#221 Chaos

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Abraxas

Abraxas überschlug die Beine und legte den Kopf schief. "Was wenn ich es einfach nicht sage?", fragte er. "Na ja, dann schiebe ich dich eben wieder vor die Tür und vertrau mir die findest du auch nicht wieder", antwortete Namjoon locker. "Aber das wäre langweilig, also?" Abraxas verdrehte die Augen. "Kannst du es dir nicht denken?", fragte er genervt. "Noch mal für dich zum Mitschreiben: Ich bin ein Odiomare. Geboren aus Hass. Alles, was ich fühle, ist Hass und Wut." Er lehnte den Ellenbogen lässig auf die Lehne der Couch und sah Namjoon an. "Also habe ich die Wahl zwischen absolutem Nichts oder den Gefühlen, die mir nun mal zur Verfügung. Und das sind – nochmal – Wuuuhuuuut und Haaaahaaass. Kapiert? Dann kommt dazu diese lustige Komponente, die sich 'Überleben' nennt. Energie, mein Freund."

Abraxas verschränkte die Arme und stieß die Luft aus seinen Lungen aus. "Ich kann mich nicht in die liebliche Sonne stellen, wie so ein Scheiß Landare. Wenn ich esse, dann damit dieser Körper überlebt, aber mir bringt das gar nichts. Ich, als das was ich habe nur zwei Möglichkeiten: Das, was ich kapiere, selber fühlen – und in der Regel kommt dabei so gut wie nichts rum, das zu probieren ist mehr oder weniger ein verzweifelter Kraftakt – ooooooder ich lass es andere für mich fühlen – und da fangen wir an zu sprechen, mein lieber Schwan, nur ein bisschen Hass in meiner Umgebung und das süße Leben gibt mir Rückendeckung."

Namjoon zog eine Augenbraue hoch, ließ aber sonst nicht wirklich durchblicken, was er darüber dachte. "Also schmeißt du dieses giftige Zeug ins Wasser, damit du Probleme schaffst, für die dich Leute hassen oder durch die sie wütend werden, damit sie das für dich fühlen und du deine Energie daraus ziehen kannst", stellte er fest. Okay, offensichtlich hatte es Namjoon überraschenderweise tatsächlich verstanden. Abraxas betrachtete nur seine Fingernägel. Aber irgendwas an diesen machte ihn stutzig, doch irgendwie wollte ihm nicht aufgehen was.

"Ich denke, die Realisation kommt an", meinte er ohne aufzusehen. "Ich hab nicht viele Möglichkeiten, wenn ich nicht verhungern will. Aber wie jeder andere habe ich nicht vor zu sterben. Ich bin ein Monster, Namjoon. Ich bin nur geboren worden um schlechtes zu bringen oder zu verrecken. Sind damit alle deine Fragen beantwortet?" Er sah wieder auf und zuckte teilnahmslos mit der Schulter. "Ist nicht so als würde es mir leidtun, damit kann ich nichts anfangen." Namjoon musterte ihn ein paar Sekunden. "Aber Hass und Wut ist doch sicher nicht alles?", fragte er und Abraxas zischte genervt. "Na, schon, wenn ich durchzähle, dann sind es sogar drei. Cool, oder?"

Namjoon fuhr sich durch die Haare. "Was ist die dritte Emotion?", wollte er wissen, doch Abraxas gab nur ein abfälliges Geräusch von sich. "Das geht dich einen scheiß an", zischte er. Namjoon hob abwehrend die Hände, als wolle er sich ergeben. "Schon gut. Sicher, dass du nicht noch mehr lernen kannst?", fragte er als Nächstes. "Ja, Mensch ich kauf mir einfach ein Buch, dass mir erklär, wie Gefühle funktionieren und erweitere mein Repertoire um die sonnige Seite des Lebens, dass ich da noch nicht drauf gekommen bin", meinte er ironisch. "Wie wäre es mit Nein?!" Namjoon schien sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

"Na ja, nehmen wir mal an du würdest kapieren, was Freude ist. Kannst du dann nicht aus theoretisch anderen eine Freude machen und dich daran nähren, dass sie sich freuen?" Stille. "Sag, mal Namjoon, bist du irgendwie mit dem Kopf vor einen Türrahmen gelaufen?", fragte Abraxas und allmählich war er wirklich durch mir Namjoon. Namjoon schnaubte nur leise. "Erzähl mir nicht, dass du nicht merkst, dass du dich bereits veränderst. Du bist nicht mehr, was dein Wirt dir vorgibt zu sein. Ich habe dir schon mal gesagt, dass du was Besonderes bist. Du hast deine Art, du entwickelst dich zu etwas eigenen, du hast dir einen eigen Namen ausgesucht. Warum solltest du nicht lernen können?"

Abraxas schüttelte den Kopf. "Ich habe noch nie solchen Bullshit gehört." Das konnte nicht sein, das würde alles auf den Kopf stellen, alles war scheiße aber einfach. Wenn Namjoon recht hatte, dann war alles scheiße und kompliziert und scheiße kompliziert. "Das, was du da fühlst, wenn du über mögliche Konsequenzen nachdenkst, ist Angst. Herzlichen Glückwunsch", bemerkte Namjoon spitzfindig. "Fein, Joonie, dann kann ich jetzt auch Angst und Schrecken über die Leute bringen oder wie stellst du dir das vor?", schnappte Abraxas ein und schnaubte verächtlich, "du hast keine Ahnung von dem Leben eines Odiomares! Es gibt keine Veränderung, keinen Ausgang!" Namjoon hatte allen ernstes die Nerven zu lachen.

Er konnte froh sein, dass sie in seinen 20m² waren, sonst hätte Abraxas ihn in Stücke gerissen. Er war zu nachlässig gewesen. Was erlaubte Namjoon sich? Namjoon deutete auf einen Schrank hinter sich. "Okay, Abra, dann geh mal zu dem Schrank und mach die Tür auf", meinte er. "Wieso, ist dahinter Narnia?" Namjoon schüttelte gutmütig mit dem Kopf. "Tu es einfach."

Abra stand auf. Was bitte sollte schon so tolles in einem Schrank sein? "Das, was dich grade dazu bringt, in den Schrank zu schauen, nennt man übrigens Neugier, ich sags nur." Konnte er auch einfach still sein? "Halt deine dumme Fresse", knurrte Abraxas, doch die Tür des Schrankes zog er trotzdem auf. Sein Blick fiel auf die Innenseite der Schranktür, in der ein Spiegel hing. Er erstarrte für ein paar Sekunden. Was er sah war befremdlich.

Er sah nicht mehr aus wie Namjoon.

Abraxas musterte sich. Das machte keinen Sinn. Aber jetzt ging ihm auch ein Licht auf, was ihn vor hin an seinen Fingern so irritiert hatte. Das waren nicht mehr Namjoons Hände. Sein Hände waren kleiner und schlanker. Generell war er ein ganzes Stück kleiner als Namjoon. Sein Haar war blond, er hatte feine Gesichtszüge, mandelförmige, dunkle Augen. Er sah nicht mehr aus wie Namjoon und er sah auch nicht aus wie irgendwer, den er je besetzt hatte. Das war neu. Und egal wie sehr er versuchte sich einzureden, dieses Aussehen würde ihm nicht zu sagen – zu klein, zu weich, fast schon niedlich, was soll das? - so hatte er nie, wenn er in einen Spiegel schaute, dass Gefühl gehabt, sich selbst zu sehen, bis zu diesem Moment.

Das war irgendwie zu viel. Er schlug die Schranktür zu. "Was hast du angestellt? Was ist das für ein Trick? Hältst du mich für bescheuert?!" Er wurde immer lauter. Wut. Das ist besser. Damit konnte er etwas anfangen. "Ich war das nicht, das warst du", beteuerte Namjoon. "Halt mich nicht zum Narren!", schrie Abraxas ihn an.

Er ließ das unbewusste mit einem Schlag wieder. Er hatte genug von Namjoon. Schnell schlug er die Augen auf und rappelte sich hoch. Wütend griff er nach dem Fläschchen und schmiss es, bevor Namjoon ihn nur wieder aufhielt voll Wucht gegen einen der Steine, die kegelförmig von der Decke wuchsen. Das Fläschchen zerbrach und seine Scherben und sein Inhalt landeten in dem Strom. Tief atmete Abraxas durch.

"Vergiss nicht, wer von uns das Sagen hat!"

Curare - Teil IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt