Lekes Sicht:
Nein!
Das hatte Shy mir geantwortet.
Nein, für mich macht es keinen Unterschied, ob du zur Selbsthilfegruppe gehst oder nicht.
Und ich wollte es ihr so gerne glauben.
Ich selber wusste genau, dass ich keine psychischen Probleme hatte, sondern nur einen Vater, der glaubte, das Richtige zu tun, indem er mich mit suizidgefährdeten Kindern in einen Topf steckte. Aber Shy wusste es nicht. Sie sah nur das, was sie mitbekommen hatte.
„Das Bahnhofsgebäude", begann sie auf einmal mit rauer Stimme. Ich spürte, dass sie sich neben Brook vor mir hinkniete.
„Das war nichts!", murmelte ich bestimmt und schüttelte den Kopf.
„Es sah aber nicht wie nichts aus...", hakte sie weiter mit verwirrter Stimme nach.
„Wovon redet ihr?", schaltete sich Brook auf einmal mit besorgter Stimme dazwischen. Aber keiner von uns beiden antwortete ihr.
„Leke? Shy?", sie blickte von einem zum anderen.
Schnell versuchte ich das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken: „Ich müsste eigentlich gar nicht in diese verflixte Selbsthilfegruppe!" Mit Mühe unterdrückte ich ein genervtes Aufstöhnen.
„Es liegt alles an meinem Vater. Ich habe keine Probleme, das müsst ihr mir glauben!", versuchte ich mich so gut es ging zu verteidigen.
Am liebsten wäre ich dieser Konversation ausgewichen, aber jetzt war es zu spät um wegzurennen.
„Er wird dich wohl kaum ohne Grund angemeldet haben", murmelte Brook und biss sich im selben Moment enttarnt auf die Lippen. Überrascht schoss mein Kopf in die Höhe und ich versuchte ihr einen warnenden Blick zuzuwerfen.
„Du weißt warum!", flüsterte ich mit heißerer Stimme und zwang mich, sie weiter hin anzustarren.
Warum tat sie das? Sie wusste doch alles! Angefangen bei dem Unfall, meiner Blindheit bis hin zu den Depressionen meines Vaters.
„Nicht schon wieder!", mischte sich Shy auf einmal mit anklagender Stimme ein und ich zuckte überrascht zusammen, „Warum wissen alle immer worum es geht nur ich nicht? Das ist nicht fair!"
„Was ist denn schon fair?", antwortete ich bitter.
Meine Gedanken waren tief in der Vergangenheit, aufgewühlt von diesem Gespräch. Umso mehr regte es mich auf, dass Unwissenheit ihre größte Sorge war.
Eine ganze Weile antwortete keiner. Fast glaubte ich schon, sie seien ohne das ich es mitbekommen hatte gegangen, doch dann sprach Shy auf einmal. Ihre Stimme zitterte, als sie meinte:
„Du hast Recht. Was ist schon fair?! Wenn du nicht mit der Sprache raus rückst, dann bitte! Soll mir doch egal sein. Aber fange gefälligst nie wieder an vor mir in Selbstmitleid zu versinken!"
Ein plötzlicher Windstoß wirbelte meine Haare durcheinander, als sie ruckartig aufstand und mit wütenden Schritten davon lief.
„In Selbstmitleid versinken?", wiederholte ich ihre anklagenden Worte, um sie ihr hinterher zu schreien. Ich hörte, dass sie in der Bewegung stehen blieb.
„Ich habe nie darum gebeten, dass du dich mit mir unterhältst, geschweige denn, dass du etwas mit mir unternimmst!", brüllte ich wütend.
Ich atmete einmal kurz durch: „Ich brauche deine Hilfe nicht! Ich brauche von NIEMANDEN Hilfe!" Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme traurig klang.
Mein Inneres wartete auf eine Antwort von ihr; irgendetwas. Dass sie mich anschrie und mir sagte wie scheiße ich sei. Und das sie sich nie wieder mit mir abgeben würde, weil ich ein solcher Looser war. Ein Looser mit Problemen.
Doch sie setzte sich einfach ohne ein weiteres Kommentar in Bewegung, setzte einen Fuß vor den anderen auf den knirschenden Asphalt, bis ich sie nicht mehr hörte.
Aber das heftige Atmen von Brook verriet mit, dass sie immer noch vor mir kniete. Vielleicht wollte sie mir endlich meinen Wunsch erfüllen und mich anschreien?
„Da waren es nur noch zwei", murmelte ich mit einem schiefen Grinsen, dass mir nur schwer über die Gesichtszüge glitt.
Ich wollte mir damit sagen, dass alles in Ordnung war. Das es nicht so schlimm war, wie es sich anfühlte.
„Das ist nicht lustig, Leke!", meinte Brook mit ernster Stimme und erinnerte mich dabei stark an ihre Mutter.
„Ach wirklich?", meinte ich verächtlich und rümpfte gekränkt die Nase.
„Warum musst du immer alles kaputt machen?", meinte meine ehemals beste Freundin anklagend.
„Wieso ist mein Leben so scheiße?"
Sie stöhnte genervt auf. „Weil du es scheiße machst. Du allein kannst es ändern, aber du willst es nicht. Shy hat dir eine Chance gegeben, dich ihr zu öffnen. Sie war bereit dich so zu akzeptieren, wie du bist!"
„Bist du dir da sicher? Ich glaube es nämlich nicht. Wenn ich es ihr sage, würde sie in mir immer nur den bemitleidenswerten Blinden sehen", ich stockte, da mir plötzlich etwas klar wurde, „und das möchte ich nicht."
„Dann kann ich dir auch nicht mehr helfen. Denn wenn du ihr nicht die Wahrheit sagst", ich spürte ihren ernsten, wissenden Blick auf mir liegen, „und zwar bald, dann wirst du dir jede Chance mit ihr kaputt machen."
„Mpf", grummelte ich und verschränkte erneut die Arme auf den Knien.
„Ich weiß, dass du sie magst. Und ich weiß auch, dass sie dich mag. Aber so wirst du es für euch beide kaputt machen, bevor es begonnen hat. Was auch immer ES ist."
Mit diesen Worten drückte sie sich langsam vom Boden weg und stand auf. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um dem Ort ihrer Stimme zu folgen.
„Vergiss das nicht!"
Mit wenigen Schritten war sie in ihrem Haus angekommen und ließ mich alleine am Bordstein sitzen.
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The blind Badboy
Teen FictionJeder spielt als Kind verstecken in der Dunkelheit. Jeder schließt die Augen und stellt sich vor, was wäre wenn. Doch niemand tut es für immer. Leke schon. ~Ein braunhaariger Tollpatsch, blind und ziemlich durchgeknallt, steigt ein in das Rennen um...