11. Selber Zicke

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Lekes Sicht:

Es sitzen zwei Personen neben mir. Das höre ich an ihren kurzen, schnellen Atemzügen.

Doch solange sie nicht anfangen zu reden muss ich das auch nicht.

Einige Minuten sitze ich so mit dem Rücken an die Plastikwand angelehnt und versuche, zu Atem zu kommen.

„Du bist echt so ein verdammter egozentrischer Arsch, weißt du das?!", werde ich auf einmal von der Seite angegiftet.

„Was?", verunsichert runzele ich die Stirn, als ich Shys Stimme identifiziere.

Shit. Sie saß die ganze Zeit neben mir und ich habe es nicht gewusst.

„War ja klar, dass du mich jetzt ignorierst, als hätten wir noch nie miteinander gesprochen", sie spricht immer noch stur geradeaus.

Die anderen Schüler haben sich gerade um unseren Sportlehrer versammelt.

„Ich ... habe dich nicht ignoriert ..."

„Bin ich dir etwa peinlich? Hah", ihre Stimme klingt verletzt. Wütend ballt sie ihre Hände zu Fäusten.

Bestürzt schüttele ich den Kopf.

„Und warum redest du dann nicht mit mir?"

Grimmig biss ich mir auf die Unterlippe, während ich fieberhaft überlegte.

Ich hatte keine Antwort auf ihre Frage, schließlich konnte ich ihr ja schlecht sagen, dass ich sie nicht BEMERKT hatte.

Ich entschied mich für einen Themenwechsel.

„Warum kannst du nicht mitmachen?", ich wende mich ihr mit fragender Miene zu.

„Was geht dich das an?"

Verärgert stöhne ich auf. Dieses Mädchen machte es mir aber auch wirklich nicht einfach.

„Nichts. Willst du es mir trotzdem sagen?", probiere ich es mit einem sanfteren Ton.

Neben uns höre ich jemanden unterdrückt auflachen. Bestimmt ist es Ben, denn er macht nie Sport mit.

Ich hatte schon öfters das Vergnügen mit ihm. Ich glaube, er hasst mich. Weil er denkt, dass ich etwas hätte, was er nicht hat.

Freunde, Beliebtheit und ... Mädchen.

Was konnte ich dafür, wenn er es nicht schaffte, sein Sozialleben mal gehörig aufzumischen?

„Erst, wenn DU mir sagst, was das da eben war. Warum du hier bist!", war das etwa Neugierde in ihrer Stimme?

Frustriert stütze ich meinem Kopf auf meinen Händen ab. Noch eine weitere Person, die ich anlügen muss.

„Ich habe Herzprobleme", meine Stimme stockt verlegen, als Shy mich mit großen Augen ansieht.

Gerade wendet sie sich mir zum ersten mal richtig zu.

„Oh, das wusste ich nicht. Tut mir leid. Geht es denn wieder?", sie klingt ernsthaft betroffen.

Innerlich verfluche ich mich für diese Lüge. Wie leicht sie mir mittlerweile über die Lippen geht.

Ich nicke leicht: „Ja, geht schon. Und du?"

Sie zuckt mit den Schultern. „ Mein Knie macht nicht mehr so mit, wie es sollte. Ich habe zwar eine Bandage dafür, doch es schmerzt immer noch. Aber es ist nichts Ernsthaftes ..."

Mein Blick gleitet dorthin, wo ihre Beine sein müssen und versucht, irgendetwas zu erkennen. Natürlich umsonst.

„Dann musst du die Knie- und Beinmuskeln stärken!", fällt mir auf einmal der Spruch von Dr. Forks wieder ein.

Ich erinnere mich daran, dass Zack früher mal genau das gleiche Problem hatte.

Ihre Haare wippen, als sie nickt. In ihrem Blick spiegelt sich leichte Verwunderung: „Genau. Das hat mir mein Arzt auch gesagt."

„Aber ... du mit deinem Herz ... das geht nicht mehr weg, oder?"

Meine Gesichtsmuskeln erstarren, als Shy das fragt. Genau genommen ist die Lüge einfach ein Synonym für meine Blindheit.

Also sage ich doch die Wahrheit, wenn ich es verneine, oder?!

„Nein", antworte ich mit leiser Stimme und blicke zu Boden. Es hat sich schon ordentlich Sand unter der Bank angesammelt. Meine Schuhe knirschen hier immer extrem.

„Kannst du dann überhaupt Sport machen?"

Dieses mal ist sie es, die das Thema wechselt. Zumindest indirekt.

Ich spüre ihren musternden Blick über mich gleiten. Von meinem Gesicht zu meinem Oberkörper zu meinen Armen und Beinen.

Als ich sie anschaue dreht sie ihren Kopf schnell nach vorne.

Ihr Kopf nimmt eine leicht rötliche Färbung an, als sie sich leise räuspert.

„Nicht viel. Ich gehe ins Fitnessstudio, aber mehr nicht. Du?"

Irgendetwas scheint in ihrem Kopf klick zu machen. Denn auf einmal bemerkte ich, wie sie siche neben mir verspannt und sich wieder gerade hinsetzt.

„Ich wüsste nicht, warum ich ausgerechnet vor DIR mein Privatleben ausbreiten sollte..."

Da war er wieder. Dieser zickige Unterton.

Ben traute sich erneut, hämisch aufzulachen. Zwischendurch hatte er es doch tatsächlich mal geschafft, den Mund zu halten!

Seufzend drehe ich mich wieder nach vorne.

„Hast Recht. Interessiert mich auch eigentlich gar nicht. Wollte nur höflich sein!", murmele ich beleidigt vor mir hin. Empört verschränke ich die Arme vor der Brust.

„Mich dein Leben auch nicht. Arsch", sagt sie nun zum zweiten mal innerhalb von zehn Minuten.

„Dann wäre das ja geklärt. Zicke."

Ich kann einfach nicht anders. Das letzte Wort zu haben ist einfach ein zu befriedigendes Gefühl.



„Selber Zicke", höre ich sie ganz leise vor sich hin murmeln.

The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt