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Das schnelle Hufgetrappel auf dem getrockneten Laub war neben meinem hektischen Atem das einzig hörbare Geräusch im schlafenden Wald. Meine Tränen flossen still und dennoch ununterbrochen. Sie waren zunächst heiß und bahnten sich ihren Weg über mein, wegen dem Gegenwind, eiskaltem Gesicht und bildeten beim Abkühlen unzählige Tränenspuren auf meiner Haut.

Mir wurde immer kälter, denn in dieser lauen Sommernacht hatte ich mir, wegen der Hektik in der ich das Haus verlassen hatte, keine Jacke mitgenommen und saß nun mit Shorts und einem winddurchlässigen Shirt auf dem Rücken meiner Stute. Meine Augen waren inzwischen bestimmt schon verquollen und ich war erschöpft vom Weinen, aber ich würde nicht umdrehen. Auf keinen Fall. Lieber schlief ich die Nacht draußen im kalten Wald, als wieder umzukehren, so unmöglich wie sie sich mir gegenüber benommen hatten. Sie schnürten mir die Luft zum Atmen ab, das konnte doch nicht mehr normal sein.

Ich war nach dem Streit aus der Tür gestürmt, hatte mir von der Koppel mein Pferd genommen und nichts wie weg von dort...

Inzwischen verlangsamte sich Flockes Gang und wir trabten vorsichtig immer tiefer in den Wald hinein. Flocke blieb plötzlich stehen und wieherte unruhig. Mit einem nervösen Blick über die Schulter drängte ich meine Stute weiter zu laufen. Soweit hatte ich mich nachts noch nie in den Wald getraut, aber mir blieb keine Wahl, wir waren noch zu nah an unserem Haus und so wie ich meine Eltern kannte, suchten sie bereits mit Taschenlampen nach mir. Im Schutze des dunklen Waldes würde ich ihnen die Suche erschweren. Also schnalzte ich mit der Zunge und brachte Flocke dazu ihren Schritt etwas zu beschleunigen.

Zuerst war es zu dunkel für meine Augen und ich atmete wegen der Ungewissheit etwas unregelmäßig und panisch, aber mit der Zeit gewöhnten sich meine Augen an das spärliche Mondlicht, dass durch die Baumkronen fiel und ermöglichten mir meine Umgebung genauer unter Augenschein zu nehmen. Nach einer Weile beruhigten wir uns und verfielen wieder in einen langsamen Schritt, wodurch sich die Nachtbewohner des Waldes wieder raustrauten.

Als zwei Augen auf einem Baum mich anstarrten, erschrak ich zu Tode, gab aber keinen Mucks von mir und hielt stattdessen ängstlich die Luft an. Ein Uhu und zwei Flügelschläge später stellte sich das unheimliche Wesen, als Eule heraus und ich atmete erleichtert aus. Dennoch saß mir der Schreck noch in den Knochen, sodass ich hellhöriger wurde und bei jedem Rascheln und Knacken panisch die Augen aufriss.

Nach einer Weile hatte ich die Orientierung verloren und konnte den Weg zurück nicht mehr bestimmen. Wahrscheinlich würde ich wirklich im Wald übernachten müssen...

Auf einmal blieb Flocke aber ruckartig stehen und richtete ihre Ohren auf.
"Was ist denn, meine Gute?", fragte ich beruhigend, mehr zu mir selbst als zu ihr und beugte mich etwas vor. In diesem Augenblick bäumte sie sich auf und wieherte angsterfüllt. Ich umklammerte reflexartig ihren Hals um bloß nicht runterzufallen. Was hatte sie nur gesehen?

Auf einmal hörte ich, wie ein Ast auf dem Boden in unserer Nähe mit einem lauten Knacksen brach und drehte mich in die Richtung.

Durch meine Unachtsamkeit in diesem einen kurzen Augenblick schaffte Flocke es, mich abzuwerfen. Ich landete schmerzvoll auf meinem Hintern. Sie kam wieder zum Stehen, starrte in die Richtung aus der das Geräusch kam und scharrte unruhig mit dem Vorderhuf. "Beruhig dich!", zischte ich ihr in meinem zu dem Zeitpunkt überzeugendstem Flüsterton zu. Anscheinend nicht sehr überzeugend, denn sie warf ihren Kopf zurück und galoppierte mit einem Mal in die Richtung aus der wir gekommen waren. "Na danke auch", zischte ich verärgert, bis mir einfiel, dass ihr Ausraster einen möglicherweise gefährlichen Grund haben könnte.

Also verfiel ich wieder in meinen Angstzustand und starrte in die Ferne, konnte jedoch nichts erblicken. Manchmal wünschte ich mir ich hätte die scharfsinnigen Sinne und Fähigkeiten eines Tieres; ausgezeichnetes Sehen auch bei Dunkelheit, umfassendes Hören, hervorragender Geruchsinn, unnatürliche Schnelligkeit und vielleicht auch etwas bessere Orientierung, aber nein ich musste ja ein erbärmlicher Mensch sein.

Ein Knurren unterbrach meine Gedanken. Aus meiner Angst wurde Panik. Ein Knurren? War es vielleicht ein Hund der ausgebüxt war und mir nun das Leben schwer machen wollte?

Dann bewegte sich etwas in der Ferne. Etwas, was viel größer war, als ein gewöhnlicher Hund, aber dennoch auf allen Vieren lief. Ich konnte eine Silhouette ausmachen, die einem Wolf ziemlich ähnelte. Ein Wolf?! Was machte denn ein Wolf bei uns?! Wir befanden uns zwar in einem Wald, aber hier in unserem Kaff eines Kaffs gab es nie und nimmer Wölfe. Da stimmte etwas nicht. Er musste von seiner Route abgekommen sein und sich hierher verirrt haben. Oder vielleicht sein ganzes Rudel und hinter ihm waren noch mehr Wölfe...

Mit jedem Gedanken ging mein Herzschlag und somit auch mein Atem schneller und unkontrollierter. Ich malte mir die schlimmsten Vorstellungen aus, als er beschloss, sich mir zu nähern.

Das Adrenalin schoss in meinen Körper und brachte mich dazu unbedacht, immer noch auf meinem Allerwertesten sitzend, nach hinten zu rutschen. Das ging so lange gut, bis ich einen Baum an meinem Rücken spürte. Scheiße, ich saß in der Falle.

Für den Wolf war das anscheinend optimal, denn er trat aus seinem Mantel aus tiefschwarzen Schatten und näherte sich mir so sehr, dass mir das Mondlicht erlaubte ihn genauer zu betrachten. Sein Fell schimmerte in einem Schwarz, wie die Nacht, aber bei etwas hatte ich mich getäuscht. Er hatte zwar die Proportionen, die Anmut und die offensichtlichen Merkmale eines Wolfes, aber er war viel größer, als ich aus der Entfernung ausmachen konnte. Seine Schulterhöhe ging mir bestimmt mindestens bis zum Bauchnabel und ich war definitiv nicht klein.

Und dann machte er einen großen Satz nach vorne, blieb genau einen Schritt vor mir stehen und fletschte die Zähne...

𝐖𝐎𝐋𝐅.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt