Lekes Sicht:
„Mein Vater ist ein Säufer."
Ich starrte in die Leere. Währenddessen positionierte sich Shy vorsichtig mit der heißen Tasse in der Hand auf dem Bett. Der Geruch des Himbeertees drang süß zu mir herüber.
„Meiner auch. Oder war zumindest. Seit ein, zwei Jahren hat er es wieder in den Griff bekommen", ich horchte überrascht auf, als sie das sagte. Es erstaunte mich, dass wir mit dem selben Problem zu kämpfen hatten.
„Aber ... wie?", ich konnte einfach nicht anders. Ich musste wissen, wie ihr Vater es geschafft hatte, dem Alkohol den Rücken zuzukehren. Langsam keimte so etwas wie Hoffnung in mir auf.
„Meine Mutter und ich, wir haben uns Hilfe geholt. Professionelle Hilfe. Mit der wir meinen Vater dazu gebracht haben, eine Suchttherapie zu machen. Es war am Anfang nicht leicht für ihn, für uns alle nicht. Menschen bei diesem Prozess zu begleiten ist kein Spaß, dass kann ich dir sagen. Doch dafür, was nachher entsteht, lohnt es sich zu kämpfen."
Shy stockte, während sie sich an die Ereignisse zu erinnern schien.
„Aber, hat er das denn einfach so mitgemacht, dein Dad?", hakte ich weiter nach, während ich mich langsam hinlegte. Wir waren in dem Zimmer von Jaspers kleinem Bruder, der heute extra bei Freunden übernachtete, damit wir ihn nicht stören konnten.
Obwohl ich eher vermutete, dass er eher uns gestört hätte – mit seinen nächtelangen Videospielen. Glück für uns, dass er ein großes Bett hatte.
„Nein", sie lachte leicht auf, „natürlich nicht. Aber irgendwann ist ihm klar geworden, dass es keine Alternative mehr gibt, wenn er seine Familie behalten möchte. Er hat sich für uns entschieden."
„Das ist schön", murmelte ich wehmütig und dachte an meinen eigenen Vater. Ob er wohl auch so weit gehen würde?
„Wenn du willst helfe ich dir gerne mit ... du weißt schon, deinem Vater", ich spürte bei ihren Worten augenblicklich ein Flattern im Magen. Wie sehr ich sie einfach liebte. Für alles an ihr.
„Danke", flüsterte ich und tastete nach ihrer Hand, um sie zu drücken. Ich spürte, dass sie lächelte. Genauso wie ich.
„Oh Gott, langsam bin ich echt müde", murmelte Shy plötzlich in die aufkommende Stille hinein und rieb sich über die Augen. Zeitgleich musste ich zustimmend gähnen.
„Der Abend war auch ganz schön lang", bemerkte ich mit einem leichten Strich meines Zeigefingers über meine Uhr. Kurz vor fünf. Morgens, wohlgemerkt.
„Aber auch wirklich schön", bei ihren Worten musste ich erneut lächeln.
„Ja", stimmte ich ihr verträumt nickend zu. Ich spürte bereits, wie mein Kopf immer schwerer wurde und die Anspannung in meinen Knochen nachließ, die über den Tag stärker geworden war. Mit letzter Kraft kletterte ich unter die Decke und hörte, wie Shy es mir gleichtat.
„Meinst du, dass für meinen Vater noch Hoffnung besteht?" Ich musste es einfach fragen. Diese Frage brannte mir schon seit Jahren auf dem Herzen und endlich schien ich die Person gefunden zu haben, die sie mir beantworten konnte.
„Für jeden Menschen gibt es Hoffnung", murmelte sie ernst und wendete sich mir zu. Sanft spürte ich ihren warmen Atem auf meiner Haut.
„Und für wen es keine gibt, der ist entweder gestorben oder hat niemanden mehr, der an ihn denkt. Das ist unheimlich traurig. Aber ich weiß, dass du an deinen Vater denkst. Somit gibt es auch für ihn Hoffnung."
„Bist du sicher?", hakte ich müde nach.
„Ja"
Dann schlief ich ein. Lächelnd. Und glücklich. Und voller Hoffnung.
***„Mooooooorgen, ihr Schlafmützen!", erschrocken richtete ich mich auf, als ich auf einmal Jaspers Geschrei immer näher kommen hörte. Keine gute Idee.
Im selben Moment spürte ich einen Luftzug und schon hatte sich mein bester Freund mit vollem Körpereinsatz auf uns draufgeschmissen. Mit einem genervten Stöhnen quittierte ich sein unverhofftes Gewicht auf mir.
„Aufstehen, es gibt gleich Mittagessen!", der Lockenkopf schrie einfach noch immer! Ich glaubte mein Trommelfell würde jeden Moment platzen, als er sich immer noch nicht bewegte.
„Geh weg da", raunzte ich ihn müde an und versuchte ihn durch Drehen und Wenden von mir herunter zu werfen. Oder zu rollen. Oder ihn überhaupt zu Bewegen. Aber Jasper bewies nur erneut, wie viel er mit einem Stein gemeinsam hatte.
Wild schreiend trommelte er neben und auf mir herum, als wäre er ein wilder Indianer. Wahrscheinlich hatte er sogar noch passenderweise sein rotes Bandana an.
„Jetzt reicht's aber!", ich hörte Shy neben mir lachen, doch davon ließ ich mich nicht ablenken. Mit vollem Kraftaufwand stemmte ich meinen Unterkörper in die Höhe und sorgte dafür, dass Jasper vom Bett kullerte. Sag ich doch, Stein.
„Hey!", stieß dieser empört aus, aber ich machte mir nichts daraus. Mit einem weiteren Seufzer stand ich auf und fing an, meine Sachen zu suchen. Wie gut, dass ich bereits gestern vor dem Abschlussball Klamotten in dieses Zimmer gebracht hatte. Eigentlich hatte ich hier mit Pacey schlafen sollen.
„Pah", stieß ich noch aus, bemüht beleidigt zu klingen, und stolzierte ins Badezimmer. Nach einer kurzen Zeit kam ich bereits wieder frisch geduscht und umgezogen die Treppe nach unten gelaufen. Schon von weitem schlug mir der Geruch von Pizza entgegen.
„Ich dachte es gibt Mittagessen", murmelte ich ein wenig grummeliger als beabsichtigt, als ich mich am Essenstisch niederließ. Die anderen schienen schon alle am Essen zu sein. So viel zum Thema Höflichkeit bei uns.
„Gibt es doch auch", meinte Jasper mit ernster Stimme. Ich wusste, dass er sich innerlich nicht halten konnte vor grinsen.
„Haha. Ich meine etwas richtiges."
„Nur weil für dich Pizza nichts richtiges ist, heißt das ja nicht, dass wir es nicht holen können, oder?", schaltete sich Brook ein.
„Touche", meinte Zack grinsend. Natürlich. Genervt verdrehte ich die Augen.
„Oder willst du etwa kochen?", schlug Shy mit anzüglicher Stimme vor und ich starrte sofort in die Richtung, aus der die Wörter gekommen waren.
„Nein", musste ich dann jedoch zugeben und griff nun doch in die Mitte des Tisches, um nach der Pizza zu fischen.
„Na dann, guten Appetit", meinte Jasper zufrieden. Ich musste schon selber beim Abbeißen wieder lächeln. Dieser Haufen war einfach unbezahlbar.
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The blind Badboy
Teen FictionJeder spielt als Kind verstecken in der Dunkelheit. Jeder schließt die Augen und stellt sich vor, was wäre wenn. Doch niemand tut es für immer. Leke schon. ~Ein braunhaariger Tollpatsch, blind und ziemlich durchgeknallt, steigt ein in das Rennen um...