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Die letzten Tage hatte ich mir gar nicht erst die Mühe gemacht in den Wald zu gehen. Gestern war sein Geburtstag. In der Schule saßen meine Freunde in den Pausen an meinem Tisch versammelt und behielten mich alle unauffällig im Blick, um auf einen Tränenausbruch vorbereitet zu sein. Aber ich weinte nicht. Zu Hause saßen wir dann schweigsam am Esstisch.

Heute war der Tag. Sein Todestag.

Am Morgen stand ich auf wie ein Häufchen Elend, schleppte mich runter in die Küche, saß dort eine Viertelstunde vor der ungeöffneten Müslipackung und starrte Löcher in die Milch. Letztendlich entschloss ich mich nichts zu essen, kippte die Milch in den Ausguss und stellte die Packung zurück.

Ich nahm träge meine Tasche und wartete, dass mein Vater mit dem gleichen Enthusiasmus fertig wurde und wir zur Schule fahren konnten.

Im Auto herrschte eine bedrückende Stimmung und die Luft war zum Schneiden dick. Weder er noch ich sagten ein Wort. Das Radio blieb aus, meine Kopfhörer, die sonst immer ihren Weg zu meinen Ohren fanden, in der Tasche.

Als wir ankamen und ich aussteigen wollte, hielt mich mein Vater jedoch am Handgelenk fest. Ich schaute verwundert zu ihm, aber er starrte auf das Lenkrad. Ich wartete ab.

"Sei vorsichtig", sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit. Ich ging zurück ins Auto, umarmte ihn und antwortete: "Bin ich immer. Mach dir keine Sorgen." Für einen Augenblick blieben wir so sitzen und ich merkte wie mir meine Eltern in letzter Zeit gefehlt hatten. Doch dann ertönte die Schulklingeln und mein Vater klopfte mir aufmunternd auf den Rücken, ehe ich mich löste und auf endlich ausstieg.

Ich steuerte das Gebäude an und als ich in der Klasse ankam, verstummten einige Gespräche von Mitschülern, die Bescheid wussten. Ich sprach nicht darüber, aber ein Paar von ihnen hatten Nachforschungen angestellt und einer war fündig geworden. Er erfuhr, dass in einer Stadt nicht weit weg von unserem Dorf, ein Junge verschwunden war und daneben war ein Foto von seiner Familie abgebildet. Von meiner Familie. Daraufhin hatte sich das in meiner Klasse rumgesprochen und jetzt wussten alle davon.

Ich ging zu meinem Platz und ließ mich, noch elendiger als sonst, darauf fallen. Jin und Namjoon warfen mir von ihren Plätzen mitleidige Blicke zu und Hobi setzte sich auf seinen früheren Sitzplatz neben mir. Taemin hatte nichts einzuwenden und verzog sich zu seinem alten Platz neben Minho. Alles blieb still und ich starrte den Riss in meiner Jeans an. Mit meinen Fingern fuhr ich die Fäden nach und wusste nicht, ob die Stille angenehm war, oder ob sie mich noch mehr bedrückte als eh schon.

Ich hatte aber kaum Zeit darüber nachzudenken, denn der Unterricht begann kurz darauf als die Lehrerin eintraf.

Der Unterricht verlief normal und niemand achtete mehr auf mich.

Und dann folgte endlich die Pause und ich stand zum ersten Mal heute energisch auf und ging vor die Tür unseres Klassenraums.

Wir durften im Raum bleiben, deswegen war ich der einzige auf dem Flur, noch dazu war unser Zimmer am Ende eines Ganges, sodass keiner der anderen Schüler einen Grund hatte hier vorbei zu laufen.

Ich lehnte mich an die Wand neben der Tür und starrte an die Decke. Mir war nicht nach Weinen. Aber auch nicht nach Reden oder Unterricht. Ich hatte keine Lust auf irgendwas.

Kurz darauf öffnete sich die Tür neben mir und ein roter Schopf gesellte sich zu mir und stellte sich an den Wandteil neben mich. Ich hatte nicht damit gerechnet und schaute ihn überrascht an, aber sein Blick war, wie meiner eben, gen Decke gerichtet. Nachdem er keine Anzeichen gemacht hatte sich zu Bewegen, tat ich es ihm gleich und so standen wir still nebeneinander, bis er die Stille brach:

"Es tut mir leid." Die Worte kamen monoton aus seinem Mund, aber es klang, als täte es ihm wirklich leid. Ich war mir nicht einmal sicher woher er "es" wusste, immerhin sprach er mit sonst niemandem, aber seine übernatürlichen Fähigkeiten was das Wissen von Sachen aus meinem Leben anging, wunderten mich nicht mehr. Und vielleicht hatte er es auch einfach irgendwo aufgeschnappt oder wurde von meinen Freunden vorgewarnt.

"Du kannst ja nichts dafür", flüsterte ich mit gebrochener Stimme. Daraufhin herrschte Stille. Keine angenehme. Ich schaute zu ihm, weil ich das Gefühl hatte, dass ihm etwas auf der Zunge brannte.

"Es tut mir wirklich leid", wiederholte er sich. Ich runzelte die Stirn. "Was?", hauchte ich, denn es war, als würde hinter seinen Worten mehr stecken. Er schüttelte aber nur den Kopf und lehnte sich dann gegen mich. Sein Arm berührte meinen und sein Kopf lehnte gegen den meinigen. Ich war verwirrt, war mir nicht sicher warum er das plötzlich tat.

Aber irgendwie fühlte es sich schön an.

Auf eine eigenartige Art und Weise.

𝐖𝐎𝐋𝐅.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt