Chanyeol hatte irgendeine bescheuerte Gaming App auf seinem Smartphone geöffnet, um sich irgendwie abzulenken, auch wenn er sich einfach nicht darauf konzentrieren konnte. Andauernd fiel sein Blick hinüber zum Fenster und er erwischte sich dabei, wie er die Einfahrt zu dem Haus der Kims verzweifelt nach Baekhyuns Auto absuchte.
Eigentlich hätten sie sich schon längst melden müssen. Sie hatten abgemacht, dass sie anrufen würden, sobald sie in Sicherheit und am Weg zurück waren. Dann, wenn sie Taehyung endlich hatten, und dieser Albtraum beendet war.
Doch sie hatten noch nicht angerufen... und es war schon längst überfällig.
Immer wenn er daran dachte, dass vermutlich etwas schief gelaufen war, begann Chanyeols Herz wie verrückt zu schlagen. Nein, es durfte ihnen nichts passiert sein... Sie würden gleich hier ankommen, bestimmt.
Das Warten war unerträglich und es machte es auch nicht besser, dass Chanyeol ständig Schritte im Nebenzimmer hören konnte. Zuerst hatten er und Kim Seunghyun noch zusammen im Wohnzimmer gewartet und dabei sogar Karten gespielt, um sich abzulenken, was schon mal ziemlich ungewöhnlich bei seinem Boss war, obwohl sie sich gut verstanden und Seunghyun ihn immer schon ein bisschen väterlich behandelt hatte, aber irgendwann war der Erwachsene ins Nebenzimmer verschwunden, wo er still schweigend auf und ab ging.
In ihm musste wohl das gleiche vorgehen wie in Chanyeol, auch wenn sich der Jüngere nicht ausmalen konnte, wie sich wohl die Schuldgefühle des Mafiosos anfühlten. Denn Chanyeol hatte in den letzten Tagen immer wieder mitbekommen (hauptsächlich wenn Baekhyun es ihm erzählt hatte), dass sich der Erwachsene Vorwürfe machte, wegen dem was in den letzten Jahren mit Taehyung los gewesen war. Er bereute ihn nicht wieder in die Familiengeheimnisse eingeweiht zu haben, denn dann wäre das alles mit der Entführung vielleicht nie passiert.
Nach dem Tod seines Onkels und später seiner Mutter, hatte Taehyung einen Nervenzusammenbruch erlitten und war für ein paar Tage in einer Klinik gelandet. Anscheinend war er schwer traumatisiert und um sich selbst davor zu schützen, hatte sein Verstand beschlossen einfach alles, was mit dem Trauma zu tun hatte, zu verdrängen und zurück in eine Zeit zu gehen, in der alles noch in Ordnung war. Taehyung konnte sich an nichts mehr erinnern - weder den Verrat seines Onkels und seiner Mutter, noch deren Tod. Nicht einmal daran, dass seine gesamte Familie in der Mafia tätig war.
Nein, sein Verstand war zurück in der Zeit, in der Zeit, in der er keine Ahnung davon gehabt hatte und plötzlich hatte Tae auch begonnen sich genau so zu verhalten - wie ein 9-jähriges Kind.
Der Psychiater hatte gesagt, dass so etwas schon mal vorkommen würde, aber die Erinnerungen und sein altersgerechtes Verhalten irgendwann schon noch zurück kommen würden, aber man musste es ihm schonend beibringen und am besten erst einmal Zeit verstreichen lassen.
Außerdem empfahl der Arzt eine Therapie, die Seunghyun abgelehnt und Taehyung einfach wieder nach Hause geholt hatte, weil er den Ärzten nicht traute.
Sie hatten gedacht, dass Taehyung irgendwann wieder anfangen würde sich normal zu verhalten und sich zu erinnern... aber es war nicht passiert. Er hatte sich wie ein Kind verhalten und bereitwillig jede einzelne Lüge geglaubt, die ihm erzählt wurde. Und immer wenn Seunghyun ihn wieder einweihen wollte, hatte er einfach den Kopf geschüttelt und es nicht geglaubt.
Also hatte seine Familie es irgendwann aufgegeben ihm die Wahrheit beibringen zu wollen und weiter zu warten. Vielleicht war es ja auch besser so. Immerhin schien er in seiner kleinen, rosaroten Kinder-Welt glücklich zu sein, auch wenn seine Entwicklung fast stehen geblieben war. Selbst jetzt mit 16 hatte sein Verhalten eher einem 11-jährigen geglichen, wenn überhaupt.
Ruckartig wurde Chanyeol aus seinen Gedanken gerissen, als auf einmal ein Auto in der Einfahrt erschien. Zuerst konnte er es nicht richtig erkennen, aber er hoffte, dass es Baekhyuns war. Sein Herz schlug wie wild, setzte aber plötzlich aus, als ihm klar wurde, dass es ein fremder Wagen war.
Sofort befiel ihn ein ganz schlechtes Gefühl, er wusste nicht, was los war und so schnell er konnte erhob er sich mit Schmerzen von seinem Sessel. Dabei entfuhr ihm ein Zischen, diese gebrochenen Rippen taten aber auch verdammt weh, weswegen er sich eigentlich so wenig wie möglich bewegte.
"Boss, da kommt wer!", rief er hinüber ins andere Zimmer und lief auch schon zur Eingangstür, während er sicherheitshalber nach seiner Waffe griff. Er hörte durch die Tür, wie der Wagen stehen blieb, dann nichts mehr.
Einmal atmete Chanyeol noch tief durch und versuchte irgendwie sein nervöses Herz zu beruhigen, dann riss er die Haustür auf. Hinter sich konnte er Seungyhun hören, doch er würde nicht zur Seite treten, ehe er wusste, ob es sicher für seinen Boss war.
Der schwarze SUV war einfach mit ein bisschen Abstand vor ihnen stehen geblieben und nichts passierte. Chanyeol konnte nicht genau erkennen, wer drinnen saß, es mussten zwei Männer sein, aber sicher war er sich nicht.
Es dauerte eine Weile, in der nichts geschah, bis auf einmal beide Autotüren gleichzeitig aufgingen.
"Taehyung?!", entfuhr es Chanyeol überrascht, er starrte den Jungen an und hatte keine Ahnung, ob er glauben konnte, was er da sah. Aber... das war hundertprozentig Taehyung! Zwar wirkte der Kleine blass und zittrig, aber er musste es sein.
Dann fiel sein Blick hinüber zu der anderen Person, die sofort auf Taehyungs Seite lief und Chanyeol versteifte sich.
Daehyun.
Einen Moment überlegte er seine Pistole auf ihn zu richten, doch dann wurde er auf einmal von Seunghyun zur Seite geschoben.
"Taehyung?!", rief nun auch der Erwachsene und hetzte einfach an Chanyeol vorbei auf seinen Sohn zu.
Der Junge hingegen schien vollkommen verunsichert und kam ihm keinen Zentimeter entgegen, stattdessen klammerte er sich plötzlich an Daehyuns Hand. Es schien so, als hätte Taehyung Angst, auch Daehyun war angespannt und das machte Chanyeol skeptisch. Trotz seiner Verletzung machte sich der große Koreaner darauf bereit jederzeit einzugreifen, sollte etwas passieren.
Seunghyun schien alles davon zu ignorieren, er achtete kein bisschen auf Daehyun und als er bei seinem Sohn angekommen war, zog er ihn einfach in eine Umarmung und drückte Taehyungs Kopf mit einer Hand an seine Brust.
"Oh mein Gott, Taehyung...", hauchte Seunghyun.
"A-appa?", kam es nur schwach von Taehyung, er weinte.
Daehyun trat einen Schritt von den beiden weg und schien in diesem Moment genauso überfordert mit der Situation zu sein wie Chanyeol.
"Du bist jetzt in Sicherheit, mein Sohn..." , erwiderte Seunghyun, seine Stimme zitterte einen Augenblick lang und dann erwiderte Taehyung auf einmal die Umarmung.
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stockholm syndrome • taekook
Fanfiction„Ich werd dir jetzt mal erklären, wie das hier ablaufen wird, Taehyung. Ich mag das Wort ‚Geisel' zwar nicht, aber genau das bist du. Du bist mein Druckmittel gegen deinen Vater... Und bis dieser meinen Forderungen nach kommt, wirst du tun, was ich...