80. Es geht ihr gut

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Lekes Sicht:

Ich hatte nicht gewusst, was ich tun sollte. Mit gespitzten Ohren hatte ich Shys und Jaspers Gespräch gelauscht und mich doch nicht eingeschaltet. Ich wusste, dass es ihnen schlecht ging. Shy wie Jasper zermürbte der Gedanke, was sie anderen sagen würden.

Meine Gefühle dagegen waren abgehärtet. Ich wusste, dass Jack für das Feuer verantwortlich war und das genügte mir. Die Worte der Menschen, die ich nicht einmal kannte, interessierte mich nicht. Auf sie zu hören hatte ich mir schon vor langer Zeit abgewöhnt, doch ich hatte gedacht, dass Jasper das auch konnte.

„Geht es dir gut?", hakte ich während des Filmes nach. Mein Gesicht war Shy so nahe wie seit Stunden nicht mehr. Ich flüsterte, um die anderen Kinobesucher nicht zu stören.

„Oh, ja. Ja, es geht mir gut", antwortete sie mit einem Lächeln, welches in an der Bewegung ihrer Mundwinkel spürte. Doch ihr Zögern hatte sie verraten. Shy log.

„Bist du dir sicher?", ich verzog die Stirn zu einer ungläubigen Miene.

„Ja, ja, ich bin mir sicher."

„Die Tatsache, dass du meine Worte wiederholst, trägt aber nicht zu meiner Beruhigung bei", murmelte ich enttäuscht und lehnte mich wieder zurück. Sie wollte es mir nicht sagen? Bitte, dann ließ ich sie eben in Ruhe.

Konnte ich eben den Film genießen, von dem ich lediglich die laute, bedrohliche Musik hörte. Ich hatte nichts dagegen gesagt, da ich normal behandelt werden und den anderen nicht mit meinen Forderungen auf die Nerven gehen wollte.

„Leke!"

Warum klang ihre Stimme plötzlich beleidigt? Was hatte ich den falsch gemacht, als ihr das zu geben, was sie offensichtlich wünschte: In Ruhe gelassen zu werden?

„Was denn?", meine Worte klangen trotziger als beabsichtigt.

„Können wir das bitte draußen klären?", sie versuchte so leise wie möglich zu reden, doch ich spürte, wie die anderen sich bereits zu uns umdrehten.

„Okay." Mit einer schnellen Bewegung erhob ich mich und lief hinter Shy aus dem Saal heraus. Das Knirschen des Popkorns unter meinen Schuhen machte dabei laute Geräusche.

Kaum, dass die breite Tür hinter uns zufiel, fing sie an zu reden und ich stellte mich mit verschränkten Armen vor sie.

„Was ist dein verdammtes Problem Leke? Warum bist du so auf Streit aus, hmm?"

„Streit?", ich konnte nicht anders, als ungläubig die Augen aufzureißen. „Ich bin auf Streit aus? Ich wollte doch nur wissen, wie es dir geht!"

„Das stimmt nicht. Als ich es dir gesagt habe warst du sofort beleidigt!"

„Ja, weil du mir nicht die Wahrheit gesagt hast! Ich wusste ja nicht, dass du daraus direkt so ein riesen Ding machst." Meine Stimme war automatisch lauter geworden. Diese Konversation war so unnötig. Warum taten wir das?

„Die Wahrheit? Du willst du Wahrheit wissen? Ich bitte dich Leke, wem machen wir hier etwas vor, hmm? Die einzigen, die wir belügen, sind wir selbst. Jeder weiß ganz genau, wie es dem anderen geht. Das merkt man uns nun einmal an."

„Das ist es nicht, was ich....-"

„Nein", unterbrach sie mich wütend. „Natürlich nicht. Das wolltest du gar nicht hören, was? Das es uns allen dreckig geht und du ganz genau weißt, wie sich das anfühlt? Nehmen wir doch nur Jasper. Ich meine, er macht sich Sorgen, was die anderen wohl denken werden. Sich selbst hat er doch schon längst aufgegeben!"

„Das stimmt nicht! So schnell gibt Jas nicht auf. Du kennst ihn gar nicht gut genug, um das sagen zu können!", ich schrie und mir war es egal, dass mich die anderen Leute hören konnten. Es war mir so egal wie schon lange nichts mehr.

„Achso, das ist es also. Du denkst, ich könnte nicht wissen, wie es uns geht? Ich, die noch nicht so lange dazu gehört, um über andere zu urteilen? Ist es das, was du sagen möchtest?", Shy klang wie ein angegriffenes Reh, verletzt und zurückweichend.

Und ich war der Wolf, der ihr folgte. Denn ich musste ihr mein Anliegen klar machen, musste wissen, dass sie mich verstand. „Ja, in diesem Fall meine ich das. Jasper wird es schaffen, genau wie wir alle. Du allein musst es nur schaffen, endlich einzusehen, dass da noch ein Licht am Ende des Tunnels ist. Ein Licht, welches du mir selbst gezeigt hast."

Ich trat auf sie zu und streckte die Hand nach ihr aus, doch sie drehte sich weg. Meine Finger streiften durchs Leere.

„Nein", flüsterte sie stockend. Sie war den Tränen nah. Auch wenn ich sie nicht sehen konnte, ihre Stimme hatte noch nie lügen können. „Dieses Licht, was du da beschreibst, ist erloschen. Zusammen mit dem Feuer, welches Jack entfacht hat. Es existiert nicht mehr und ich bin froh darum, denn es drohte uns alle zu verschlingen. Zu viel Hoffnung kann tödlich sein, dass weiß ich jetzt. Man wird geblendet und kann Fantasie nicht mehr von Realität unterscheiden. Genauso wenig wie ich weiß, was das zwischen uns ist. Es kommt mir vor, als wäre mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt worden und nichts wäre mehr dasselbe."

„Aber ich! Ich bin doch noch derselbe!", meine Hand lag automatisch auf meiner Brust, wie zur Bestätigung meiner Worte. Ich trat erneut einen Schritt nach vorne.

„Ach ja?", sie klang so verletzt, so bitter, „Sieh dich doch an! Stehst da und schreist mich an, mitten im Kino, vor all den Leuten. So kenne ich dich gar nicht. Diesen Leke kenne ich gar nicht. Und das macht mir Angst, okay? Noch mehr Angst als dieses verdammte Feuer, noch mehr Angst als vor Jack."

„Shy, ich....", stammelte ich hilflos. Innerlich wusste ich ganz genau, dass meine Worte alles nur noch schlimmer machten.

„Sag nichts. Bitte, sag jetzt nichts", sie stöhnte laut auf. „Vielleicht -.... vielleicht brauche ich einfach einen Moment Pause. Lass mich nach Hause gehen und nachdenken, okay?"

„Du kannst doch jetzt nicht einfach weggehen! Shy!", ich fing an, ihr hinterherzulaufen, als ich ihre zielstrebigen Schritte auf dem Parkettboden vernahm, die Richtung Ausgang steuerten.

„Leke, lass es. Bitte. Lass mich doch einmal meine eigenen Schritte machen!"

„Deine eigenen Schritte? Spinnst du jetzt vollkommen? Wenn jemand hier nicht seine eigenen Schritte machen kann, dann bin ich das doch wohl?", ich war baff von ihren Worten. Wie konnte sie bloß so etwas behaupten? Fühlte sie tatsächlich so?

„Und daran erkenne ich, dass du rein gar nichts von dem, was ich gerade gesagt habe, verstanden hast. Du erdrückst mich! Du, deine Fürsorge, dein ständiges 'Wir schaffen das'. Ich kann es nicht mehr hören, versteh doch endlich."

„Und was soll ich stattdessen machen?" Es kam mir vor, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen. Mein Kopf schmerzte, als hätte ich drei Nächte hintereinander nicht geschlafen und meine Glieder prickelten, während mein Herz raste, als wäre ich einen Marathon gelaufen.

„Ich weiß es nicht. Lass mich einfach nur nachdenken", mit diesen Worten lief sie erneut los, doch dieses Mal versuchte ich nicht, sie einzuholen. Wir waren schon viel zu weit entfernt.

Langsam ließ ich mich an Ort und Stelle auf den Boden sinken und starrte ihrem Umriss niedergeschlagen hinterher. Ich konnte es noch immer nicht glauben. Was war bloß gerade geschehen? Ich konnte es nicht definieren.


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt