Lekes Sicht:
Mir kam es vor, als würde ich meine Seele vor Shy ausbreiten. Meine ganzen Gefühle strömten mit einer wahnsinnigen Flut aus meiner Brust und ich konnte sie einfach nicht aufhalten. Doch es schien mit der einzige Ausweg aus dieser Situation, in der sich nichts mehr bewegte. In der wir feststeckten wie in Morast, aus dem es keinen Schritt vor oder zurück gab.
Ich hielt den Atem an, als ich ihre Finger an meinem Gesicht spürte und Shy mir auf einmal so nah war wie seit Tagen nicht mehr. Das Gefühl wurde durch die Tatsache verstärkt, dass das ganze von ihr aus ging. Ich hoffte so sehr, dass sie sich hierzu nicht gezwungen fühlte. Dass sie es als ihre Pflicht ansah, mir zu helfen, nicht zu zerbrechen. Doch das sollte es nicht sein. Ich hatte auch schon vor ihr überlebt, nur würde mir ohne sie ein Teil fehlen.
Und deswegen erzählte ich ihr von der Zeit und den Einfluss, den sie auf mich besaß. Dass sie alles an mir kontrollieren konnte – wenn sie nur wollte.
„Das war das Süßeste, was du je zu mir gesagt hast", flüsterte Shy nach meinen Worten und zauberte ein dämlichen Grinsen auf mein Gesicht.
„Wirklich?", ich musste ihr vorkommen wie ein Honigkuchenpferd.
„Noch einmal sage ich es nicht!", stach Shys trotzige Seite hervor, doch sie beeilte sich, ihre Worte zu entschärfen. „Aber ja, wirklich."
Das Bild von Shy in meinem Kopf lächelte, als sie meine eigene Aussage wiederholte. Weiß blitzten die Zähne im Licht der Laternen auf und sie blickte mir seit langem direkt in die Augen. Wie gerne würde ich dieses Bild tatsächlich sehen.
„Und ... was machen wir jetzt?", ich traute es mich fast nicht auszusprechen, da es uns augenblicklich das Lächeln von den Lippen zauberte und eine ernste Miene zurückließ, welche allzu gerne mit den Zähnen knirschen würde.
„So geht es auf jeden Fall nicht weiter", murmelte ich nach einigen Sekunden der Stille, welche sich wie ein bedrohlicher Schleier über uns gelegt hatte.
„Ich brauche einfach Zeit, um mich von alledem zu erholen. Das Feuer, das Krankenhaus, Jacks Worte ... das war alles einfach zu viel für mich." Shy rang mit den Worten, als würde sie einen unsichtbaren Kampf führen.
„Okay", ich nickte leicht mit dem Kopf und presste die Lippen zusammen. „Wenn es Zeit ist, die du dir wünscht, dann gebe ich sie dir. Doch verlange bitte nie wieder von mir, mich in dieser von dir fern zu halten. Denn das werde ich nicht ein zweites Mal durchstehen."
„Ich verspreche es dir", flüsterte Shy an meine Brust, ihre Finger krallten sich in meinen Rücken. Auch ich suchte Halt an ihren Worten, an der Hoffnung, die still und heimlich mitschwang. Wir waren noch nicht verloren. Eine ganze Weile schwiegen wir und ließen alles einfach nur auf uns wirken. Tausend Gedanken schwirrten mir gleichzeitig durch den Kopf, und jeder schien wichtiger als der letzte.
„Es wird nicht wieder sein wie zuvor, habe ich Recht?", Angst schwang in Shys Stimme mit, gemischt mit Reue und Traurigkeit. Ich sah es in meiner Pflicht, ihr diese zu nehmen, weshalb ich voller Inbrunst antwortete.
„Nicht ist wie zuvor, jeder Tag ist anders, wir verändern uns in jeder Sekunde, in der wir auf der Welt sind. Es wäre schade, wenn nicht. Wenn wir immer die gleichen, dummen Menschen bleiben würden, die ihre Fehler tagtäglich wiederholen."
Ich musste selbst grinsen und fuhr mit einer Hand sachte über ihren Rücken. Ihr T-shirt strahlte eine Wärme aus, die anziehend war. Sie sorgte dafür, dass ich Millimeter für Millimeter immer näher kam, ich konnte gar nichts dagegen tun.
„Ja, da hast du Recht. Und dennoch fühle ich mich, als hätte ich vor einigen Tagen den falschen Weg eingeschlagen und finde nun den Ausgang nicht mehr."
„Aber hier ist doch der Ausgang!", widersprach ich ihr bestimmt und zog sie unwillkürlich näher zu mir, dass sie meinen Körper an ihrem spüren musste, so wie ich sie spürte. Dass sie die Nähe und Vertrautheit überkam, die mich vor Glück ganz schwindelig machte. „Ich bin der Ausgang. Und ich werde auf dich warten, solange du auch brauchst, um das zu erkennen. Denn ich liebe dich, ich liebe dich über alles!"
Sie brauchte die Worte nicht aussprechen, denn ich wusste es auch so. Sie liebte mich auch. Sonst würde sie nicht hier mit mir stehen, dort, wo alles begonnen hatte. Nicht auf dem Boden der Tatsachen, sondern in dem Gefühl vom siebten Himmel auf dem Dach eines alten Bahnhofsgebäudes.
„Ich werde zu dir finden", Shy sprach sehr vorsichtig, als wäre sie sich noch immer nicht ganz sicher. Doch es genügte mir, wenn einer von uns daran glauben konnte.
„Ich weiß", flüsterte ich in ihr Haar und lächelte. Dann fasste ich all meinen Mut zusammen und fuhr mit den Fingern langsam zu ihrem Kinn, nahm es sanft in die Hand und hob ihren Kopf. Ich hatte es vorsichtig, mit Bedacht und Ruhe, angehen wollen, doch am Ende war ich stürmischer, als bei je einem Kuss zuvor.
Hungrig und fordernd presste ich meine Lippen auf ihre, Haut auf Haut. Von blindem Verlangen gesteuert wollte ich nie mehr aufhören, dennoch zwang ich mich nach etlichen Sekunden von ihr loszulassen, um ihr den Raum zu geben, den sie benötigte.
„Zu viel? Zu viel, oder?", hakte ich unsicher nach und biss mir wütend über mich selbst auf die Lippen. Shy fing an zu lachen und ich spürte, wie sie mit den Schultern zuckte.
„Was soll das heißen?", verwirrt nestelte ich an meinen Haaren herum und versuchte ihr Verhalten zu deuten. Hatte ich es zu weit getrieben oder gefiel es ihr? Sollte ich aufhören oder weitermachen? Drängte ich sie zu sehr oder war es-...
„Okay. Es ist okay", murmelte sie und nun war sie diejenige, die sich nach vorne beugte und mich küsste. Währenddessen glitten ihre Hände durch meine Haare, zerstörten die Ordnung, die ich gerade noch versucht hatte herzustellen, und verschränkten sich hinter meinem Nacken.
„Das höre ich gerne", hauchte ich in einer kurzen Pause gegen ihre Lippen und fuhr mit einer Hand unter ihr T-shirt, um ihre weiche Haut zu spüren.
„Scheint, als hättet ihr euch wieder vertragen", wurden wir auf einmal von einer lauten Stimme unterbrochen. Erschrocken zuckten wir zusammen, als hätte man uns bei etwas Verbotenen erwischt. Zack hatte den innigen Moment zwischen uns zerstört.
„Zack", entfuhr mit mit zerknirschter Miene, während ich mich langsam zu ihm umdrehte. Man musste mir ansehen, wie verärgert ich über die Unterbrechung sein musste.
„Tut mir leid, ich wollte euch nicht stören", die Stimme meines Freundes klang angetrunken und sonderbar erheitert. Mehr noch, er schien geradeso vor Glück heraus zu platzen.
„Nicht schlimm", sprach Shy für mich weiter, während sie einen Schritt zu Zack trat. „Was ist denn los?"
„Brook meinte, ich solle nach dir sehen, weil sie dich alleine nach oben gehen sehen hat. Sie wusste anscheinend nicht, dass Leke auch hier ist. Aber da war noch etwas, weswegen ich zu dir kommen sollte..." Mittlerweile schien Zack zu realisieren, was er angerichtet beziehungsweise wobei er uns gerade unterbrochen hatte.
„Es ist alles in Ordnung!", versuchte Shy ihn zu beruhigen und ich hörte ein beruhigendes Lächeln aus ihren Worten heraus.
„Gut, gut", murmelte Zack. Der arme Junge schien ein wenig durcheinander.
„Und was war jetzt der zweite Grund?", hakte ich verwirrt nach, um ihm wieder auf die Sprünge zu helfen.
„Oh, jetzt fällt es mir wieder ein!", Zack stockte. „Jasper ist eben umgekippt."
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The blind Badboy
Teen FictionJeder spielt als Kind verstecken in der Dunkelheit. Jeder schließt die Augen und stellt sich vor, was wäre wenn. Doch niemand tut es für immer. Leke schon. ~Ein braunhaariger Tollpatsch, blind und ziemlich durchgeknallt, steigt ein in das Rennen um...