„Dad? Bist du zu Hause?"
Meine Stimme schallt einsam durch das große Haus. Es ist kalt hier. Wie immer. Nie dreht er die Heizung auf.
Nur unsere Putzfrau Miss Jenson zeigt des öfteren Mitleid und dreht die Regler heimlich wieder hoch.
Die Tür fällt leise hinter mir ins Schloss, als ich über den gold-grauen Perser Teppich ins Wohnzimmer laufe.
Ein großes, graues Sofa steht hinter einer gläsernen Wand vor einem noch größerem Fernseher.
Manchmal komme ich mir vor wie Edward in Twilight. Die gesamte Rückwand des Hauses, die auf einen großen Garten mit Teich zeigt, besteht praktisch nur aus Glas.
Meine Mutter hat es geliebt. Das ist auch der Grund, warum wir nicht ausziehen und uns etwas kleineres suchen. Dad bringt es einfach nicht übers Herz zu gehen.
„Leke!", überrascht zucke ich zusammen, als die kalte Stimme meines Vaters aus der Richtung Küche ertönt.
„Du bist wie immer sehr früh", natürlich entgeht mir die Ironie kein bisschen, die sich in seine Worte mischt, als ich um die Ecke schaue.
Der dunkle Schemen sitzt vorne über gebeugt am Tisch und spießt gerade die letzten Reste der Fertig Pizza auf.
Es riecht muffig. Mit einem Seufzen wende ich mich den Fenstern zu, die auf die Straße zeigen, und kippe sie.
„Eadlyn?", höre ich meinen Vater auf einmal rufen. Jetzt sitzt er kerzengerade am Tisch. Das fehlte mir gerade noch, dass er nach meiner verstorbenen Mutter rief.
„Nein, Dad. Ich bin's. Trinkst du etwa?"
Besorgt trete ich auf meinen Vater zu und rümpfe die Nase. Ich habe mich also doch nicht geirrt. Ein starker Geruch nach Alkohol, ich tippe auf Vodka, liegt in der Luft.
Ich fahre mit den Fingerspitzen vorsichtig über den Tisch und erfasse anhand der Form und Schwere des Glases, dass vor meinem Vater bereits eine leere Flasche auf dem kleinen Küchentisch steht.
„Was geht dich das an? Ich bin alt genug um zu wissen, was ich vertrage!", seine Stimme nimmt einen missbilligen Unterton an. Trotzig schiebt er die Unterlippe vor.
„Aber du weißt doch, dass das nicht gut für dich ist. Dein Blutzuckerspiegel hält das nicht aus!", alarmiert nehme ich die Sonnenbrille ab und schaue ihm tief in die Augen.
In der Sache, dass Shy Menschen mit Sonnenbrille nicht ernst nimmt, muss ich ihr Recht geben.
Ich stelle mir vor, wie seine mittellangen Haare grauer geworden sind, ebenso wie sein gestutzter Bart. In meinem Kopf habe ich das Bild eines alten Mannes vor mir sitzen.
„Diabetes hin, Diabetes her. Ich werde schon nicht gleich sterben. Und selbst wenn, dann sehe ich wenigstens deine Mutter endlich wieder."
Bestürzt schürze ich die Lippen und balle die Hände zu Fäusten. Musste er das sagen?
Die Lage war schon scheiße genug.
„Dad!"
„Ach lass mich doch in Ruhe."
„Aber das kann ich nicht!", ich ignoriere, dass die Augen meines Vaters nach links und rechts huschen, nur eben nicht zu mir.
„Doch. Es ist ganz einfach. Geh einfach wieder, wie du es immer tust. Und setzt deine Brille wieder auf, ich brauche deine Vampiraugen nicht auch noch zu ertragen!"
Das saß. Wütend blicke ich ihn extra noch einige Sekunden an, bis ich mich mit grimmiger Miene umdrehe und in mein Zimmer stürme.
Er war so gemein!
Klar würde er nicht sterben. Aber sich immerhin so weit besaufen, dass er am nächsten Morgen zu spät zur Arbeit kam.
Damit er das alles hier vergessen konnte. Mums Tod und mich. Den Krüppel mit den Vampiraugen.
Leider wurde es in letzter Zeit immer schlimmer mit seinem Alkoholkonsum.
Er sprach öfters davon, dass er es doch verdiene, wenigstens eine ruhige Nacht zu haben. Das alles auszublenden. Die Realität zu vergessen.
Auf der einen Seite konnte ich ihn verstehen, auf der anderen musste ich etwas dagegen tun. So ging das nicht weiter.
Während ich auf meinem Bett sitze, bahnen sich die unterdrückten Gefühle an die Oberfläche und eine einsame Träne rollt mir über die Wange.
Ich bin so wütend.
Stocksauer trommele ich mit meinen Fäusten auf mein Bett ein, bis meine Hand zu nah an den Rand kommt. Hart schlägt sie gegen das Holz.
Der Schmerz, der durch meine Finger pocht, raubt mir für einen kurzen Moment den Atem.
Wütend verfluche ich das alles hier.
Dieses blöde, große, kalte Haus. Mein verwirrter, todtrauriger Vater mit seinem Selbstmitleid. Nie dachte er an mich. Immer nur an seine Verluste.
Als wäre Mum mir nicht genau so genommen worden.
Vampiraugen, ja? Am liebsten würde ich mir diese jetzt auskratzen.
Nie wieder werde ich meinen Vater sehen. Nie nie wieder. Und das Bild meiner Mum konnte ich mir auch nicht mehr anschauen. Das Salzwasser steigt mir in die Augen, die ich zornig schließe.
Indianer weinen nicht!, höre ich die Worte meiner Mutter in meinem Ohr. Das hat sie mir früher immer gesagt, wenn ich weinend in ihren Armen lag.
Trotzig wische ich mir die Tränen mit den Ärmeln meines grauen Hoodies weg. Ich bin zwar kein Indianer, aber auch keine Heulsuse.
Und ich brauche auch keinen Alkohol wie mein Vater. Schließlich gibt es andere Arten, um zu vergessen.
~Bild Oben: Mike Flynn (Lekes Vater)~
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The blind Badboy
Teen FictionJeder spielt als Kind verstecken in der Dunkelheit. Jeder schließt die Augen und stellt sich vor, was wäre wenn. Doch niemand tut es für immer. Leke schon. ~Ein braunhaariger Tollpatsch, blind und ziemlich durchgeknallt, steigt ein in das Rennen um...