#182 Noch einen von der Sorte

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Taehyung

Es war immer wieder beängstigend zu spüren, wie es war am Rand der Energielosigkeit zu stehen. Nicht, das Taehyung das oft mit gemacht hätte, doch das erstem mal war es eben auch nicht. Also wusste er auch was ihn erwartete. 

Und was man von ihm nicht mehr erwarten konnte. 

"Es tut dir leid?", fragte Jungkook und sah ihn an. "Es tut dir also leid?" Ja, verdammt es tat Taehyung leid seinen Mate enttäuschen zu müssen, doch er hatte bei dem letzten Spell alles gegeben was er noch hatte. Dass er es bis hier in diese verdammte Scheue geschafft hatte, bevor sein System in sich zusammensackte, war ein Wunder, doch das würde sie auch nicht retten. Jetzt lehnte er an dem müffelnden Heuballen und bekam keinen Muskel mehr bewegt, während er schwitze, als hatte er Fieber und sich genauso auch fühlte. 

"So einfach kommst du mir nicht davon", meinte Jungkook und ging auf und ab, während er scheinbar aufgeregt nachdachte. Er sah nach oben zur Tenne, doch Taehyung wusste, dass auch das ihnen nicht helfen würde. Das war genauso effektiv, wie einfach hier hocken zu bleiben, sobald die Türen erstmal nach gegeben hatten. "Komm", forderte ihn Jungkook trotzdem auf, doch Taehyung ließ seinen Kopf nur gegen den Ballen sinken. Selbst das atmen war anstrengend. Er schüttelte den Kopf. 

"Jungkook, ich kann nicht mehr." 

Jungkook schien verzweifelt. "Nicht mal mehr bist da hoch?", fragte er, doch er schien allmählich zu begreifen, wie schlecht es um Taehyung stand. Taehyung seufzte nur schwer. Seine arme, kleine, süße Schwester. Er wusste noch genau, wie es sich angefühlt hatte, als der Hüter der Energie, Seungkwan, ihm mit ernsten Gesicht mitgeteilt hatte, dass Lillys Energie in den roten Bereich gerutscht war und sie Circaya abschalten mussten. Er war sich ziemlich sicher, dass sie das nun in Retour bekam und der Gedanke zerriss Taehyung ein Stück. Er hatte nie gewollt, dass Lilly etwas derartiges fühlen musste, schon gar nicht zwei mal in so kurzer Zeit. 

Und was ihn genauso zerriss, was die Verzweiflung in den Augen seines Mates. Er hatte versagt. Er hatte Jungkook beschützen wollen und jetzt waren sie hier, bald würden diese Tore nachgeben und die Revixen würden sie zerreißen. Doch so sehr er ihn noch immer beschützen wollte zitterten seine Hände, tanzten Punkt vor seinen Augen und hatten seine Beine sich in Pudding verwandelt. "Ich bräuchte mindestens 20 Minuten, damit ich überhaupt wieder auf die Beine komme", sagte er ehrlich, denn es machte keinen Sinn Jungkook anzulügen. Sie wussten beide, dass die Tore so lange nicht halten würden. 

Jungkook ließ sich wortlos neben ihm auf die Knie fallen. Dann schlang er die Arme um Taehyungs Mitte und kuschelte sich an ihn. Offensichtlich wollte er, wenn sie schon verrecken mussten, dass wenigstens an Taehyungs Seite tun. "Das wird solange nicht halten", sprach er es schließlich doch wispernd aus. "Nein, wird es nicht", bestätigte Taehyung und sah ihn an. "Wenn wir einen zweiten von mir hier hätten, dann wäre der Rest kein Problem mehr." Er lachte bitter. Wie hatte er Jungkook nur in so eine Situation bringen können? Er war ein denkbar schlechter Protector. "Es tut mir Leid", wiederholte er nur wieder. Er musterte seinen jungen Mate liebevoll und spürte nur einmal mehr ihre tiefe Verbundenheit. 

Jungkook nahm sein Gesicht zwischen die Hände. "Shh", machte er leise, "das ist nicht deine Schuld." Wann hatte Jungkook noch mal gelernt seine Gedanken zu lesen? Taehyung betrachtete Jungkook weiter und irgendwie konnte er seinen Blick nicht von den dunklen Augen seines Mates reißen, so als würde Jungkooks Blick den seinen magnetisch anziehen. Er versank in dem Moment der absoluten Verbundenheit, den er mit dem jüngeren teilte, während die Geräusche um ihn herum immer leiser und leiser wurden und schließlich nahe zu verblassten. 

Bald schien es Taehyung, als wäre das einzige was er noch hörte das schlagen von Jungkooks Herzen, dass mit seinem in einem seltsamen Einklang stand. Und das nicht als cringy Methapher, sondern wörtlich. Irgendwas war seltsam zwischen ihnen. Seltsam, aber auch großartig. Ohne weiter nachzudenken beugte Taehyung sich näher zu Jungkook und lehnte seine Stirn an die seines Mates. Ein Kribbeln erfasste seinen ganzen Körper, doch nur für ein paar Sekunden. Was zum Geier passierte hier schon wieder?

Die Gedanken rasten mit einem mal noch viel schneller durch Taehyungs Kopf, ohne dass er wirklich nachdenken wollte, doch Taehyungs Gehirn spuckte ihm mit einem mal eine Menge Lösungsvorschläge aus, die es aber auch gleich wieder verwarf, weil sie grade nicht umsetzbar war.  Um Himmels Willen, Gehirn, beruhige dich. Das war nicht das ruhige pragmatische Denken, dass er von sich selbst gewohnt war. 

Jungkook sah ihn ein paar Sekunden fassungslos an. Dann nahm er sich Taehyungs Dolch. "Warum war mir das nicht vorher klar?", fragte er und grinste zufrieden, als er den Dolch einmal locker in seiner Hand spinnte. "Was denkst du, wie viele sind es noch?", fragte er leicht hin. Die Angst war aus seinem Gesicht verschwunden. Taehyung war nur noch verwirrter und dass seine Gedankenstörme plötzlich so sprunghaft waren machte es nicht besser. "Jungkook, was hast du vor?", fragte er fast ein bisschen panisch, doch Jungkook tätschelte sein Knie mit einem selbstbewussten Lächeln. 

Okay, wann hatten sie getauscht? 

"Was zum Geier war das grade?", fragte Taehyung und Jungkook ging zu seinem erstaunen zur Tür. "Spürst du es nicht?", fragte er. "Ich spüre schon was, aber ich weiß nicht was ich davon halten soll." Misstrauisch bebachtete er, wie sein Mate die Barrikade löste. "Jungkook, mach keinen Scheiss!", sagte er warnend und versuchte auf die Beine zu kommen, um den Jüngeren irgendwie aufzuhalten, doch diese waren wie aus Gummi und Tahyung kippte nur wieder gegen den Ballen. Jungkook sah ihn noch mal an. "Mach ich nicht. Dummkopf, du hast genau das bekommen was du wolltest", erwiderte er und zog die Tür auf, so das nur einer der Revixen durch konnte. 

Taehyung traute seinen Augen nicht wirklich, als Jungkook anfing, die Feinde einen nach den anderen auszuschalten, als wäre er eine Warrior mit jahrelangen Training und kein schmächtiger Techniker. Es war beeindruckend. Geschmeidig wie ein Tänzer wich er den Attacken der Revixen aus und ließ die dämonischen Biester zu Staub zerfallen. Wenn er auch so aussah, wenn er Viecher verprügelte, dann konnte Taehyung allmählich verstehen, warum seine Warrior seine Art zukämpfen ansehnlich fanden, denn - gnarf - Jungkook war schon irgendwie heiß? Taehyung kam nicht umhin trotz der Misslichkeit der Lage seinen Mate anzustarren und innerlich zu fanboyen. 

Es war nicht so, als ob Jungkook nun ein Gott war, doch grade als er allmählich an seine Grenzen kam hörte der Strom an Gegner auf. Es war wie Taehyung gesagt hatte: Hatten sie noch einen von seiner Sorte, dann schaffte dieser auch den Rest. Fasziniert betrachtete Taehyung seinen  Mate, der wieder aufrichtete und den Dolch zufrieden in der Hand wog.

Jungkook hatte sie alle besiegt. 

Curare - Teil IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt