Shys Sicht:
Ich spürte, wie sich langsam eine Hand um mich schlang und mich näher zu sich heranzog. Lächelnd kuschelte ich mich noch ein wenig mehr an Lekes warmen Körper und genoss die Vertrautheit dieser Geste.
„Morgen", murmelte er mit rauer Stimme, sodass ich einen Gänsehaut bekam.
„Morgen", erwiderte ich grinsend, drehte mich nun doch andersherum und gab ihm einen Kuss. Ich studierte ihn, sein Gesicht, seine leicht verschleierten Augen. Er sah einfach unglaublich gut aus und ich mochte es, wie ihm die verwuschelten Haare in die Stirn fielen, als wäre er gerade von einem Orkan überrascht worden.
„Auch, wenn ich es nicht beweisen kann, merke ich dennoch, wenn du mich anstarrst", riss Leke mich aus meiner Betrachtung und führte dazu, dass sich meine Wangen rot verfärbten.
„Ach Tatsächlich?", bemerkte ich und tat unbekümmert, während ich mich wieder ein wenig von ihm distanzierte und die Decke hoch bis unters Kinn zog. „Woher willst du das wissen?"
„Nun ja", fing er an und ein Lächelnd breitete sich auf seinem Gesicht aus, „Dein Atem geht dann immer besonders schnell."
„Mein Atem?", wiederholte ich stirnrunzelnd und musste lachen.
„Die meisten Menschen denken gar nicht daran, wie sehr die Atmung und ihr Herzschlag sie verraten kann. Man muss nur richtig hinhören, dann bekommt man einiges über jemanden heraus." Leke zuckte mit den Schultern.
„Muss ich jetzt Angst haben?", neckte ich ihn, wobei ich im inneren noch größere Ehrfurcht vor seinem Können gewann.
„Nein", lachte er und war meinen Lippen auf einmal unheimlich nah. „Ich hoffe doch stark, dass ich schon alles weiß, was ich erfahren könnte."
Nachdem ich mich angezogen und eine Katzenwäsche hinter mir hatte, war ich nach Hause gegangen. Der Weg war zwar etwas weiter, doch er gab mir genug Zeit um über meine Situation nachzudenken.
Es fühlte sich richtig an, Leke verziehen zu haben, auch wenn es immer noch still und heimlich zwischen uns stand. Nur weil niemand traute es auszusprechen, hieß das nicht, dass der Streit nicht noch immer in unseren Köpfen herumgeisterte.
Gerade, als ich zuhause angekommen war, meldete sich auf einmal mein Handy zu Wort. Erstaunt starrte ich auf das Zeichen für eine SMS. Wer verschickte diese heutzutage bitte noch?
Verwundert registrierte ich, dass es von einer Privaten Nummer kam. Ihr Inhalt war einfach und kurz.
Es tut mir leid. Mein Verhalten hattest du nicht verdient. Niemand hat das.
Ich musste automatisch lächeln, als ich ihren Inhalt verstand. Es wäre nicht nötig von Leke gewesen, sich erneut zu entschuldigen, doch damit wollte er offensichtlich sicher stellen, dass alles zwischen uns wieder normal war.
Es war Nachmittag, als ich mich wieder auf den Weg machte, um die anderen bei Jasper zu treffen. Als Brook jedoch die Tür aufmachte, starrte ich sie verdutzt an. Die grinste leicht und umarmte mich, bevor sie mich hereinließ.
„Die anderen sind oben. Ich freue mich, dass du es noch geschafft hast."
„Natürlich", erwiderte ich nur und blickte nach oben, als könne ich durch die Decke direkt in Jaspers Zimmer sehen. „Wie geht es ihm?"
Brook zuckte mit den Schultern und ihr blondes Haar wippte auf und ab. „Den Umständen entsprechend. Er hat höllische Kopfschmerzen, zumindest nach dem, was er erzählt." Sie rollte mit den Augen. Ich grinste. Jungs konnten schon ziemliche Pussys sein.
Doch oben angekommen überkam mich ein schlechtes Gewissen, so etwas gedacht zu haben. Jasper schien, wenn das möglich war, noch weißer als gestern Abend und ein glänzender Schweißfilm bedeckte seine Stirn, sodass es aussah, als hätte er Fieber.
Die anderen waren schon alle da. Pacey und Leke saßen zu Jaspers Füßen auf dem Bett und Zack lungerte in einer Ecke des Zimmers herum wie ein in die Enge getriebener Löwe. Der Blondschopf nahm einen Stift nach dem anderen in die Hand, drehte ihn und legte ihn dann an einen ganz anderen Platz.
Verwirrt zog ich eine Augenbraue hoch, widmete mich dann jedoch wieder Jasper. „Kein Arzt", murmelte dieser gerade mit wütender Stimme zu Pacey, welcher bei seinem Ton erschrocken zusammen zuckte. „Der kann mir auch nicht helfen."
„Aber was redest du denn da?", fragte ich kopfschüttelnd. Wenn ich es nicht wüsste würde ich sagen, den Lockenkopf hatten die Lebensgeister verlassen.
Jasper war sonst derjenige aus der Gruppe, welcher die meisten Witze machte und immer nur so vor Energie sprühte. Dieser schlaffe Junge auf dem Bett schien nichts mehr mit ihm gemeinsam zu haben.
„Ich sag nur wie es ist", er funkelte mich aus zusammen gekniffenen Augen aus an, „mir fehlt nichts. Ich brauche einfach nur etwas Ruhe, aber dass wollt ihr ja nicht verstehen."
Wir alle wusste, dass das nicht alles war. Etwas hatte sich wie ein mächtiges Schatten über Jaspers Leben gelegt und es war unsere Aufgabe, den Grund dafür herauszufinden.
Ich betrachtete die frischen Verbände um seine Handgelenke, die sich bis zu seinen Ellenbogen hochwanden. Er trug ein rot schwarzes Holzfällerhemd und eine Jogginghose. So betrachtet wirkte er ganz normal.
Normal für einen Jungen, der vor ein paar Tagen gerade so dem Tod von der Schippe gesprungen ist, dachte ich ironisch.
„Komm schon Jas, was auch immer es ist, du kannst es uns sagen!", forderte Leke ihn auf und wir anderen nickten zustimmend. Ich biss mir auch die Lippen, während Jasper hin und her gerissen schien, uns endlich die Wahrheit zu sagen.
„Du kannst uns vertrauen. Wir sagen es auch keinem!", versprach ich und sah ihn eindringlich an. Schließlich seufzte er und schüttelte den Kopf.
„Wem solltet ihr es auch schon erzählen? Es will ja doch keiner hören."
„Was hören? Jas, du musst es uns schon sagen", Brook versuchte sichtlich, sich im Zaun zu halten. So stürmisch hatte ich sie schon lange nicht mehr erlebt. Sie schien Jasper in der nächsten Sekunde an die Kehle zu springen, wenn er nicht bald mit der Sprache rausrücken würde.
Jasper schlug mit der Faust auf das Bett. „Dass ich Albträume habe, verdammt. Dass ich in den letzten Tagen so gut wie nicht geschlafen habe, denn immer, wenn ich die Augen zumache, bin ich wieder mitten in diesem Feuer und um mich herum schlagen die Flammen wie verrückt. Und dann rücken sie immer näher, langsam aber stetig schleichen sie sich an wie wilde Wölfe und haben nur ein Ziel: mich zu verschlingen.
Zu diesem Zeitpunkt wache ich immer schreiend auf, wenn sie meine Haut bereits in Brand gesetzt haben und mir der Geruch nach verbranntem Fleisch in die Nase steigt, bis mir schlecht wird.
Und dann renne ich zum Badezimmer und kotzte mir die Seele aus dem Leib, denn anders funktioniert es nicht. Nun sagt mir, ist es das, was ihr hören wolltet?"
Er starrte uns alle der Reihe nach aus leeren, roten Augenhöhlen aus an, die Qual nun hässlich ins Gesicht geschrieben, nun, wo die Wahrheit endlich ausgesprochen war.
Wir sahen uns betroffen an. Doch ich fand nur Verständnis in den Blicken der anderen. Doch, sie wussten genau was Jas meinte.
Armer Jasper. Vor Schmerz gepeinigt konnte er an nichts anderes mehr denken als an die Nacht, in der wir alle beinahe ums Leben gekommen waren. Er war einer gewesen, die am längsten dort oben gewesen waren. Und durch seine angetrunkene Sicht war ihm bestimmt alles noch viel intensiver und gefährlicher vorgekommen, als es ohnehin schon war.
Doch wie würden wir ihn bloß wieder heilen können, wenn es nicht sein Körper, sondern sein Kopf war, der krank war? Er hatte Recht. Hier würde kein normaler Arzt helfen können.
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The blind Badboy
Teen FictionJeder spielt als Kind verstecken in der Dunkelheit. Jeder schließt die Augen und stellt sich vor, was wäre wenn. Doch niemand tut es für immer. Leke schon. ~Ein braunhaariger Tollpatsch, blind und ziemlich durchgeknallt, steigt ein in das Rennen um...