Schweigend starrte ich die Wand an und wendete meinen Blick nicht davon ab, als sich die Tür öffnete und Schritte erklangen. Mein Augenlider schlossen sich und ich unterdrückte die aufkommenden Tränen, welche mein emotionsgeladendes Ich für jede Situation bereit hielt. "Deine Gefühle in Kombination sind kaum auszuhalten." Fasste mein kleiner Bruder meinen Gefühlszustand zusammen und setzte sich neben mich aufs Bett. Ich spürte deutlich, wie er meinen Körper musterte und sich schließlich unbehaglich räusperte. Die Gabe, die ihm von Geburt an mitgegeben war, beeinträchtigte ihn mehr als mir lieb war. Er hätte die Welt unsicher machen können und stattdessen suchte er mich auf um die Gefühle, die mich genauso plagten wie ihn einzudämmen oder gar zu überwinden. "Ist es wegen Dad?" Fragte er zögerlich und legte sich neben mich, die Hand um meine geschlossen und wäre er nicht mein kleiner Bruder und ich hätte nicht den Drang ihn zu schützen, wäre das der Moment gewesen, in dem ich in Tränen ausgebrochen wäre. Aber ich blieb stark, schluckte die Tränen hinunter und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. "Es gibt sicherlich andere Wege. Wir wollten schließlich nur einen Denkanstoß von ihm." Seine tröstenden Worte beruhigten mich nicht, zauberten mir aber dennoch ein kurzes Lächeln auf die Lippen. Er wählte seine Worte so bedacht, dass sie sich gut anfühlten, obwohl diese Situation kein gutes Gefühl erlaubte. Ich konnte nicht einmal einen einfachen Satz bilden und mein kleiner Bruder fand mit einer Leichtigkeit zu Worten, die mich beeindruckte. "Ich weiß, dass es schwer ist. Das Rudel verlassen und in eines kommen, dessen Existenz ein einziges Rätsel ist. Freunde finden und bemerken, dass man mit ihnen nicht auf Dauer befreundet sein kann. Auf einmal die Rolle einer Wölfin zu übernehmen, die als Alpha fungieren soll und gleichzeitig an der Seite eines zynischen Hybriden zu stehen, der einem alles noch viel schwerer macht." Ich öffnete die Augen und sah Diego an, welcher seinen Blick ebenfalls von der Decke abwendete und aufmunternd lächelte. "Woher weißt du das alles?" Brachte ich mit brüchiger Stimme hervor und drückte seine Hand fester. Seine funkelnden Augen blitzten auf, als er auf mein Herz deutete und daraufhin auf seines. "Alles dort drin. Ich kann nichts anderes tun, als es auch zu fühlen und wenn man eins und eins zusammenzählt ist die Antwort des Ganzen nicht weit." Ich schmunzelte und sah wieder zur Decke hinauf. Dieses Mal jedoch nicht mehr mit einem Stechen im Herzen. Viel mehr mit einem lachenden und einem weinenden Auge, welche sich darauf einigen mussten, was als nächstes folgte. Wie die nächsten Stunden und Tage angegangen werden sollten. Wen ich in meine Planungen einweihte und wen ich von mir fernhielt. Wer war vertrauenswürdig genug, um mich nicht bei Zachary zu verraten und wer kehrte ihm den Rücken, wenn es soweit sein würde. Konnte ich das überhaupt verlangen? Sich dem eigenen Alpha entgegenzustellen? Nein, das fühlte sich nicht gut an, aber ich hatte keine andere Wahl. Wenn Zachary mich nicht bei sich haben wollte, war es das eine. Das andere waren die Schicksale der Anderen, die in meiner Hand lagen. "Wir haben den Weg vor unseren Pfoten liegen und eine treue Rasselbande dort unten, die nur darauf wartet ihn zu erfahren und ihr Leben für dieses Rudel zu geben." Wieder der Schmerz. Wieder die Angst vor einem Verlust. Wieder die Erinnerung an Zachary, der nicht zu dieser Gruppe gehörte, die dort unten auf mich wartete. Der Einzige, auf den ich Wert gelegt hatte. Auf den mein Herz Wert gelegt und gehofft hatte und dennoch blieb seine Unterstützung aus. Ich schüttelte den Kopf um meine Gedanken zu sortieren und sah in die zuversichtlichen Augen meines kleinen Bruders. "Das ist unser Leben. Wir können nicht davor weglaufen. Wir müssen es akzeptieren und wenn wir gemeinsam das Beste daraus machen wird niemand von uns verletzt werden." Ich nickte schwer atmend und setzte mich widerwillig auf. Etwas in mir begann zu lodern. Vielleicht war es die Akzeptanz gegenüber meinem Schicksal, vielleicht die Hoffnung das alles sorglos zu überstehen. "Es wird Zeit, dass die Gejagten zu Jägern werden, findest du nicht?" Mein kleiner Bruder hob die Hand zu einem Highfive, auf welchen ich lachend ein ging. "Danach wirst du wieder ein ganz normales Teenagermädchen sein, versprochen." Ich ignorierte den aufflammenden Schmerz und nahm den Kleinen in den Arm, während ich versuchte meinen Stolz zurückzuerobern und mich nicht von einem egoistischen Vollidioten, der nur sich selbst sah kleinkriegen zu lassen.
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The Alpha And Me
Werewolf"Es gab Menschen, bei denen es eine zeitlang dauerte, bis sie sich einem öffneten. Es gab Menschen, die von Anfang an über Gott und die Welt redeten und dann gab es noch die Menschen, bei denen es eine Unmöglichkeit darstellte mit ihnen jemals auch...