Es war eine anstrengende Nacht. Nicht, weil ich nicht auf meinem Bett schlafen konnte und mich wortwörtlich auf den Boden der Tatsachen legen musste, sondern weil meine Gedanken sich nicht abstellen lassen wollten und ich mir den anfangs doch so schönen Tag wieder ruiniert hatte.
Zumindest war es jetzt wieder hell draußen und ich nicht mehr ein Wolf. Jetzt, in meiner Menschengestalt, könnte ich eigentlich die Rolladen wieder runterlassen und mich in mein Bett einkuscheln, aber da waren ja noch meine Eltern, die bestimmt nicht geduldig darauf warten würden, dass ich ausgeschlafen hatte.
Also holte ich mir seufzend eine neue Hose, denn die, die ich anhatte war mal wieder zu Schaden gekommen. Das T-Shirt seltsamerweise nicht. Das hätte mich auch traurig gestimmt, denn es gehörte ursprünglich ja Jeongguk.
Fertig umgezogen, aber immer noch mit Ggukies Shirt, verließ ich mein Zimmer und steuerte die Küche an. Ich war so versessen darauf, mir Ausreden zu überlegen und mich innerlich schon auf mehrere Predigten vorzubereiten, dass ich auf meinem Weg dorthin so unkonzentriert wie ein Maulwurf war und mich auch nicht umgesehen hatte.
Im Nachhinein bereute ich es, nicht in den Spiegel geschaut zu haben...
Ich betrat den verheißungsvollen Raum und wurde sofort von zwei aufblickenden Köpfen begrüßt. Mein Vater legte seine Zeitung weg und nahm seine Brille ab, meine Mutter die Supermarktbroschüren. Ich hingegen lief erst die Schränke ab und bereitete alles für mein Frühstück vor. Sie sprachen mich währenddessen auch nicht an. Erst als ich auf meinem Platz saß und Milch in meine Schüssel eingoß, brach meine Mutter das Schweigen.
"Warum bist du gestern weggelaufen?", fragte sie zunächst. "Ich war müde und erschöpft, hab ich doch schon gesagt", antwortete ich und schob mir einen vollen Löffel Cornflakes in den Mund.
Sie tauschten einen vielsagenden Blick aus und schauten mich dann beide an, aber mein Vater zog daraufhin die Augenbrauen zusammen. Ich unterbrach das Kauen und schaute fragend zurück. "Wasch?", schmatzte ich.Er beugte sich über den Tisch und drehte meinen Kopf leicht weg, sodass er einen besseren Blick auf meinen Hals haben konnte. Ein entsetztes Luft-Einziehen meiner Mutter machte mich nervös. Shit, was war denn?
Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen und die gekaute Cornflakesmasse blieb mir beim Schlucken wie ein Kloß im Hals stecken.
Die Knutschflecken.
"Was ist das?", fragte mein Vater schließlich und setzte sich seine Brille wieder auf. Ich war mir sicher, dass er wusste, was das war, es mir aber nicht zutrauen konnte. "Mückenstiche?", sagte ich, aber es klang mehr wie eine Frage, was sie nicht so überzeugte.
"Wie, "Mückenstiche"?", wiederholte er. "Lüg uns nicht an!"
Mist, ich bewegte mich auf dünnem Eis, denn sie waren bestimmt noch sauer wegen gestern. Ich wollte aber auch nicht die Wahrheit Preis geben."Ist nichts", nuschelte ich also, zog meinen Kopf weg und nahm wieder meinen Löffel in die Hand. "Was heißt hier "ist nichts"?", wiederholte diesmal meine Mutter, die bislang ruhig geblieben war. "Du bist in letzter Zeit so rebellisch, verschwindest dauernd vor unseren Augen und wirst frech. Was ist los mit dir und woher kommen diese verdammten Knutschflecken?!", fragte mein Vater diesmal aufgebracht und als er es ausgesprochen hatte, ließ ich den Löffel wieder los, der mit einem Platschen und einem Klirren zurück in die Schüssel fiel.
"I-ich", fing ich unsicher an, wusste aber nicht, was ich sagen wollte. "Ja, du?", half meine Mutter mir nach. Ich schaute ihr in die Augen. Das war meine Mutter. Die Frau, die mich zur Welt gebracht hatte. Die mir seit meiner Geburt bei jedem Wehwechen zur Seite gestanden und mich getröstet hatte. Die mir jeden Tag bei meinen langweiligen Erzählungen, die mir doch so wichtig erschienen, gespannt zuhörte und lächelnd nickte. Die mir immer half wenn sie konnte, sogar wenn es ihr schlecht ging. Die Frau, deren größter Schatz ich war und die mir immer alles verzieh, weil sie mich über alles liebte.
Und in dem Augenblick dachte mir, dass sie mir auch diesmal nicht böse sein würde und dass ich meinen Eltern doch vertrauen konnte. Ich öffnete meinen Mund und legte mir in meinem Kopf die Worte zurecht, die mein Herz förmlich zum explodieren brachten, wenn ich nur schon darüber nachdachte.
Ich wollte es wirklich sagen, musste mir nur überlegen, wie ich es am besten rüberbrachte und dafür war es mir grade einfach zu kurzfristig und spontan. Jedoch blieb mir offensichtlich keine andere Wahl.
Aber anscheinend hatte ich mir schon zu viel Zeit gelassen, denn ein Knall ließ mich zusammenzucken und mein Blick zuckte zu meinem Vater, der mit geballter Faust auf dem Tisch, ungeduldig auf eine Antwort wartete. "Jetzt mach schon!"
Damit nahm er mir schließlich den kleinen Funken Mut, der sich in mir entfacht hatte und trampelte förmlich darauf rum, als er erneut seine flache Hand auf den Tisch sausen ließ.Ich zuckte bei dem Geräusch abermals zusammen und schickte einen nach Hilfe flehenden Blick an meine Mutter, aber diese schien diesmal nicht auf meiner Seite zu stehen. Das erdrückte mich förmlich und mir blieben die Worte im Hals stecken, sodass ich runter auf meinen Schoß blickte und meine Hände in diesem anfing zu kneten.
"D-d-" "Taehyung, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!", erklang wieder die aufgebrachte Stimme meines Vaters und unterbrach mich. In meinen Augen sammelte sich Tränenflüssigkeit. Da die Tatsache, dass ich runterschaute es nur verschlimmerte, hob ich meinen Blick wieder und starrte hinter die beiden an die Wand. Ich hasste es, dass meine Augen nicht nach meinen Wünschen spielten, dass ich ein offenes Buch war. Dass ich so schwach vor ihnen war.
"Wird's bald?!" Sein Geduldsfaden schien angespannt.
"Jetzt lass ihn doch ausreden!", meldete sich endlich auch meine Mutter zu Wort und ich dankte ihr innerlich. Sie schaute mich nun etwas milder an. "Komm sag schon, Schatz." Ihre weiche Stimme klang in dieser Situation wie Salbei für mich. Ich wollte es ihr sagen."E-es war...", ich hielt inne und schaute beide kurz an, mein Vater verdrehte genervt die Augen, meine Mutter lächelte aufmunternd.
"J-j..", ich brachte es nicht über meine Lippen. Ich konnte es einfach nicht, nicht dass ich es uns nicht allen vereinfachen und dieses Gespräch verkürzen wollte, aber je mehr ich darüber nachdachte es auszusprechen, desto schwitziger wurden meine Handflächen. Es ging nicht, wollte nicht über meine Lippen.
"Ja?", fragte sie und griff nach meinem Arm, um meine Hand zu sich zu ziehen und sie zwischen ihre zu legen. Das schenkte mir kurz das Gefühl von Geborgenheit und gab mir den letzten Ruck.
"Jeongguk", sagte ich. "Er hat sie gemacht. W-wir sind z-", weiter kam ich nicht...
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Ich hab neue Cover gemacht. Hoffentlich war keiner verwirrt.
Bin mir noch unsicher, teilt mir gerne eure Meinung mit
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𝐖𝐎𝐋𝐅.
FanfictionScheiße, ich saß in der Falle. Für den Wolf war das anscheinend optimal, denn er trat aus seinem Mantel aus tiefschwarzen Schatten und näherte sich mir so sehr, dass mir das Mondlicht erlaubte ihn genauer zu betrachten. Sein Fell schimmerte in einem...