Nach einer Weile fielen die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Blätter hindurch und kitzelten meine Haut. Ich saß nach wie vor mitten im Nirgendwo und hatte keinen Plan, was ich jetzt machen sollte. Warum war er so plötzlich verschwunden? Sollte ich ihm folgen? Aber dann käme ich vielleicht nicht wieder nach Hause. Ich wusste nicht, woher ich gekommen war, aber ich beschloss den Sonnenstrahlen zu folgen. Vielleicht führten sie mich aus diesem Wald raus.
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Nach einer Zeit in der ich einfach in die entgegengesetzte Richtung irrte, als die in die der der Wolf verschwunden war, sah ich Häuser. Spärlich verteilt, aber dennoch Zivilisation. Glücklich darüber, dass es nicht mehr weit sein konnte ging ich immer weiter geradeaus. So klein wie unser Dorf war, konnte es nicht mehr weit sein.
Und nach etwa einer halben Stunde kam ich an einer Straße an, die mir bekannt vorkam. Ich ging beruhigt den Weg der nach Hause führte und hatte nun endlich die Möglichkeit das Geschehende gedanklich Revue passieren zu lassen.
Was zur Hölle war passiert? War das gestern wirklich so gewesen? Ich hatte einen Wolf in unserem sicheren Wald gefunden? Und der hat sich von mir berühren lassen? Und ich Vollidiot habe ihn sich mir auch noch nähern lassen. Beziehungsweise ich habe ihn schon fast genötigt. Mein Gott, was war los mit mir? Ich war zwar wirklich aufgelöst, aber das entschuldigte doch nicht mein naives Verhalten. Er hätte mir sonst was antuen können. Verdammt, es war ein Wolf! Wenn er hungrig gewesen wäre, wäre ich vielleicht nicht einmal mehr hier!
Anscheinend hatte ich einen echten Schutzengel...
Aber was mich mehr verwirrte; warum war er bei mir geblieben? Er hätte doch einfach gehen können? Jeder andere Wolf wäre doch bestimmt verschwunden, wenn er mich nicht vorher gefressen hätte. Ich hatte keinen Plan, was da passiert war, aber ich schob es auf mein mangelhaftes Wissen über Wölfe.
Ich kam irgendwann bei unserem Bauernhof an und sah auch schon, dass das Auto meiner Eltern nicht da war. Ob sie mich noch suchten? Bestimmt.
Ich ging zur Haustür und holte den Ersatzschlüssel unter der Fußmatte hervor, um wieder in den goldenen Käfig zurückzukehren. Drinnen machte ich mir eine Ramensuppe, da ich mörderischen Hunger hatte, aber kein besonders guter Koch war.
Während ich meine Suppe aß, hörte ich vom Flur das Drehen eines Schlüssels im Schlüsselloch. Seufzend schob ich mir einen weiteren Bissen in den Mund. Das könnte jetzt lange dauern, also sollte ich vorher noch so viel wie möglich runter kriegen. Aber beim Schlucken wurde mir bewusst, dass das leichter gesagt als getan war. Mir war übel und ich hatte einen riesigen Kloß im Hals.
Also legte ich meine Stäbchen in die Schüssel, schob diese etwas von mir weg und wartete, dass das Unheil die Küche betrat.
Während die Küchentür hinter mir quietschend auf ging, hörte ich wie etwas raschelnd zu Boden fiel und im nächsten Moment jemand anderes in den Raum stürmte.
"Bist du wahnsinnig?!", bekam ich meine Begrüßung. "WIR KOMMEN GRAD VOM POLIZEIREVIER! WIR HABEN DICH EBEN ALS VERMISST GEMELDET! WEIßT DU WAS HÄTTE PASSIEREN KÖNNEN?!", brüllte mein Vater. Ich hingegen blieb ruhig in meinem Stuhl sitzen und drehte mich nicht einmal um. Klar, dafür würde ich mir wahrscheinlich noch eine Predigt über Respekt anhören dürfen, aber ich war selber noch sauer, und es erforderte unglaublich viel Selbstbeherschung ruhig zu bleiben.
Plötzlich hörte ich ein Schluchzen und drehte mich erschrocken doch noch um. Meine Mutter presste ihre Hände auf ihren Mund und versuchte sich zusammenzureißen. Ihre Handtasche unachtsam auf den Boden neben ihr gefallen. Besorgt wollte ich zu ihr und sie umarmen. Trotz meiner Wut tat es mir in diesem kurzen Augenblick leid, aber da nahm sie ihre Hände runter und funkelte mich böse an. "Du hast Hausarrest!", zischte sie mit kalter Stimme.
Ich sank wieder auf meinen Platz zurück und starrte sie ungläubig an. Das war jetzt nicht ihr Ernst... hatten sie denn gar nichts daraus gelernt? Ich setzte zu einem Widerspruch an: "A-" "Nein.", wurde ich beunruhigend leise unterbrochen. "Nein!", etwas lauter. "EINEN GANZEN MONAT! Du verlässt dieses Haus nicht außer für schulische Aktivitäten und kommst danach direkt wieder nach Hause!"
"Was soll ich denn sonst in diesem Kaff machen?!", waren meine ersten Worte an diesen Tag. "Ihr schließt mich doch sowieso schon fast täglich hier ein! Was soll denn hier groß passieren?" Selbstbeherschung. Ich spürte wie mir ungewollt Tränen in die Augen traten. "WAS HIER PASSIEREN KANN?!", mein Vater der sich unglaublich lange leise verhalten hatte. Sein Kopf war hochrot und ich hatte Angst er würde explodieren. "ES KANN ÜBERALL ETWAS PASSIEREN! ODER HAST DU BAEKHYUN VERGESSEN?!" War klar, dass das noch käme. "Ja, aber das war eine andere Si-" "NEIN WAR ES NICHT! SOWAS PASSIERT NUR EINMAL!" "Aber-", versuchte ich es erneut. "Geh jetzt auf dein Zimmer, ich will dich heute nicht mehr sehen", hauchte meine Mutter enttäuscht. "Ich auch nicht!", setzte mein Vater nach.
Mir war unwohl. Mit geneigtem Kopf ging ich an ihnen vorbei und in dem Moment in dem ich die Tür passierte brach der Damm und zwei dicke Tränen kullerten über meine Wangen. Ich eilte in mein Zimmer, nahm mein Lieblingskissen in den Arm und kauerte mich in der Ecke meines Bettes zusammen. Immer wieder floßen stille Tränen über meine Wangen und tropften auf den weißen Stoff des Kissens das ich fest umklammert hielt. Mit einem Finger fuhr ich die Musiknote darauf nach und dachte an meinen verschollenen Bruder dessen Kissen es einst war.
Er war vor etwa 4 Jahren spurlos verschwunden und seitdem drehten meine Eltern durch. Sie wurden paranoid. Wir zogen dann in dieses Kaff auf diesen Bauernhof, aber es wurde nicht besser. Damals störte es mich nicht das Haus nicht mehr so ungehindert verlassen zu dürfen, immerhin vermisste ich in erster Linie meinen Bruder und außerdem war ich noch jung, 11. Ich ging ohne Begleitung sowieso fast nie irgendwohin, da meine Eltern schon vorher Wahnvorstellungen hatten. Aber nachdem er weg war, wurde es schlimmer.
Zunächst hatten alle die Hoffnung, dass er wieder auftauchen würde, da nie eine Leiche gefunden wurde. Aber irgendwann wurde Blut, das mit unserer DNA übereinstimmte in dem damals anliegenden Wald gefunden und der Fall wurde als ungelöster Mord abgestempelt. Daraufhin wurde alles immer schlimmer.
Wo warst du nur hin, Baekhyun?
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𝐖𝐎𝐋𝐅.
FanfictionScheiße, ich saß in der Falle. Für den Wolf war das anscheinend optimal, denn er trat aus seinem Mantel aus tiefschwarzen Schatten und näherte sich mir so sehr, dass mir das Mondlicht erlaubte ihn genauer zu betrachten. Sein Fell schimmerte in einem...