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Meine Mutter stand dort mit verschränkten Armen an die Küchentheke gelehnt, als hätte sie die ganze Zeit nichts anderes getan, als auf mich zu warten. Ich schaute sie verwirrt an. Wozu der Aufstand? Dachte sie ich hatte eine heimliche Verehrerin? Und wenn schon, dafür würde sie doch nicht bis so spät hier auf mich warten...

Und das gruseligste war, dass sie mich nicht einmal gefragt hatte, wo ich bis jetzt gewesen war. Immerhin war es draußen schon dunkel und meine Ausgehsperre schon längst überschritten.

"Hab ich geschenkt bekommen", murmelte ich misstrauisch und musterte sie kurz von oben bis unten, aber ich fand nichts Verdächtiges, bis auf dass sie in der kaum beleuchteten Küche ziemlich einschüchternd wirkte.

"Konnte ich mir schon denken. Und von wem?", fragte sie und zog die Augenbrauen zusammen. Ich schaute nervös zur Seite, auf unseren Esstisch, auf dessen schwarzen, glatten Oberfläche sich das schwache Mondlicht, das durch das Fenster in der Küche einfiel, spiegelte. Shit, das erinnerte mich, dass ich mich beeilen musste in mein Zimmer zu kommen und alles abzudunkeln, wenn ich diese Nacht bei vollem Bewusstsein erleben wollte. Ich schaute wieder meine Mutter an, die mich nach wie vor erwartungsvoll anstarrte.

Ich wollte aber diese Frage offensichtlich nicht beantworten, nur wie konnte ich sie geschickt umgehen?
"Willst du nicht mal wissen, wo ich war?", fragte ich letztendlich, was ich mich eigentlich die ganze Zeit gefragt hatte. Obwohl es unmöglich erschien bei unseren Lichtverhältnissen, machte ihr Blick den Eindruck, sich noch mehr verdüstert zu haben.

"Das weiß ich schon", meinte sie ruhig und deutete auf die Tür, die zum Flur und damit auch nach draußen führte. "Oma hat dich mit diesem Jungen vorbeilaufen sehen", sagte sie schließlich und ich schluckte nervös. Mein Gehirn spielte automatisch alle Zärtlichkeiten in meinen Erinnerungen ab, die wir auf dem Weg ausgetauscht hatten. Ich und mein fester Freund. Aber als wir uns geküsst hatten, waren wir nicht in der Reichweite des Hauses meiner Großeltern, also konnten sie wenigstens das nicht mitbekommen haben.

"Und warum du einfach für so lange rausgegangen bist, ohne Bescheid zu geben, wirst du mir übrigens auch noch erklären, aber zuerst will ich wissen, woher diese Rose stammt", sagte sie streng und ich zog zwischen zusammengebissenen Zähnen die Luft scharf ein. Ein leichter Schmerz machte sich in mir bemerkbar und das war sichtlich das Limit meiner Toleranz dem Mond gegenüber. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich die Verwandlung noch aufhalten konnte, aber es stand fest, dass ich auf jeden Fall hier schnellstmlglich weg musste.

"Können wir das morgen klären? Ich bin nämlich müde", fragte ich sie also und drehte mich schon auf dem Absatz um, die Tür in die Freiheit anvisierend. "Nein, ich will jetzt eine Antwort. So viel Zeit hast du noch!", sagte sie bestimmend, aber da hatte ich bereits die Klinke runtergedrückt und stand im Flur.

Ein Ziehen durchfuhr meine Knochen. "Bitte, ich bin erschöpft", presste ich bemüht ruhig hervor und versuchte mir die Schmerzen nicht anmerken zu lassen, sonst würde sie mich noch auf der Stelle in ein Krankenhaus schleppen und das konnte ich im Augenblick nun wirklich nicht gebrauchen. Ich brauchte grad einfach einen lichtundurchlässigen, ruhigen Raum für mich. Wenn es nicht schon zu spät war.

Ich stolperte schon die Treppen rauf, aber meine Mutter folgte mir, denn ich hörte ihre aggressiven Schritte hinter mir. "Hast du sie von ihm bekommen?", fragte sie und mich nervte es, wie sehr dieses Thema sie interessierte, obwohl es grade meine kleinste Sorge war. Ich hatte keinen Nerv dafür. Spürte die sich anbahnenden Schmerzen.

"Und wenn schon?!", schrie ich sie also plötzlich an, drehte mich zu ihr um und erschreckte mich vor mir selber. Ich hätte im Traum nicht daran gedacht, in diesem Zusammenhang grundlos meine Mutter anzuschreien und das schien sie sich auch gedacht zu haben, denn ihre Augen wuchsen auf Jupitergröße.

"Du schreist mich nicht an! Hab Respekt, ich bin deine Mutter!", erhob sie nun auch ihre Stimme, klang dabei aber wesentlich konsequenter und bestimmter als ich. Ich verfolgte wieder mein Ziel nach oben, sah meine Zimmertür schon und fühlte mich, wie auf den letzten Metern bei einem Marathon. "Tut mir leid", rief ich über meine Schulter, während ich die letzte Stufe erklomm und die Tür aufriss.

"Aber ich will wirklich lieber morgen reden", sagte ich und knallte mit aller Macht die Tür zu, was bei meinen Verhältnissen einen ziemlich lauten Knall zufolge hatte. "Sag mal, geht's noch?Wie benimmst du dich bitte?!", ertönte von draußen und eine Faust hämmerte gegen meine Tür, aber ich drehte panisch meinen Zimmerschlüssel im Loch. "Mach sofort wieder auf", sagte sie und ich konnte deutlich in ihrem Tonfall hören, dass ich ihr jetzt kein Wiederwort geben sollte, weil es sonst hässlich für mich enden würde, aber mir blieb keine Wahl.

"Sorry Mama", flüsterte ich und trat einige Schritte von der Tür weg, ehe mich die Schmerzen einholten und sich dieses abartige, bekannte Gefühl in mir breit machte. Shit, doch nicht hier drin!, dachte ich, aber es war schon zu spät. Während ich mich unter der Verwandlung wand, stieß ich irgendetwas hinter mir um, das mit einem Poltern zu Boden fiel, aber ich konnte mir grade keine Gedanken dazu machen. Stattdessen war ich bemüht möglichst keine verdächtigen Geräusche auszurufen.

"Taehyung?", erklang wieder die Stimme meiner Mutter, diesmal weniger sauer. Ich konnte aber nicht antworten.
"Tae?" Stillle.
Mein Körper kam zum Erliegen und so endete ich auf dem Teppich in der Mitte meines Zimmer, bemüht leise zu atmen.

"Tae Schatz? Bitte antworte mir", sagte sie und klang nun vollends besorgt. "Hast du dir weh getan? Lass mich bitte rein." Aber ich konnte ihr diesen Gefallen nicht tun. Wenn ich 'antworten' würde, würde sie sofort bemerken, dass da ein Tier in meinem Zimmer war.

Sie rüttelte an der Tür und mein Herz setzte kurz aus, aber wie erwartet passierte nichts. "Tae!" Meine Atmung ging unkontrolliert. Wir warteten beide noch einige Minuten in der erwartungsvollen Stille des jeweils anderen, ehe ich ein Seufzen vernahm und sich Schritte von der Tür entfernten.

Entweder würde sie jetzt meinen Vater holen und ihn zwingen die Tür einzutreten, oder, was fast noch schlimmer wäre...

... sie war jetzt enttäuscht von mir.

Es folgten aber keine hörbaren Schritte mehr von draußen, also erlaubte ich mir, es mir auf meinem Fußboden gemütlich zu machen und mich auf eine einengende Nacht in diesem Raum vorzubereiten. Seltsam wie groß und gemütlich mein Zimmer mir sonst vorkam und wie beengend und bedrückend es in dieser endlos erscheinenden Nacht ohne Schlaf erschien...

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Mir tut alles weh

𝐖𝐎𝐋𝐅.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt