Shys Sicht: zwei Stunden zuvor
Verdammt. Warum musste auch immer alles so kompliziert sein? Warum konnte ich meine Augen einfach nicht von Leke lassen, obwohl ich ihn doch eigentlich in Ruhe lassen wollte.
Vielleicht war es sein konzentrierter Gesichtsausdruck? Oder aber der Fakt, dass er mich den ganzen Abend lang schon ignoriert hatte. Keinen einzigen Blick hatte er mir zugeworfen, noch nicht einmal ein erkennendes Lächeln oder wenigstens ein Blinzeln.
Nein, einfach nichts.
Und das machte mich fertiger, als ich vielleicht zugeben würde.
Ich wusste doch auch nicht, was ich für ihn empfand, aber dieser Idiot machte die Situation nicht gerade einfacher. Nie konnte man sich bei ihm einer Sache sicher sein.
„Shy, hey!", Jacks Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte von meinem Sitz hoch geradewegs in die bezaubernd blauen Augen meines Tanzpartners.
„Hi!", ich lächelte ihm erfreut zu und er lächelte zurück.
„Darf ich?", ohne eine Antwort abzuwarten ließ er sich neben mir nieder. Ich beobachtete ihn weiter, während er sich mit einer Hand durch die blonden Haare fuhr.
„Wer hätte gedacht, dass unser Alex so eine Party auf die Beine gestellt bekommt, was?", bemerkte er grinsend und deutete mit seinen Armen auf die Szene vor uns. Meistens waren es Seniors, die in kleinen Grüppchen herumstanden, sich unterhielten oder im Takt der Musik tanzten.
Ich zuckte mit den Schultern: „Ja, schon cool..." Ich kannte Alex nicht, konnte daher auch nicht sagen, ob diese Party etwas besonderes war oder nicht.
Ich spürte, wie Jack langsam immer näher kam. Wie selbstverständlich legte er einen Arm um meine Schulter und blickte mich an. Ich schluckte. Was wollt er von mir?
Er konnte doch nicht erwarten, dass wir ... uns küssen würden? Ich meine, so lange kannte ich ihn nun auch nicht. Er war nett, ja, aber ich würde ihn vorher noch ein bisschen besser kennen lernen wollen, bevor ...
Mein Atem beschleunigte sich und ich blickte unruhig alles andere an, bloß nicht ihn. Die Musik wurde lauter gedreht, was ein paar vereinzelte Freudenschreie auslöste. Ohne es zu wollen blieb mein Blick erneut an Leke hängen, der in der anderen Seite des Wohnzimmers saß.
Dessen Größe beeindruckte mich jedes mal aufs neue. Die dicken Perserteppiche, der glänzende Flügel, die Kronleuchter ließen einen vorkommen, als wäre man in einer anderen Welt.
Doch gerade jetzt hatte ich nur Augen für den Braunhaarigen, der sich angeregt mit seinen Freunden unterhielt.
„Leke Flynn?", erschrocken zuckte ich zusammen, als Jack seinen Namen sagte. Er war meinem Blick gefolgt und starrte Leke nun mit zusammengekniffenen Augen an.
Seine Miene verzog sich zu einer angeekelten Grimasse, während er meinte: „Sag bloß, du hast für den Idioten was übrig."
Er zog fragend, fast anklagend, eine Augenbraue hoch und beobachtete meine Reaktion.
Verwirrt über sein Verhalten fing ich an, vor mir hin zu stammeln. „Ich ... weiß auch nicht. Und wenn?"
Seine Worte weckten eine gewisse Neugierde bei mir, ich wollte wissen, warum der Blondhaarige Prinz, der von jedem nur angehimmelt wurde, Leke nicht mochte.
„Du weißt nicht? Man muss doch wissen, ob man eine Person mag oder nicht?", entgegnete er mir ungläubig.
„Ich ... er ist ganz okay", meinte ich schließlich, während ich unruhig auf dem Sofa hin und her rutschte. Plötzlich gefiel es mir ganz und gar nicht mehr, dass sein Arm auf meinen Schultern lag und sein Mund meinen Ohren so unheimlich nah war, damit ich ihn verstehen konnte.
„Warum?", wiederholte ich meine Frage. Ich wollte eine Antwort auf sein merkwürdiges Benehmen.
Doch erneut ignorierte er sie. „Ganz okay? Was heißt das? Leke Flynn ist ein Tollpatsch, und dennoch lieben ihn alle Mädels. Ich verstehe euch nicht. Was ist denn an ihm so besonders? Dass er eine Lederjacke trägt? Tue ich auch. Die Sonnenbrille etwa? Ja, die muss es sein. Ich sollte mir auch eine zulegen. Oder liegt es-"
„Jack!", unterbrach ich seinen Monolog bestimmt und beugte mich vor, um ihm besser in die Augen sehen zu können.
„Jack, was soll das? Du benimmst dich wirklich komisch!"
„Ach ja?", sein Lächeln war verschwunden, stattdessen war es einer todernsten Miene gewichen. „Ich habe euch reden gesehen. Öfters. Und weißt du, wie es mir vorkam? Nein?"
Ich schüttelte den Kopf, verwirrt und beunruhigt, was jetzt folgen würde.
„Es kam mir so vor, als wäret ihr ein altes Ehepaar, dass sich mal wieder in die Haare gekriegt hat. Als würde die Energie zwischen euch beiden nur so sprühen. Als wäret ihr ... zusammen."
„Was?", entfuhr es mir erschrocken. Automatisch waren meine Augen ganz groß geworden. Ich starrte ihn an, unfähig, auch nur einen weiteren Ton zu sagen.
Leke und ich? Zusammen? Sah es für andere Leute wirklich so aus? Nein, dass konnte doch nicht. Das ging nicht, ich meine, wir stritten uns doch nur die ganze Zeit!
„Soll das heißen, dass ich Recht habe? Seid ihr ein Paar?", Jack blickte mich grimmig an und es war ihm anzusehen, dass ihm diese Idee kein bisschen gefiel.
„Nein", bemühte ich mich schnell zu antworten. Heimlich versuchte ich mir die schwitzigen Hände an der Jeans abzuwischen.
„Gut", Jack wirkte sichtlich erleichtert und auf einmal lächelte er mir wieder zu. Doch ich schaffte es nicht, zurück zu lächeln. Zu sehr hatte mich sein Vorwurf noch im Bann.
Auf einmal spürte ich etwas Warmes an meiner Hand. Jack Finger wanden sich um meine. Verwirrt blicke ich von unserer Verbindung hoch zu ihm. Auf einmal waren seine Lippen meinen unglaublich nahe, seine Augen starrten mich nur von wenigen Zentimetern entfernt an.
„Du hast so unglaublich schöne Augen", murmelte er, während er mir immer näher kam. Ich wich zurück, doch er rückte einfach nach.
„Danke", murmelte ich abgelenkt und blickte mich erneut hilfesuchend um. Doch Brook unterhielt sich immer noch mit Zack. Und Leke ignorierte mich ja. Verdammt.
Ich spürte, wie Jacks Hand meinen Arm entlangwanderte, spürte, wie sich jedes einzelne Härchen von mir aufstellte, nachdem er darüber gefahren war.
„Jack", meine Stimme stockte, so gefangen war ich.
Aber ich wollte das nicht. Kein bisschen. Seine Lippen kamen immer näher, während mein Herz fast aussetzte. Ich wollte ihn nicht verletzten oder gar bloßstellen, wenn ich jetzt aufstand, aber was blieb mir schon anderes übrig?
„Jack, lass das!", ich schob seine Hand weg und stand unwillkürlich auf. Immer noch völlig aufgelöst strich ich meinen Pulli glatt und flüchtete nach draußen, ohne mich noch einmal umzusehen.
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The blind Badboy
Teen FictionJeder spielt als Kind verstecken in der Dunkelheit. Jeder schließt die Augen und stellt sich vor, was wäre wenn. Doch niemand tut es für immer. Leke schon. ~Ein braunhaariger Tollpatsch, blind und ziemlich durchgeknallt, steigt ein in das Rennen um...