33. Selbstgespräche sind auch Gespräche

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Lekes Sicht:

„Was machen wir jetzt?", fragte ich in die Runde.

„Ich kann heute nicht", meinte Pacey mit entschuldigender Stimme.

„Ich auch nicht ...", fügte Zack blitzschnell hinzu.

„Was ist denn heute?", hakte ich verwirrt nach und versuchte mich auf Zacks Schemen zu konzentrieren.

Es war bereits der nächste Tag, die Schule war vorbei und wir standen am Eingangstor der Northern High School. Eigentlich hatte ich zuhause bleiben wollen.

Seit der Konversation mit Brook, Shy, und der Selbsthilfegruppe hatte ich ständige Kopfschmerzen und gestern hatte ich sogar beinahe gekotzt.

Mein Körper spürte, dass etwas nicht in Ordnung war und reagierte dementsprechend.

„Heute ist die erste Tanzstunde", antwortete mir Jasper mit ruhiger Stimme, doch ich hörte die Vorsicht heraus.

Ich war ein Mensch, der seine bestimmten Regeln und Tagesabläufe brauchte. Sie gaben mir die Kontrolle, die ich durch meine Augen verlor. Und in den letzten Tagen und Wochen drohte mein sorgsam aufgebautes Konstrukt in sich zusammen zu fallen.

„Was?", rief ich überrascht aus und war froh, dass meine Sonnenbrille meine aufgerissenen Augen verdeckte, „du etwa auch, Jas?"

„Wir gehen alle, Leke."

Ich zuckte bei seinen Worten zusammen. Alle. Außer mir. Mal wieder.

„Aha", murmelte ich und fühlte mich auf einmal seltsam verlassen.

Dabei wusste ich tief in mir, dass das nicht stimmte. Doch da mir in letzter Zeit alle die kalte Schulter zeigten, schien ich das von meinen besten Freunden irgendwie auch zu erwarten.

„Du kannst bestimmt immer noch mitmachen ...", schlug Zack mit leicht schuldbewusster Stimme vor.

Ich wusste, dass er gerade unentwegt an seinen Lippen kaute, wie immer, wenn er ein schlechtes Gewissen hatte. Aber er sollte keines haben.

Wir beide wussten, dass das nicht mehr ging. Der Anmeldetermin war längst vorbei.

„Ich will gar nicht!", beteuerte ich, konnte aber nicht verhindern, dass sich in meine Stimme ein bitterer Unterton mischte.

Dabei war das die Wahrheit. Was sollte ich schon bei einem Tanzkurs, wo ich noch nicht einmal meine Tanzpartnerin sehen konnte?

Nein, ich war nicht für so etwas gemacht und das hatte ich von Anfang an schon gewusst. Ich hatte also genug Zeit gehabt, mich damit abzufinden.

„Es ist nicht schlimm", fuhr ich fort, um den anderen die Laune nicht zu verderben, „wirklich! Genießt eure Stunden und macht euch keinen Kopf um mich!"

„Okay", sagte Pacey beruhigt und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, „vielleicht können wir dir ja trotzdem was beibringen?"

Wir lachten alle gleichzeitig auf.

„Mir? Etwas beibringen? Ich glaube, du überschätzt dich!", meinte ich grinsend und auf einmal war die Wut und das Gefühl der Einsamkeit verschwunden.

Doch das währte nur so lange, bis ich auf einmal zwei Personen auf uns zukommen hörte. Anhand der Schritte konnte ich sie schon mehrere Meter zuvor bemerken.

„Hey!", begrüßte Zack sie und ich konnte das Lächeln in seinen Worten hören, als sie bei uns ankamen.

Doch ich rückte nicht von der Mauer weg, an der ich stand, um ihnen Platz zu machen. Denn ich hatte auf einmal eine böse Vorahnung, WER da vor mir stand.

„Hi", antworteten Shy und Brook freundlich. Anhand der Lautstärke ihrer Worte wusste ich, dass sie mir den Rücken zugekehrt hatten. Wie nett.

„Können wir?", fragte Brook. Doch ich hatte keine Ahnung, wen sie von uns meinte.

„Klar", antwortete Zack schnell, bevor er sich in Bewegung setzte, „tschau Leke!"

Ich nickte ihm zu, wusste ich doch, dass aus meinem Mund kein Ton kommen würde.

Der war viel zu sehr damit beschäftigt, vor Wut fast zu einem Strich zu verschmelzen, während ich mich davor hütete, meinen Freunden hinterher zu sehen, die sich nun ebenfalls in Richtung Turnhalle begaben.

„Bis morgen, Leke!", murmelte Jasper in meine Jacke, als er mich umarmte und mir zum Schluss aufmunternd auf die Schulter klopfte.

Immer noch stumm grummelte ich etwas Unverständliches vor mir hin. Ich wollte nicht wie einsamer Freak hier stehen bleiben, deswegen begann ich mich auf den Weg nach Hause zu machen.

Ich konnte es mir nicht erlauben, alleine hier stehen zu bleiben.

Mit wem sie wo-...

Halt! Wehe, du denkst darüber nach!, stoppte ich selber meine eigenen Gedanken. Das würde sie nur noch mehr freuen, glaub mir.

Aber ....

Nein, lass es. Vergiss es einfach wieder, okay?

Doch ich konnte nichts dagegen machen. Die Frage schwirrte in meinem Kopf wie ein lästige Fliege, seitdem SIE in mein Hörspektrum gekommen war.

Mit wem Shy wohl den Tanzkurs macht? Mit wem geht sie wohl zum Ball? Wen mag sie lieber als mich?

„Ahhh, verdammt!", brüllte ich ganz plötzlich auf, riss den unsichtbaren Faden, der meinen Mund verschnürte, auseinander und trat mit meinem Fuß gegen die Luft.

Die Wut war wieder da, heiß und neu, und ich konnte rein gar nichts dagegen tun. Denn ich konnte Shy nicht sagen, dass ich blind war. Das ging einfach nicht.

Weil du es scheiße machst, schwirrten Brooks Worte in meinem Kopf herum. Allein du.

War das fair? Nein, war es nicht, beantwortete ich mir selber meine Frage. So tief war ich also schon gesunken, dass ich nun Selbstgespräche führte.

„Bis jetzt hast du es doch jeden gezeigt!", flüsterte ich auf einmal und spürte, wie ich neuen Mut tankte, ganz von alleine.

„Warum zwingst du dich selber immer wieder in die Knie? Du müsstest doch wissen, dass das aufstehen immer schwerer wird. Aber du schaffst es. Das hast du immer."


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt