#239 Avanilion

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Taehyung 

Man sollte meinen, dass wenn man jemanden wie Hoseok hatte, der einen Großteil seiner Zeit damit verbrachte die Bibliothek des Palastes zu verwalten, man wenigstens eine Person hatte, die wusste, was alles in der Bibliothek verborgen lag. Doch es zeigte sich, dass selbst der Energizer nicht jede Ecke kannte. Wahrscheinlich war das auch gar nicht möglich, daher hatte sich bald ein ganzes Team zusammen gefunden, dass die Bücher wälzte, wann auch immer Zeit übrig war. Allen voran natürlich Hoseok, doch auch viele andere versuchten immer wieder ihr Glück und Taehyung bildete da keine Ausnahme, auch wenn er neben seinem Arbeitspensum nicht viel Zeit hatte. 

Taehyung blätterte gerade eines der Bücher durch und seufzte. Sie machten das nun schon drei Wochen und traten auf der Stelle. Es gab kaum Aufzeichnungen über Odiomare, weil die Wesen in der Regel ein ziemlich gefährliches und unsichtbares Mysterium waren. Sie waren wie eine verborgene Krankheit, die unerkannt streute, bis es zu spät war und der Organismus zusammen brach, bevor er einfach verschwand ohne, dass jemand sagen konnte, was schiefgelaufen war. 

Das einzige, was Taehyungs Frust ein bisschen milderte, war Jungkooks Kopf auf seinem Oberschenkel. Sanft fuhr Taehyung mit den Fingerspitzen durchs Jungkooks Haaransatz und versuchte sich sonst auf das Buch vor ihm zu konzentrieren, während die Matebindung zwischen ihm und Jungkook schon wieder lustige Sachen anstellte, denn tatsächlich kam es vor, dass ein  Buch unwissend von einer anderen Truppe, wenn sie sich dann in der Bibliothek rumdrückte, auch durchaus mal doppelt überprüft wurde. Doch wenn Taehyung ein Buch in die Hand nahm, dass Jungkook schon gelesen hatte, dann kam es Taehyung bekannt genug vor, um es wieder aus der Hand zu legen. 

"Verstehst du ein Wort von dem Scheiß?", fragte Jungkook und nickte auf das Buch, was Taehyung in den Händen hatte. Er selbst hatte gerade dessen Nachfolgeband am Wickel und wirkte mehr als nur missmutig. Taehyung schnaubte leise. "Wenn selbst du es nicht kapierst, dann ist der Autor wirklich schwer zu begreifen", meinte er und warf das Werk über 'astrale Erscheinungen' auf den Tisch und Jungkook warf den Nachfolger gleich hinterher. "Ob wir je was finden? Ist es überhaupt möglich einen Odiomare von seinem Wirtskörper zu trennen? Vielleicht ist es einfach nicht möglich", stellte Taehyung infrage und rieb sich die Nasenwurzel. Langsam begann er zu zweifeln. Hätte nach den ganze Wochen nicht irgendwer irgendwas finden müssen? 

"Wir sollten den Kopf nicht in den Sand stecken", hörte er Jaehyung sagen, der soeben aus einem der Gänge kam und eine neue Fuhre an Büchern auf den Tisch legte, bevor auch er sich auf eines der Sofas fallen ließ und sich das oberste Buch vom Stapel nahm. "Sagt der, der meinte, dass es das Sicherste wäre Namjoon zu opfern?", fügte Jungkook an und Jaehyung schenkte ihm einen bedeutsamen Blick. "Das ist nach wie vor die sicherste Alternative, Kleiner, aber Namjoon beweist auch wie zäh er ist und der Odiomare, der in ihm steckt, ist eine abnorme Rarität, also bin ich guter Dinge, dass wir eine andere Lösung finden", meinte er und schlug sein Buch auf, "und ihr solltet es auch sein." Jaehyung zog die Beine an und seufzte leise. "Zumal wir Zeit haben. Der Odiomare kann nirgendwo hin und ist relativ sicher verwahrt, was echt viel wert ist. Und darüber bin ich sehr glücklich."

Taehyung verstand schon was er meinte. Jaehyung selbst hatte dieses Glück nicht gehabt. Er nickte nur und nahm sich ein Buch von Jaehyungs Stapel. Der Lotus hatte schon recht, aber ganz passte es Taehyung immer noch nicht, wenn Leute überhaupt darüber nachdachten andere zu opfern. Jaehyung nahm sich angestrengt ein Kissen und drückte es an sich. "Ich verstehe deinen Frust, Taehyung. Irgendwie kommen wir gerade nicht wirklich weiter. Wir machen irgendwas falsch ... wir übersehen irgendwas", murmelte er. 

Ein paar Sekunden herrschte Stille, bis sie plötzlich überraschend von einer unerwarteten Ecke unterbrochen wurde: von einem der Regale aus. Auf einem der drei Meter hohen Regale saß nämlich Mai. Die junge Lotus hatte es sich im Schneidersitz, in der Höhe bequem gemacht, wahrscheinlich weil Hoseok da oben weniger schnell bemerkte, wenn sie Snacks mit in die Bibliothek schmuggelte. 

Curare - Teil IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt