lausche.

Doch verstehen tue ich nur ungefähr so viel: 'Stell dich hin, dann warte, und dann...lauf. Einfach. Irgendwie geradeaus.'

Wirklich, besser hätte ich es nicht beschreiben können! Oh Gott, aber das konnte ja wohl nicht so schwer sein, oder?

Einfach nur gerade aus laufen.


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt