Namjoon
Irgendwie lief es. Es könnte schlimmer sein. Namjoon hatte es in seinem Leben schon gemütlicher gehabt, doch seit dem er wenigstens seine Gedanken gegen den Odiomare abschirmen konnte, fand ihn dieser auch nicht so leicht wieder, während die Welt in seinem Kopf sich irgendwie immer mehr selbstständig machte.
Was sich hier gebildet hatte, war kalt, feucht, dunkel und unbequem. Doch es bot eine Menge Raum, um dem Odiomare aus dem Weg zu gehen. Es handelte sich um eine Art Kellersystem mit rauen, nassen Wänden und der einzige Ausgang führte zu einem nebeligen Wald. Verrückt was ein Kopf alles so erschaffen konnte. Namjoon fragte sich, warum der Odiomare nichts schlimmeres entworfen hatte. Klar war das irgendwie eklig, aber es war nicht gefährlich. Ob es was mit ihm selbst zu tun hatte? Namjoon versuchte immer mal wieder seine Umgebung zu verändern, doch er konnte nicht genau sagen, ob es etwas bewirkte.
Vielleicht war diese innere Vorstellung auch der Mix aus dem war er und der Odiomare jeweils bauen wollten. Das würde erklären, warum es so war, wie es war. Mit schnellen Schritten bewegte sich Namjoon durch die Gänge. Das machte er den ganzen Tag. Solange er in Bewegung war, wurde es schwieriger ihn zu finden und das war Namjoon bewusst. Was ihm jedoch genauso bewusst war, war die Tatsache, dass er das nicht für immer machen konnte.
Was sollte er also mit dem Odiomare anfangen?
Nun, besiegen konnte er ihn nicht. Zumindest nicht im Moment. Namjoon hatte nachgedacht und ihm war bewusst geworden, dass er im Moment nicht mehr war, als der Gefangene des Odiomares. Er hatte sich erinnert, dass er mal etwas darüber gesehen hatte, was die gängigen Empfehlungen sind, wenn man entführt wird und eine davon war: Freunde dich mit deinem Entführer an und rede mit ihm. Wenn er dich als Person wahrnimmt, dann wird es ihm um einiges schwerer fallen dir weh zu tun. Namjoon hatte ein bisschen Zweifel, dass das bei einem Odiomare hinhauen würde, doch er wollte es mal im Hinterkopf behalten – also irgendwo zwischen diesen Gängen, was?
Wenn Namjoon inzwischen eins über den Odiomare wusste, dann dass er sich auf jeden Fall gerne reden hörte. Wenn also das Anfreunden völlig absurd klang – immerhin das mit dem Reden, das klappte. Tatsächlich war es Namjoon auch schon zwei Mal gelungen, denn Odiomare zum Reden zu bringen und dann die Kurve zu kratzen. Langsam wurde da ein Muster draus und das alles war besser als nichts. Namjoon wagte also fast zu behaupten, es lief schon irgendwie. Er war noch am Leben und wenn alles nur so seinen Gang ging, wie es aktuell der Fall war, dann würde er es auch weiterhin bleiben. Und Lilly mit ihm.
Namjoon bog um eine Ecke und fand sich plötzlich in einer Halle wieder. Halle wäre ja eigentlich nicht so schlimm, auch wenn ihm die Gänge lieber waren, da würde man nicht so schnell entdeckt und hatte alles im Blick, doch Halle mit einem Odiomare darin, das war dann schon wieder etwas, dass es zu vermeiden galt. Also wollte Namjoon eigentlich gleich wieder rückwärts aus der Halle raus, doch der Odiomare war schneller, denn auch wenn er sich nicht mal die Mühe machte von dem Tisch, über den er sich beugte, aufzusehen, war der Gang hinter Namjoon verschwunden.
"Naaaaaaaamjoooon, komm her ich muss mit dir reden", forderte er und Namjoon seufzte gestresst. "Reden?", echote er unbegeistert und sein Gegenüber nickte. "Jetzt komm schon, ich versuche auch einmal dich nicht umzubringen, großes Indianerehrenwort", meinte er ironisch und Namjoon traute sich vorsichtig näher auch, wenn er ihm einen Scheiß glaubte. Der Odiomare schien über einer Karte zu hängen, die er jedoch zusammen rollte, als Namjoon nah genug war um etwas zu sehen. Was hatte der Kerl schon wieder vor? "Ich habe nachgedacht, Namjoon", meinte er und Namjoons Augenbraue wanderte nach oben, ob des Tons, den der Odiomare anschlug. Der war nämlich freundlich. Irgendwie. Was zu Geier.
"Worüber denn?", wollte Namjoon wissen und blieb lieber auf Sicherheitsabstand. Der Odiomare setzte sich halb auf den Tisch und deutete mit der Schriftrolle auf ihn. "Die Sache mit den Namen." Das hatte ihn beschäftigt? "Ich habe dein Gehirn durchwühlt und ich habe einen gefunden, der mir gefällt." Namjoon legte den Kopf schief. Er hatte sich einen Namen ausgesucht? Er war ein Odiomare eigentlich sollte das seiner Natur widersprechen, nach allem was er über Odiomare wusste.
Normalerweise übernahm ein Odiomare einfach das Leben, den Namen und teile des Charakters der Person, die sie besetzen. Doch im Grunde war bei dieses Odiomare schon mal aufgefallen, dass er wohl irgendwie aus diesem Muster gefallen zu sein schien. Er hatte schon Calver nicht ganz richtig auf genommen und bei Ferrys hatte er es zum Schluss nicht mal mehr versucht irgendwie "Ferrys" zu sein. Und jetzt wollte er einen eigenen Namen? "Na, dann schieß mal los", meinte Namjoon und der Odiomare lehnte sich zufrieden zurück.
"Abraxas."
Ach, um Himmelswillen. Namjoon versuchte sich zu erinnern, was er über Abraxas gelesen hatte. "Da sind so viele Namen in meinem Kopf und du suchst dir den einer gnostischen Gottheit aus?", meinte er und blinzelte ungläubig. Eigentlich sollte es ihn nicht überraschen. Der Odiomare nickte und sah ihn erwartungsvoll an und Namjoon ging auf, dass er tatsächlich irgendwie eine Reaktion oder Wertung haben wollte. Das war ein Odiomare, der hatte sich einen Namen ausgesucht und jetzt musste er das unbedingt jemanden erzählen und da er niemanden hatte erzählte er es ihm. Mensch das war ja glatt ein bisschen mehr, als Wut und Hass.
Wenn Namjoon es nicht besser wüsste, würde er sagen, dass der Odiomare glatt ein bisschen sozialen Kontakt suchte. Namjoon musterte ihn einen Augenblick. "Du weißt schon, dass du was Besonderes bist?", fragte er schließlich und Abraxas sah ihn mit schmalen Augen an. "Was meinst du?", fragte er und Namjoon zuckte mit den Schultern. "Ich denke nicht, dass es vor dir einen Odiomare gab, der sich einen Namen ausgesucht hat, oder?", präzisierte Namjoon. Der Odiomare schnaubte. "Keine Ahnung, um ehrlich zu sein", meinte er ehrlich, "ist nicht so, als würde ich mich mit anderen Odiomaren jeden Donnerstag zum Lunch treffen."
Namjoon nickte das ab. "Wieso eigentlich nicht?", fragte er. Abraxas schnaubte. "Weil ein anderer Odiomare uns den Körper genauso streitig machen können, wie wir es bei jedem anderen Lebewesen tun können. Wir kennen keine Freunde. Wir werden aus Hass geboren. Wir sind Konkurrenz. Ich habe genauso wenig Bock einen Odiomare zu treffen, wie du, selbst einer zu sein bewahrt einen davor nicht." Namjoon ging irgendwie auf, dass ein Leben als Odiomare, ein Leben für die Tonne zu sein schien.
"Verstehe", erwiderte Namjoon unentschlossen, "klingt nicht gerade lustig." Abraxas schnaubte abfällig. "Lustig ist ohnehin ein Konzept, dass ein Odiomare nicht versteht", erwiderte er und musterte Namjoon scharf. Dann lächelte er böse. "Ein Odiomare ist Wut und ein Odiomare ist Hass. Ganz simpel." Namjoon schüttelte den Kopf. "Ich glaube, du bist mehr als das", gab er mit einem vorsichtigen Lächeln an. "Mal abgesehen davon, dass du ätzend bist auf eine überhebliche Art und Weise hat es dich offensichtlich getroffen, als ich sagte, dass nur ein Parasit ist, der nicht mal einen Namen hat, sodass du versuchst es zu ändern. Du willst jemand sein, Abraxas." Namjoon hatte nur noch keine Ahnung, was das für ihn bedeuten mochte, doch er nahm die Erkenntnis erstmal hin. Er würde später darüber grübeln.
"Vielleicht hast du doch mehr Persönlichkeit, als ich dachte", gab Namjoon zu, "und offensichtlich bist du fähig Dinge zu lernen. Also solltest du dich vielleicht nicht nur mit diesem Hass- und Wutscheiß zufriedengeben und lernen, was es heißt zu leben. Denk mal darüber nach." Sollte der Odiomare irgendwann mal doch noch zu sowas wie Freude oder Sympathie kommen, dann wurde das mit dem Anfreunden vielleicht doch noch was, was bedeuten würde, dass Namjoon immerhin erst einmal irgendwie am Leben blieb und zumindest im Moment war das der vorrangigste Plan.
Abraxas schnaubte abfällig und die Kälte hatte ihn zurück. Er setzte ein spöttisches Lächeln auf, doch irgendwie saß es nicht ganz perfekt und Namjoon vermutete doch schon recht stark, dass er irgendwelche Zahnräder in Abraxas in Gang gebracht hatte und dieser wurde das jetzt erst bewusst. Geheuer schien es dem Odiomare nicht zu sein. "Für wen hältst du dich? Meinen Yoda?", fragte er abschätzig. "Ich weiß noch nicht mal, ob das was du sagst eine Beleidigung oder ein Kompliment sein soll, also mach dir nicht die Mühe in mir mehr zu sehen als ich bin."
Er rutschte vom Tisch und musterte ihn. "Und glaub nicht ich hab vergessen dich loszuwerden. Ich denke es wird eh langsam mal wieder Zeit deiner dummen Seele einen Schlag zu versetzen, aber heeey weil wir so nett geplaudert haben, lasse ich dir ein paar Sekunden Vorsprung." Namjoon seufzte leise. Er würde es sich nicht darauf ankommen lassen. "Danke", meinte er nur ironisch und zu seiner Überraschung war der Gang, aus dem er gekommen war, auch wieder da, also ließ sich Namjoon auch nicht zweimal bitten und sah zu, dass er die Halle verließ.
Und irgendwie hatte er auch nicht das Gefühl, dass Abraxas ihm folgen würde.
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Curare - Teil II
FanfictionHatte der 23-jährige Koreaner Namjoon bis vor ein paar Wochen noch starke Zweifel an seiner mentalen Verfassung, weil seine Liebe der Grünlilie auf dem Fensterbrett galt, so war er nun von jeglichen Infragestellungen (das ist ligit ein Wort) seiner...