72. Die brennende Hölle

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Lekes Sicht:

Alles geschah gleichzeitig. Ich hatte gar nicht die Möglichkeit nachzudenken, geschweige denn alles aufzunehmen, was in diesem Moment geschah. Als Jacks Streichholz auf das Stroh gefallen war.

Doch nicht nur das. Der verschüttete Vodka sorgte dafür, dass das Feuer von einer auf die andere Sekunde wild auffachte und uns allen den Atem raubte.

„Macht es aus, macht es aus!", schrie Brook mit hysterischer Stimme, während andere ängstlich aufschrien.

Ich hörte wie jemand wie wild mit dem Fuß auf die Flammen trat. Flaschen wurden umgeworfen, der Inhalt verschüttet, das Feuer genährt, während sie hektisch auf die Füße sprangen.

„Das geht nicht mehr. Es ist zu spät. Wir müssen hier weg!", das war Pacey. Doch dieses mal klang er nicht ruhig und leise, sondern vollkommen aufgelöst. Denn in seiner Stimme schwang Todesangst mit.

Und ich? Ich starrte benommen in die Flammen, in das helle Licht, dass auf einmal vor meinen Augen aufgetaucht war und genoss die aufkommende Wärme. Aber das alles währte nur für wenige Millisekunden.

„Wo ist die Leiter?", Shy wurde von einem Hustenanfall unterbrochen. „Ich ... kann sie nicht sehen."

Ich schüttelte mich und drehte mich dann zu ihr um. Schnell ergriff ich ihre Hand und zog sie hinter mir her, wobei ich so schnell wie möglich an den Flammen entlang lief, dicht an die Wand gepresst.

„Wo ist der verdammt Ausgang?", hörte ich jemanden mit bebender Stimme durch das Knistern und Rauschen des Feuers schreien. Die anderen schienen sich schlecht an die Lage der wackligen Leiter erinnern zu können, die unser einziger Fluchtweg war. Zudem schienen die Flammen die einzige Lichtquelle für meine Freunde zu sein.

„Wenn du jemanden spürst, hältst du ihn fest, verstanden!", wies ich Shy an, welche jedoch keine Antwort gab. Nur durch ihre Hand konnte ich mir sicher sein, dass sie noch hinter mir war.

„Verstanden?", hackte ich mit lauter Stimme noch einmal nach.

„Ja", antwortete sie endlich.

Auf einmal war direkt neben uns eine Stimme. „Hey, seid ihr das? Leke, bitte, es tut -"

„Spar' deinen Atem!", ignorierte ich Mike, wusste aber gleichzeitig, dass Shy Jacks Freund gerade an die Hand nahm.

Sie wiederholte meine Worte, um das letzte Kettenmitglied einzuweisen. „Wenn du jemanden spürst, halt ihn fest!" Mike gab keine Widerrede.

„Leke, mach schneller!", drängte Shy hinter mir mit angsterfüllter Stimme. Ich beschleunigte meine vorsichtigen tastenden Schritte. Normalerweise wusste ich, wo die Position der Leiter war, war ich sie in Kindertagen doch oft genug rauf und runter geklettert, doch die Situation schien eine Sperre in meinem Gedächtnis aufgebaut zu haben.

Schweiß lief mir von der Stirn, während ich mich weiter vortastete, um mich und die anderen ja über das Ende des offenen Dachbodens fallen zu lassen, welcher immerhin vier Meter tief war.

„Verdammt", stieß ich fluchend aus, als ich sie immer noch nicht fand. Die Flammen saßen uns im Nacken und die Zeit lief gegen uns. Je länger wir brauchten, desto mehr breiteten sie sich auf dem Stroh aus. „Sie muss hier doch irgendwo sein...", murmelte ich zu mir selbst.

Hinter mir hörte ich erneut jemanden aufschreien. Ich wusste nicht, wer schon unten war und wer noch hinter uns. In diesen einem Moment wusste ich gar nichts.

Auf einmal stieß mein Fuß nicht mehr auf Holz, sondern auf eine abrupte Kante. „Stopp", rief ich augenblicklich und kniete mich zu Boden. Sofort wischte ich mit meinen Händen die Kante entlang und endlich – etwa fünfzig Zentimeter weiter rechts spürte ich den Knauf der Leiter, die über das Ende hinausragte. Meine Hände hatten Holzsplitter gefangen, doch das interessierte mich nicht.

„Hier", schrie ich und zog Shy zu mir. „Siehst du sie?"

„Ja", antwortete diese und ich atmete erleichtert auf.

„Geh du zuerst!", wies ich sie an und drängte sie vorwärts, doch sie rührte sich nicht.

„Nein."

„Nun mach schon!", Verzweiflung mischte sich in meine Stimme, während ich die aufkommende Wärme immer mehr spürte.

„Ich lasse dich nicht hier oben, nicht alleine!", erwiderte sie. Ich hörte ihr an, dass sie weinte.

„Ich muss den anderen helfen! ", ich schüttelte den Kopf und spürte, wie meine Augen ebenfalls feucht wurden, während ich sie erneut vorwärts drückte. „Los jetzt. Jemand muss am Boden die Leiter halten. Wir sehen uns unten!"

„Versprochen?", sie hatte sich neben mich gekniet, um auf die Leiter zu steigen.

„Versprochen", wiederholte ich ohne einen Moment nachzudenken und merkte erleichtert, wie die Leiter leicht zitterte, als Shy auf sie stieg. Mit aller Kraft hielt ich sie fest.

„Ich bin unten!", hörte ich nach wenigen Sekunden Shy schreien.

„Schnell", wies ich Mike an, welcher ohne zu zögern nach unten kletterte. Hinter ihm folgten Kyler, Pacey, Brook und Logan.

„Wo sind Jack, Jasper und Zack?", fragte ich Logan, bevor er ging.

„Ich weiß es nicht", Logans Stimme zitterte.

Als ich mich umsah waren die Flammen schon viel näher gerückt, dass Licht in meinen Augen war deutlich heller geworden, es flackerte wild und bäumte sich auf.

„Jack ist hier unten!", hörte ich auf einmal Shy schreien und atmete erleichtert auf, bis mich die Bedeutung ihrer Worte von den Füßen riss. Mit aufgerissenen Augen starrte ich hinter mich, während ich mich mit der Hand abstütze.

Wenn Jasper und Zack nicht unten waren ...

Wenn sie nicht bei den anderen waren ...

Dann waren sie noch hier oben.

Zwei Betrunkene. Und einer von ihnen konnte wahrscheinlich nicht einmal mehr bis zehn zählen. „Verdammt."

„JASPER! ZAACK!", brüllte ich so laut ich konnte. „JASPER!"

„Leke?", schrie auf einmal jemand zurück. Es war Jasper. „Leke, wir sind hier!"

Wo war hier? Es konnte überall sein. Und die Tatsache, dass Zack nicht antwortete, machte mir noch mehr Angst. Doch eines stand fest, ich musste schnellstmöglich handeln, sonst würden wir am Ende noch alle drauf gehen. Entschlossen sammelte ich all meine Kraft und tastete mich vorwärts, zurück in die brennende Hölle, der ich gerade erst entkommen war.

„Jasper?", brüllte ich erneut, als ein Hustenanfall mich erschütterte. Der Rauch drang mir unangenehm in die Lungen und ich schnappte erschrocken nach Luft.

„Hier", antwortete seine Stimme weiter rechts von mir. Sie schienen bis an die äußere Wand vor den Flammen geflüchtete zu sein. Hoffentlich war Zack bei ihm. Doch Jasper hatte WIR gerufen. Also musste er doch bei ihm sein? Er musste einfach.

Ich kämpfte mich weiter vorwärts, ging mit einer Hand an der Wand entlang, um nicht die Orientierung zu verlieren, während ich gleichzeitig die Wärme der Flammen spürte, die mir den Schweiß von der Stirn rinnen ließ. Mit der anderen Hand hielt ich mir den unteren Teil meiner Jacke vor das Gesicht, ich ging sowieso gebückt.

Wo waren sie bloß?

„Leke!", Jaspers Stimme klang schon viel näher. Auf einmal spürte ich Finger, die an meiner Hose zerrten. Sie zogen mich in die Flammen hinein.

„Jasper", Erleichterung überkam mich, doch die wehrte nur kurz.

Unter mir hörte ich auf einmal jemanden schmerzhaft aufkeuchen. Es war Zack.

„Ich weiß nicht, was mit ihm ist", Jasper schrie. Obwohl ich direkt neben ihm kniete schrie er mich an.

„Zack?", ignorierte ich meinen besten Freund und rüttelte an Zack. „Kannst du mich hören? Wir müssen hier weg, und zwar so schnell wie möglich."

Ängstlich sah ich mich um. Um mich herum war alles hell, es gab fast keinen Punkt, der noch dunkel war. Und auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob wir es wirklich alle lebend hier heraus schaffen würden.

Der Betrunkene. Der Verletzte. Und der Blinde.


The blind BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt