25. Die unausgesprochene Wahrheit

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Shys Sicht:

„Hallo, bist du noch dran?", ich versuchte nicht zu aufgeregt zu klingen. Doch in Wahrheit spielten sich in meinem Kopf bereits verschiedene Szenarien durch.

Du bist viel zu aufdringliche!, zischte meine Innere Stimme, die sich immer lauter zu Wort meldete: Leg auf! Du hättest ihn nie anrufen dürfen, er ist es nicht wert, sich über ihn den Kopf zu zerbrechen!

Und ganz ehrlich? Je länger dieser verdammte Idiot mir nicht antwortete, desto mehr spielte ich mit den Gedanken wirklich aufzulegen.

„Ja ... ich bin noch ... da. Aber ich, also ich kann heute leider nicht, sorry", murmelte Leke auf einmal und es erstaunte mich zu hören, dass er sogar ein wenig schuldbewusst klang.

„Aha", stieß ich leise aus und versuchte meine Enttäuschung zu verbergen. War doch klar. Warum hast du dir überhaupt die Mühe gemacht?

Er hat keine Lust mit dir etwas zu machen und wenn du ehrlich bist hast du es auch nicht. Denk doch nur an die vielen Beleidigungen, die er dir schon an den Kopf geworfen hat.

Ein Stoß wütender Energie durchfuhr mich. Kurzerhand nahm ich das Handy vom Ohr und drückte ihn weg. Diesen blöden, keine Zeit habenden, Idioten.

Ich hatte eh noch etwas anderes zu klären. Sollte er ruhig das machen, was er an einen Samstag halt so machte, konnte mir doch egal sein.

                                               * * *

„Wo warst du?", mir blieb keine Zeit für eine Begrüßung. Nachdem ich Brook umarmt und mich somit vergewissert hatte das sie noch lebte, tigerte ich auch schon mit hoch gezogener Augenbraue durch ihr gewohntes Zimmer.

Meine beste Freundin hob mit einer entschuldigenden Geste die Hände und sah mich ein wenig hilflos an.

„Ich dachte, bei dir wäre alles in Ordnung. Du hast gesagt, du würdest noch bleiben wollen. Es tut mir leid."

Sie biss sich unbewusst auf die Lippen.

Während ich sie prüfend musterte ließ ich mich auf ihrem Schreibtischstuhl nieder und griff nach dem Erstbesten, dass mir in die Finger kam.

„Mhh, habe ich das? Irgendwarum kann ich mich nicht mehr an gestern Abend erinnern, auf jeden Fall nicht vollständig..."

„Aber wie das? Du hast doch gar nicht soo viel getrunken...", Brook sah mich mit schockierter Miene an. Ihre weit aufgerissenen Augen sprachen von selbst für sie.

Hätte ich das gewusst ...

„Hast du aber nicht", antwortete ich ihren Gedanken mit resignierter Stimme und ließ den Bleistift zwischen meinen Fingern kreisen, ohne sie aus den Augen zu lassen.

Irgendetwas an Brooks Verhalten machte mich stutzig.

„Was ist gestern Abend noch passiert, von dem ich nichts weiß?", hakte ich mit gerunzelter Stirn nach und strafte sie mit einem wissendem Blick.

„Ich...", Brooks Wangen färbten sich rot und sie nestelte nervös an ihrer roten Bettdecke herum.

Eine ganze Wand ihres Zimmers war rot, während die anderen in einem schlichten weiß gehalten waren. Die meisten Möbel dagegen waren wieder Holzfarben.

Ich zog fragend eine Augenbraue hoch.

„Also... Zack hat mich netter weise nach Hause gefahren, das ist alles", ratterte sie schnell hinunter und fügte sofort hinzu, „Und was ist bei dir passiert?"

„Ich habe bei Harry geschlafen und Leke und Jasper haben mich dann nach Hause gebracht, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Lenk' nicht von dir ab. Du bist also nur von Jack gefa-"

„ZACK!", unterbrach sie mich auf einmal und räusperte sich entschuldigend, während sie nur noch roter wurde. „Er heißt Zack. Und ja, das war alles."

„Sicher?", hakte ich grinsend nach in dem Bewusstsein, dass ihr das Thema ziemlich unangenehm war.

„Sicher! Da war nichts", beteuerte meine Freundin und lächelte mir zu. Dieses Strahlen in ihrem Gesicht konnte fast einem Kernreaktor Konkurrenz machen.

Ich nickte fürs erste zufrieden mit den Informationen und legte mit einer bestimmen Bewegung den Stift wieder an seinen Ursprungsplatz.

Meine Miene wurde wieder ernst, als ich mich ihr mit wachen Augen zu wandte.

„Und jetzt sagst du mir alles, was du über Leke Flynn weißt. Und wenn ich sage alles, dann meine ich auch alles!"

Irgendwie schien sie diese Ansage zu schockieren, auch, wenn sie es zu verheimlichen versuchte. Aber mir konnte sie nichts vormachen.

„Shy, nicht. Stochere nicht in etwas, von dem du keine Ahnung hast!", ihre Stimme warnte mich regelrecht davor, fort zu fahren.

Aber ich hatte mich noch nie um gut gemeinte Ratschläge gekümmert. Nein, stattdessen stachelten mich ihre Worte nur noch mehr an.

Was war da für ein Geheimnis von dem alle wussten, nur ich nicht?

„Ich bin nicht dumm, Brook. Ich kann eins und eins zusammen zählen!", meine Stimme stockte und ich schaute ihr in die Augen, während ich meinte.

„Ich weiß es."

Was folgte war Stille. Brook schluckte erst, bevor sie fragte: „Was weißt du?"

„Ich weiß, dass niemand hier so richtig die Wahrheit sagt und das etwas hier verdammt faul ist", sagte ich bestimmt und blickte sie herausfordernd an.

„Ich weiß, dass Leke die Selbsthilfegruppe besucht. Habe ich Recht?"

„Ich ...", stammelte Brook und ließ hilflos die Schultern sinken.

„Komm schon", fuhr ich bittend fort und rollte mit dem Stuhl in ihre Richtung, „du kannst es mir sagen. Ich verrate es auch keinem!"

Ich wusste, dass meine Freundin in sich einen Kampf ausfocht. Darum, ob sie es mir sagen konnte, sagen durfte, oder nicht. Aber ich hatte es längst erraten.

Schließlich passte alles zusammen.

„Ich wusste es!", stieß ich atemlos hervor, als sie leicht nickte. Plötzlich sah sie gar nicht mehr fröhlich aus, stattdessen war da tiefe Traurigkeit.

„Ich meine, dieser Vorfall auf dem Dach und diese stetige Gereiztheit...einfach alles."

Jetzt, da ich Gewissheit hatte, kam ich mir auf einmal schrecklich gemein vor. Ich war so aufdringlich gewesen. So trotzig.

Diese Tatsache änderte einfach alles.

„Du darfst es niemanden sagen, hörst du?!", beschwor mich Brook mit ernstem Blick und griff nach meiner Hand.

„Keinem!", stimmte ich ihr leise zu, „Versprochen."

„Weißt du", murmelte meine beste Freundin mit trauriger Stimme, „manchmal ist es besser bestimmte Sachen nicht zu wissen."


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt