37. Der Vergewaltiger, der ein Entführer war

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Shys Sicht:

„Willst du ihm nicht doch noch eine Chance geben?", Brook sah mich ernster Miene von ihrem Bett aus an. Ihr angewinkelter Ellenbogen lag auf einem weißen Kissen, das mit einem schwarzen, hässlichen Doggenkopf bedruckt war.

„Wieso sollte ich?", entgegnete ich ihr und schlug die Augen nieder. Dies würde wohl nie mein Lieblingsthema werden. „Leke hat es nicht verdient."

Ich hörte Brook leise aufseufzen, als sie sich nun gerade hinsetzte. „Und was ist mit einer zweite Chance?"

„Wie viele soll er denn noch bekommen?", murmelte ich frustriert. Der braunhaarige Idiot machte es einem aber auch nicht einfach.

Im Gegenteil hatte sein Verhalten dazu geführt, dass ich ihn in letzter Zeit ignoriert hatte.

„Soll ich dir den Tee noch einmal heiß machen?" , wechselte Brook so abrupt das Thema, dass ich sie verwirrt anstarrte.

„Oder willst du den nicht mehr trinken?", sie deutete auf die Tasse zwischen meinen Beinen, in der ich seit einer gefühlten Ewigkeit unbewusst mit meinem Löffel rührte.

„Ohh", stieß ich überrascht über ihre Existenz aus und schüttelte den Kopf, „nein danke."

„Okay. Aber findest du denn nicht, dass du wenigstens noch einmal mit ihm reden solltest?", meine beste Freundin machte es mir heute aber auch nicht einfach, ihr zu folgen.

„Mit dem Tee?", murmelte ich verwirrt, konnte ein leichtes Grinsen jedoch nicht verheimlichen.

„Haha", Brook rollte mit den Augen.

„Findest du?!", ich runzelte nachdenklich die Stirn.

Die zwei Wochen ohne irgendwelche blöden Kommentare von Leke waren mir einerseits ziemlich angenehm ruhig vorgekommen, andererseits waren sie fast schon zu ruhig.

Und mit jedem Tag, den ich ihn ignorierte, fühlte ich mich mehr schuldig. Warum wusste ich selber nicht. Es war nur so ein Gefühl in der Magengegend, dass mir mitteilte, dass etwas an der Situation nicht richtig war.

„Ihr habt euch total gestritten", murmelte Brook ernst und lehnte sich nun an den Kissenhaufen hinter sich. „Das Aussprechen würde euch gut tun, selbst wenn ihr euch danach aus dem Weg geht..."

Ich will aber nicht auf ihn zugehen müssen!", murmelte ich frustriert über meine Situation. „Er muss sich zuerst entschuldigen!"

Ich hörte Brook erneut aufseufzen. „Was denn?", verteidigte ich mich achselzuckend. Für mich gab es keine andere Option.

Entweder er oder niemand.

                                                                               ***

Ich hatte bei Brook übernachtet und mittlerweile war Sonntag morgen. Den ganzen Vormittag schon telefonierte sie und sie wollte mir einfach nicht sagen, mir wem.

Für mich war es jedoch ziemlich klar, dass es Zack war.

Deswegen überraschte es mich auch nicht, dass sie vorschlug, heute Abend zum alten Bahnhofsgebäude zu gehen.

„Komm schon, das wird lustig! Wir haben doch jetzt Ferien, da kann man auch mal Sonntags etwas unternehmen!", redete Brook ununterbrochen auf mich ein.

„Ich sag ja gar nichts!", lachend beobachtete ich, wie sie wie ein Tiger vor mir auf und ab lief und dabei wild gestikulierte.

„Echt nicht?", sie stoppte in ihrer Bewegung und schaute mich verblüfft an.

„Ja, warum nicht? Hauptsache Leke ist nicht da!", als ich meinen Satz beendet hatte wirkte sie nicht mehr so glücklich wie zuvor.

„Mmmhh, ich kann nichts versprechen...", murmelte sie unsicher und blickte mich bettelnd an.

Aber das bräuchte sie gar nicht, denn ich hatte schon zu Beginn dieser Diskussion verloren.

Um Punkt 20 Uhr standen wir vor der alten, verrosteten Tür und atmeten beide noch einmal durch, bevor wir die Lobby des Gebäudes betraten.

Sofort schlug mir ein unangenehmer Geruch nach Zigaretten gemischt mit Shisha – Rauch entgegen und ich rümpfte angewidert die Nase.

„Brook, Shy, da seit ihr ja!", überrascht zuckte ich zusammen, als auf einmal ein freudig strahlender Zack vor uns auftauchte. Fast war ich geneigt schützend die Hand vors Gesicht zu halten.

„Zack!", übernahm Brook die Begrüßung, „Danke, dass wir kommen durften!"

Als ich einen Seitenblick zu meiner Freundin warf schien sie wie verzaubert. Ihr Blick klebte in einer Tour an dem Blondhaarigem.

„Immer doch! Kommt mit, die anderen sind schon da", Zack drehte sich um und deutete nach oben. Während wir ihm die Treppe hinauf in den großen Gemeinschaftsraum folgten, betete ich ohne Pause dafür, dass Leke nicht hier war.

Ich war einfach noch nicht bereit für eine Konfrontation mit ihm.

Doch anscheinend schien ich noch etwas gut zu haben, denn Leke alias Idiot war nicht da, als wir zu seinen Freunden stießen.

Irgendwie ein ziemlich ungewöhnlicher Anblick, Jasper ohne ihn zu sehen. Ich spürte seinen Blick auf mir, als ich mich neben Brook auf der Couch niederließ.

Nach gefühlten zwei Stunden des Quatschens stand Jasper auf einmal direkt vor mir. Erschrocken schaute ich zu ihm hoch.

„Kann ich mal mit dir reden?", er fuhr sich mit seiner Hand durch die braunen Locken, während er auf meine Antwort wartete.

Och man, dachte ich mir langsam wirklich genervt, der nicht auch noch. Könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?

„Klar", ich zwang mich zu einem Lächeln, als ich ebenfalls aufstand und ihm aus dem Raum folgte. Wir bogen um mehrere Ecken, die alle ziemlich schlecht beleuchtet waren, und langsam verlor ich die Orientierung.

„Du vergewaltigst mich aber jetzt nicht hier, wo es keiner hören kann, oder?", ich lachte unsicher auf und versuchte, meine aufkeimende Angst zu unterdrücken.

Ich kannte Jasper doch, warum dachte ich dann so etwas?

„Was?", mein angeprangerter Vergewaltiger drehte sich mit schockierter Miene zu mir, „Nein!"

Er schien ernsthaft betroffen über meinen Vorwurf, dabei war es nur Spaß gewesen. Na ja, zumindest zur Hälfte.

„Sollen wir da rein? Da steht ein Sofa, so weit ich weiß...", schlug Jasper mit immer noch großen Augen vor und deutete auf eine ziemlich alt aussehende Tür aus einzelnen Holzbrettern.

„Okay", ich zuckte ergeben mit den Schultern und biss mir auf die Lippen, da sich schlechtes Gewissen über meinen Scherz in mir breitmachte.

Er öffnete die Tür und ließ mir den Vortritt. Alles war dunkel.

„Was willst du denn eig-" das eigentlich blieb mir im Hals stecken, als ich auf einmal hinter mir das dumpfe zuschlagen einer Tür vernahm und es schlagartig dunkel im Raum wurde.

„Jas?", rief ich und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme einen Ton höher schlug.

„Bist du da?", aber ich bekam keine Antwort.

Auch, als ich wieder zwei Schritte vor trat, war der Lockenschopf nicht zu finden.


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt