#216 Lotus

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Hoseok

Die Tage zogen vorbei und wenn Hoseok nicht grade jemanden aus der Gemeinde half, dann fühlte er sich dumpf und kalt, wie in Watte eingepackt und irgendwie neben sich stehend. Immer machte das die ständigen Schmerzen erträglicher. Wie schaffte Yoongi das? Jeden Tag aufzustehen? Und das mit all ... dem?

Hoseok war klar, dass es ihn längst umgehauen hätte, wenn er kein Energizer wäre. Wieder einmal verfluchte er sein Dasein. Er war doch endlich glücklich geworden. Hatte er kein Glück verdient? Oder hatte er es nur bekommen, um noch härter bestraft zu werden? Was hatte er nur falsch gemacht, um das zu verdienen? Am liebsten würde er alles hinschmeißen, doch einfach stur seinen Aufgaben nachzugeben lenkte ihn ab. 

Dem Rest der Zeit verbrachte er bei Jimin und sah dem Lotus zu, wie er in dem kleinen Teich schwamm. Das war das maximal an Frieden, was Hoseok bekommen konnte. Es hatte nicht lange gedauert bis Hoseok angefangen hatte bei dieser stillen Beobachtungen seine Hand ins Wasser hängenzulassen. Wenn er nur genug Energie verlor, dann konnte er vielleicht gehen? Darüber überhaupt nachzudenken machte dem Energizer ein schlechtes Gewissen. Vor allem gegenüber seiner Gemeinde und seiner Familie. Gegenüber Thannam, die immer wieder versuchte ein Auge auf ihn zu haben und ihn irgendwie zu ankern. 

Doch auch sie konnte nicht jede Nacht da sein und das waren die Nächte in denen Hoseok seine Energie wieder im Teich versenkte. Hoseok konnte nicht mehr. Er wollte einfach nur bei Jimin sein, wo auch immer da sein mochte und die Erinnerung an den Tag, als Jimin das erste Mal fast gestorben war und Hoseok festgestellt hatte, dass Energie durch Wasser sprang, hatte ihm sich deutlich aufgedrängt.

Auch jetzt saß er wieder vor dem Teich und weinte stumm vor sich hin. Die Sonne ging langsam auf und der Himmel spiegelte sich in viel zu schönen Farben auf der Oberfläche dieses gottverdammten Teiches wider. Der Energizer seufzte und beobachtete den Nachlass, den sein Mate hinterlassen hatte, während er weiter hoffnungslos seine Energie einfach nur in dem kleinen Gewässer versenkte. Es würde wieder nicht genug sein, das spürte er schon jetzt. Ihm ging es miserable, doch die Energie wollte ihn einfach nicht gehen lassen, doch er konnte auch nicht weiter machen, denn wenn ihn hier noch jemand außer Thannam sah und eins und eins zusammen zählte, dann würde sie ihn aufhalten. 

Hoseok wollte grade die Hand aus dem Wasser ziehen, als er plötzlich eine Veränderung bemerkte, die er nicht weiter beziffern konnte. Er konnte nicht mal sagen was es war nur das es war. Irgendwas. Irgendwie. Hoseok ballte die Hand zur Faust und versuchte zu erfassen, was los war und es dauerte noch mal ein paar Sekunden, bevor er endlich registrierte, was sich verändert hatte. 

Ihm ging es besser. 

 Nicht gut. Aber besser. Wieso? Hoseok musterte den rosa Lotus einen Augenblick verwirrt. "Jimin", flüsterte er und streckte die Zweite an ins Wasser. Bildete er sich das nur ein? Oder gab sein Körper wohl möglich auf, er starb doch noch und die Schmerzen wurden deswegen geringer? Hoseok hatte keine Ahnung. Er wagte nicht zu hoffen... das es irgendwie Jimin war. Sein Gespür fühlte sich aber irgendwie völlig angezogen vom dem Lotus. Er war, als würde Jimin in rufen. Hoseok schnaubte leise, dann schob er wieder Energie in den Teich. Es war nicht so, als hatte er nicht jetzt schon enorme Anteile an Energie in dem Teich versenkt, doch jetzt versuchte er noch mal alles aus sich herauszuholen. 

Energie zu schieben war anstrengender, als es den Anschein hatte. Sie war deutlich leichter durch eine Interaktion zu verlieren, als durch den bloßen Willen sie irgendwie von sich zu stoßen. Trotzdem versuchte Hoseok auf den letzten Funken aus sich herauszuquetschen. Was wenn Jimin doch noch irgendwo war.... und ihn brauchte? Irgendwann tanzend jedoch schwarze Punkte vor Hoseoks Augen und er musste die Hände aus dem Wasser ziehen. Gespannt beobachtete der Energizer, ob irgendwas passierte, doch nichts geschah. Wie dumm von ihm. Offensichtlich gab es keine Wunder. Hatte er nicht vermeiden wollen zu hoffen? Hoseok stand auf und beinahe hätte es ihn umgehauen, doch er fing sich wieder. Je mehr Energie er krampfhaft verschleuderte, desto schneller schien sein Körper damit zu werden den ganzen Scheiß zu ersetzen. Er baute mal wieder Kapazitäten auf, die er nicht haben sollte, nur diesmal nicht für eine Person, sondern für einen verdammten Teich. 

Geschlagen wandte er sich von dem Teich ab und machte sich auf den Weg in die Zitadelle. Es war zwar noch früh morgens, aber hatte auch einige sehr frühe Schäfchen, die vielleicht mit ihm sprechen wollte. Dass diese vielleicht warten mussten, spürte er, als er schon fast wieder in der Bibliothek war, denn von einer Sekunde auf die anderen waren seine Schmerzen verschwunden. Was zur Hölle? Drehte er wohl möglich einfach nur komplett durch? Hoseok zögerte noch eine Sekunde, dann rannte er los, weg von der Bibliothek, weg von der Zitadelle. Er musste zum Teich. Er öffnete sogar eines der Fenster und sprang aus dem vierten Stock. Eine Sache, die man sonst nie von dem Energizer sah, weshalb er sich auch einen skeptischen Blick vom Seungkwan einfing, neben dem er landete. "Hoseok, alles ...?" Weiter kam der junge Landare nicht, denn Hoseok rannte einfach weiter. Sorry, Seungkwan. Er würde sich später entschuldigen. 

Hoseok bog um Ecke und konnte den rosa Haarschopf schon sehen. Jimin. Das war wirklich Jimin, der daneben dem weißen Lotus im Teich saß und offensichtlich erst einmal sich die Seele aus dem Leib hustete. "Jimin!", rief Hoseok und beschleunigte sich nur noch mehr. Sollte er sich jetzt volles Ballett auf die Schnauze packen, dann wäre das sehr peinlich. Und Hoseok völlig egal. Alles was zählte, war Jimin. Jimin sah Hoseok und wollte sich aufrappeln, doch er rutschte nur aus und landete wieder im Wasser. Hoseok sollte es recht sein, er sprang einfach in den Teich, wartete die letzten zwei Meter zu seinen Mate und zog ihn in seine Arme, wobei er halb auf ihn drauf stürzte. Wie nass er dabei wurde, war Hoseok gleichgültiger denn je. 

Er umfasste Jimins Gesicht und schluchzte erleichter aus. "Du lebst!", brachte er irgendwie unter Lachen und Weinen hervor und Jimin nickte und drückte sich an Hoseok. Hoseok hielt ihn so fest er konnte und bei allen Götter er würde ihn die nächsten zwei Wochen nicht mehr loslassen. "Was ist passiert?", fragte Jimin und löste er sich von Hoseok. "Wie lange war ich weg?" Hoseok strich ihm die Haare aus dem Gesicht, die lustigerweise wieder komplett rosa waren, als hätte er sie nie gefärbt. "Nur ein paar Tage", antwortete Hoseok und lehnte seine Stirn gegen die von Jimin. "Ich dachte, ich hab dich für immer verloren", schniefte er. 

Jimin löste sich wieder von ihm und sah sich um. "Bin ich beigesetzt worden? Ich war doch nicht tot." Verwirrung zeichnete sich auf dem hübschen Gesicht des Lotus ab und Hoseok stieß die Luft aus seinen Lungen aus. "Doch, das warst du", erwiderte er bitter bei dem Gedanken an die Hölle, durch die er die letzten Tage gegangen war. "Vertrau mir. Das warst du." Jimin biss sich einen Moment auf die Lippe und umrahmte das Gesicht seines Mates. "Es tut mir so leid", entschuldigte er sich, obwohl das bei Weitem nicht seine Schuld gewesen war. Hoseok schüttelte nur in einer Mischung aus Erleichterung und Unglauben den Kopf, bevor er ihre Lippen zu einem zärtlichen Kuss verband. 

Der Kuss war liebevoll und er ließ Hoseok erst richtig spüren, dass er zurückbekam, was er verloren geglaubt hatte. Er dankte den Göttern für diese Gnade, auch wenn er sich nicht erklären konnte. Glücklich drückte er Jimin an sich, der einfach im Wasser auf seinen Schoß rutschte, um noch näher bei ihm sein zu können und den Kuss zu vertiefen. Es war nass, es war kalt und es war öffentlich, was Hoseok eigentlich unangenehm sein sollte, doch stattdessen war es einfach nur wundervoll. 

Er hatte Jimin zurück. 

Hoseok könnte nicht glücklicher sein und dementsprechend war fürs Erste alles andere erst mal egal. Zumindest bis ein deutliches Räuspern die beiden aus ihrer kleinen Blase holte. Hoseok löste sich von seinem Mate und warf einen Blick in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, wobei er einen jungen Mann erblickte. 

Der Mann war von schlanker Gestalt, genau wie Jimin ohne Klamotten und pitschnass, hockte bei ihnen im Teich und hatte nahezu weißes Haar. Er wedelte mit der Hand und zog eine Augenbraue hoch. "Ich will euch ja nicht stören, während ihr hier wild auf dem Friedhof rumknutscht und ich freu mich für euch das ihr euch so gut versteht, aber erlaubt mir eine Frage..." Er stützte die Hand auf seinen Knien ab und sah von einem zum anderen. 

"Wer zur Hölle seid ihr?"

Curare - Teil IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt