Curare - Teil II

#153 Some kind of siblings

Hoseok

Sich wieder in seine Position einzufinden war noch viel einfacher, als Hoseok gedacht hatte. Im Grunde hatte er keine drei Tage gebraucht, um alles wieder auf Vordermann zu bringen und zu schauen, wie es allen nun ging. Es waren keine Katastrophen passiert und darum war Hoseok sehr dankbar.

Außerdem schien er ein neues Mitglied in seiner Gemeinde zu haben, denn May schlich doch auffällig oft durch die Bibliothek. Er fragte sich, wie lang es wohl noch dauern würde, bis sie ihm endlich anvertraute, was sie ihm eigentlich erzählen wollte und nicht nur volles Rohr gegen ein Regal lief, wenn er sie erwischte und sie flüchten wollte, weil er sie ansprach.

Das erinnerte ihn doch stark an Jimin. Jimin hatte sich ähnlich verhalten, als er versucht hatte sich ihm anzunähern, damals, kurz nachdem sie sich im Krankenflügel zum ersten mal gesehen hatten. Kaum zu glauben, dass Jimin mal eine derartige Schüchternheit an den Tag gelegt hatte.

Die Regale waren heute an den Boden angeschraubt, also konnte nichts passieren, wenn May davor lief. Nicht so wie bei Jimin.

Wie auch immer. Das waren nicht die einzigen Parallelen, die Hoseok zwischen den beiden Lotus sah und er hatte mal nachgeforscht, ob es sowas wie Counterparts auch zwischen Landaren gab und hatte tatsächlich auch etwas gefunden, was sich wohl Geschwisterseele nannte, doch damit hatte sich genau ein Landare beschäftigt und nach dem der alt geworden war und das Zeitliche gesegnet hatte, hatte das ganze niemand weiter gemacht.

Schade, wie Hoseok fand, denn die Sache war eigentlich interessant. Der Forscher war sich seiner Zeit auch nicht sicher gewesen, wie er das erklären sollte - sei es vielleicht so, dass alle Landare irgendwie energetisch und geistig verbunden sind und sich innerhalb des Gewebes Muster wiederholten oder dass sich gewisse Pflanzen eben auch mit einem gewissen Typ von Charakter besser verbanden oder umgekehrt Landare eines gewissen Charaktestyps auch eher zu bestimmten Pflanzenarten neigten, sie dann ausbildeteten [Ehrlich, in der Frage schieden sich sowieso die Geister. Suchte sich die Pflanze den Landare oder Landare die Pflanze? Was zu Hölle einen Einfluss darauf hatte, was für eine Pflanze sich bei so einen Landarenkind zeigte war völlig unbekannt und Energizer konnte sowieso keine Sau erklären. Wahrscheinlich war das alles einfach nur völlig random. Auf jeden Fall war es keine Genetik, denn wir sollte man denn erklären, dass zum Beispiel zwei Nadelbäume eine Rose und einen Krokus bekamen.]

Hoseok bemerkte wie er gedanklich völlig abschweifte und schüttelte schnell den Kopf. Wie auch immer. Auf jeden Fall war er von der Geschwisterseele nach einiger Beobachtung relativ überzeugt, also konnte er May trotz schlechten Start einfach nur lieb haben.

Laut Buch hatten Geschwisterseelen den selben Grundcharakter, nicht zwangsläufig dasselbe Geschlecht, sahen sich aber  jedoch recht ähnlich, hatten immer dieselbe Pflanze und für sie kamen dieselben Deppen als Mate in Frage. Jaaaa gut. So lieb hatte Hoseok sie dann doch wieder nicht. Aber auf jeden Fall lieb genug,um die kleine Mal endlich dazuzubringen ihn seinen Job machen zu lassen und ihr ein offenes Ohr zu schenken.

Sie war hinten in der C-Reihe und Hoseok konnte durch die Regale hindurch sehen, wie sie ein Buch in der Hand hatte, einfach so zur Tarnung, und wurzeln schlug. "May, ich weiß das du da bist", sagte Hoseok und packte einen weiteren Stapel Bücher, die neu sortiert werden mussten, auf den Tisch. May ließ vor Schreck fast das Buch fallen und sagte nichts, sondern tat so als wäre sie nicht da.

Er seufzte. "May." Er wandte sich von dem Tisch ab, ging zur C-Reihe und sah in den Gang. "Wie lange soll ich dich das noch machen lassen?", wollte wissen. Ihr Augen weiteten sich überrascht und sie schob schnell das Buch ins Regal. "Wie machen lassen? Ich hab nichts gemacht", beteuerte sie, doch offensichtlich hatte sie den Platz für das Buch nicht erwischt, wenn sie schob es in die falsche Lücke, wodurch sie das Buch in dieser Lücke nach hinten schob und dieses wiederum dafür sorgte, dass das Buch auf der anderen Seite des Regal aus seiner Lücke geschubst wurde und es mit einem lauten Knall auf den steinernden Boden krachte.

"Entschuldigung", murmelte May verlegen. Hoseok ging zu dem Buch und hob es auf. Er tauschte es mit den falschen Buch, bevor er rumging und das Buch an seiner richtigen Stelle verstaute. Dann warf ein Blick auf das Buch, dass May die ganze Zeit gehalten hatte. "Chronik des Fischereigewerbes", las er und sah die Jüngere an. "Fischerei?" "Ich liebe Fisch", meinte sie mit großen Augen und Hoseok lachte leise.

Er nahm ein Buch aus dem Regal, von dem er sich sicher war, dass es auch Jimin interessieren würde und drückte es ihr in die Hand. "Setz dich doch einfach zu mir", schlug er vor und sie nickte schüchtern. Er ging zurück zu dem Sofa, was sich in der Mitte er Bibliothek befand und nach ein paar Sekunden setzte sich Mai zu ihm. Sie blätterte durch das Buch und Hoseok konnte sehen, wie sich ein Lächeln auf ihre vollen Lippen schlich, die tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit zu Jimins aufwiesen.

Sie las eine Weile, schien sich immer mehr zu entspannen und schließlich ließ sie das Buch sinken und räusperte sich. "Ich wollte eigentlich mit dir reden", meinte sie und Hoseok nickte nur wissend. Was sie nicht sagte. "Wie kann ich dir helfen?", fragte er und betrachtete sie aufmerksam. Die Rosahaarige biss sich auf Lippe und atmete tief durch. "Wo fange ich an?" Sie zog die Beine an und überlegte kurz.

"Meine Eltern sind schwierig", begann sie. "Meine Mutter ist das kleinere Problem, die ignoriert mich in der Regel die meiste Zeit und mault mich eben voll, wenn sie es nicht gerade tut, doch meine Vater neigt zu gelegentlichen Wutausbrüchen, wenn ich ihm nicht perfekt genug bin und darum will ich nicht mehr nach Hause." Hoseok blinzelte überrascht. Damit hatte er dann doch nicht gerechnet. Wie deutlich das doch wieder zeigte, dass auch Landare alles andere als perfekt waren.

"Wie sehen dieses Wutausbrüche aus?", wollte er wissen. May seufzte und sah kurz zur Tür, ob auch niemand kam, dann stand sie auf und lüftete kurz ihr T-Shirt. Die gräulich-grünen Schatten waren noch immer auf ihrem Körper zu sehen, dabei war sie bestimmt schon vier Wochen in Vicarli. Sie setzte sich wieder. "An dem Tag, als mich Jimin mitgenommen hat, war ich fast so weit mir irgendwen zu suchen, der mich mitnimmt und bei dem ich mich verstecken kann und mir wäre egal gewesen, was der eventuell dafür hätte haben wollen. Ich hatte Glück, dass mich Jimin den Tag mitgenommen hat", erklärte sie.

Hoseok bekam ein schlechtes Gewissen, dass er sie mit Wasser angeschüttet hatte, doch auf der anderen Seite hatte er es auch nicht besser wissen können. "Was erhoffst du dir jetzt? Du bist minderjährig, dass macht das Ganze schwierig. Eigentlich dürfen deine Eltern bestimmen, wo du zu sein hast", gab Hoseok zu bedenken und sie nickte. "Ich hab lange nachgedacht, ich hatte hier ja auch endlich mal Zeit dazu." Sie nickte als wollte sie sich selbst motivieren weiter zu sprechen und sah Hoseok ernst an. "So geht das nicht weiter. Nur weil er mein Vater ist kann er nicht so mit mir umgehen. Sollte er mich also nicht in Ruhe lassen, dann will ich ganze Sache vor der Rechtssprechung klären. Und dazu möchte ich eine gesicherte Aussage bei dir machen."

Hoseok nickte. Das war sehr mutig von ihr. Wahrscheinlich trauten sich das nicht viele. Wenn May Gerechtigkeit wollte, dann würde Hoseok sie unterstützen. Und eine von einem vertrauenswürdigen Priest abgesicherte Aussage, war vor einem Tribunal eine Menge wert. Um ein Priester anzulügen musste man schon echt, echt skrupellos sein und das traute sich wirklich so gut wie niemand. 

Außerdem hatte er gesehen was sich da auf ihrem Körper befand und er würde gleich mal mit ihr rüber in das Krankenzimmer gehen und noch einen Blick drauf werfen, doch allein, dass es noch immer zu sehen war - und das bei einem Lotus - lässt vermuten, dass es heftig gewesen sein musste.

"Hast du das mit einem Heiler abgesprochen und dich behandeln lassen?", fragte Hoseok und die junge Frau stürzte die Lippen. "Ja, damit wir eine Art Bestandsaufnahme haben. Yoongi hat darauf bestanden. Aber die wollten mich gleich in Gips packen. Uncool okay? Ich bin-" "Sag es nicht." "Aber, ich-" "May. Nein." 

Die Jüngere verstummt und schmollte und Jimin hätte das nicht besser hinbekommen. "Wenn ich noch einmal die Worte 'Lotus' 'ok' und 'Wanne' in einen Satz höre, dann stütze ich mich aus dem Fenster", meinte Hoseok und fuhr sich durch das schwarzbraune Haar. "Aber es ist doch war!", beteuerte May und Hoseok schüttelte ergeben den Kopf. 

Zurück zum Thema. Hoseok schenkte May einen aufmunternden Blick. "Hör zu, May. Ich nehme mich deiner Sache an. Du kannst mit mir über alles reden, ich werde dir helfen so gut ich kann", versprach er, "und wenn du deinen Vater in den Arsch treten willst, dann bin ich dabei." May lächelte dankbar und sie nickte. "Danke."