Chapter 36

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"Es ist viele Jahre her, da habe ich mir geschworen, sie bei ihrem Anblick in Stücke zu zerreißen und ihre Fetzen tief unter der Erde zu vergraben, damit nichts von ihnen jemals wieder das Sonnenlicht zu sehen bekommt. Ich wollte dass sie leiden, qualvoll sterben oder ihnen ein ähnliches Schicksal widerfährt, wie es mir widerfahren ist. Sie sollten für das bezahlen, was ihre Familie meiner angetan hat. Es hat monatelang gebraucht bis wir uns darauf geeinigt haben, dass niemand sein Revier verlässt um schlimmeres zu verhindern. Die einzige Ausnahme sind die Schnittstellen, wie die Schule und die Stadt, an denen sich beide Rudel aufhalten dürfen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich meinen Leuten wieder nähern würden und es wird nur eine Frage des Augenblickes sein, in welchem sie euch unbeschreibliches Leid zufügen werden."

Seine Stimme klang heiser. Fast so, als verspürte er Schmerz. Seelischen Schmerz. Schmerz, der sich mit Worten nicht beschreiben ließ. Schmerz, der einem auf kurz oder lang das Herz zerbrach.

"Ich habe Albträume und das nicht nur, wenn ich schlafe. Jede Nacht spielt sich dieselbe Szene vor meinen Augen ab und zeigt mir auf, was ich hätte haben können, wären sie nicht gewesen. Jede Nacht dasselbe niederschmetternde Gefühl, das mir damals den Boden unter den Füßen geraubt hatte. Ein Wunder, dass ich heute hier vor dir sitze und Worte meine Lippen verlassen. Zwei Jahre lang habe ich geschwiegen. Zwei Jahre lang hatte ich nur mich selbst."

Ich schluckte schwer und bemühte mich, ihm eine Hilfe zu sein. Für ihn da zu sein. Den Kerl, den ich verabscheuen sollte. Ich wollte es, ich wünschte es mir vom ganzen Herzen, doch ich war machtlos. Irgendetwas an ihm überzeugte mich felsenfest davon, dass ich es bereuen würde, wenn ich ihm gegenüber trat, wie es all die anderen taten. So saß ich also da, schaute in die glasigen Augen meines Gegenübers und empfand tiefstes Mitgefühl.

"Dann habe ich Ethan kennengelernt. Er war so viel reifer als ich. Hielt sein Leben fest in der Hand und begleitete mich fort an auf meinem Weg. Von ihm lernte ich, was Teamgeist bedeutet. Von ihm habe ich gelernt Fehler zu vergeben. Wir waren etwa ein halbes Jahr zu zweit, bis Jayden eines Morgens den Berg hinunter torkelte. Sie hatten ihn bis auf die Knochen massakriert, ihn gefoltert und dann einsam und allein sterben lassen. Er war so neugierig und aufgeweckt. Im Gegensatz zu mir, ließ er sich nicht vom Erlebten beeinflussen und lehrte mir die Loyalität, der ich in meinen frühsten Kindheitstagen zuletzt begegnet war."

Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, woraufhin sich mein Bauch mit kleinen Schmetterlingen füllte, die aufgeregt umher flatterten.

"Es war schwer für Jayden, als Cody dem Rudel beitrat. Vielleicht, weil er sich verdrängt gefühlt hat. Schließlich waren Ethan und Cody innerhalb weniger Stunden ein unzertrennliches Team. Sie waren wie Zwillinge. Sie sind es noch heute. Cody, der über fürsorgliche große Bruder von dem ich mir viel abschauen konnte. Ich begann anderen Menschen wieder zu Vertrauen. Jayden tat genau das Gegenteil und zog sich, als Milan und Milow dazu stießen vollkommen zurück. Sie kannten ihre eigentliche Schöpfung nicht und lernten erst vor drei Jahren ihr zweites Gesicht kennen. Wohlmöglich benehmen sie sich deshalb noch immer wie Welpen, denen gerade das Laufen beigebracht wurde. Sie waren jedem gegenüber stets Freundlich und äußerst aufgeschlossen, was das Knüpfen neuer Kontakte betraf. Sie brachten mich zum Lachen, in Situationen in denen es sonst niemand auch nur ansatzweise geschafft hätte. Jayden sprach kaum und verhielt sich auch sonst ungewöhnlich introvertiert. Das änderte sich erst, als Cody einen seiner Sorgenpatienten, Logan, mit ins Haus brachte. Logan war von seinem vorherigen Rudel verstoßen und so übel zugerichtet worden, dass er ganze zwei Monate bereits im Krankenhaus verbracht hatte. Er musste unerträgliche Schmerzen erleiden und traute sich nach seiner Genesung kaum, sich dem Rudel zu nähern. Er gab Jayden, trotz seiner Unsicherheit, Mut und seine bloße Anwesenheit schien ihn aus der Reserve zu locken. Jayden ist und bleibt kein Rudeltier und es ist mir bis heute nicht klar, warum er noch immer hier ist, aber ich möchte ihn nicht missen."

Wieder diese Schmetterlinge, wieder dieses Lächeln, das Funkeln von Harmonie in seinen Augen. Das extreme Gegenteil von seiner eiskalten Hand, die ich mit meiner umschloss.

"Joshua stieß als letzter dazu. Er lehrte mich das Gegenteil von Logan. Der lebte dafür, sich aufzuopfern. Er wird irgendwann als Held sterben, davon bin ich fest überzeugt. Joshua hingegen ist von klein auf an misshandelt worden und hatte sich geschworen, jedem das Fell über die Ohren zu ziehen, der ihm zu Nahe kam. Er wird noch einige Zeit brauchen, bis er sich vollständig eingelebt hat. Aber wo kann man das besser, als hier? An einem Ort voller Gleichgesinnter. Jeder von uns ist gebrochen worden und jeder von uns geht anders mit seiner Vergangenheit um. Keiner ist wie der andere und keiner ist wirklich glücklich. Keiner ist zufrieden mit dem, was das Leben ihm bietet. Umso gefährlicher ist der Mountain. Er verhilft einem zu genau diesem Gefühl. Er wirkt wie Rauschgift, dass deinen Körper bereits nach wenigen Sekunden von deinem Geist trennt. Es verfallen ihm viele und somit auch unseren Feinden.

Die Menschen, die uns alle zu Vollwaisen gemacht haben."

The Alpha And MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt