Der Schlüssel drehte zwei Mal im Schloss und wir betraten das Haus. Ich ließ die Tür hinter uns zufallen und kickte meine Schuhe in Richtung Schuhschrank, der Schlüssel landete in der dafür vorgesehenen Schale.
"Kannst deine Jacke dahin hängen", nuschelte ich und zog meine ebenfalls aus. Bei mir zu Hause war sowieso niemand. Meine Mutter hatte angekündigt, dass sie heute Besorgungen für die Tiere machen würde und mein Vater wollte einer Kuh mit ihrem Neugeborenen helfen. Wir hatten zwar Mitarbeiter auf dem Hof, weil trotz meiner Großeltern nicht genug Helfer da waren, aber es war ganz offensichtlich, dass die beiden einfach jedem Konflikt ausweichen wollten.
Es gab Essen in der Küche, wir brauchten es nur warm machen und dann aßen wir zusammen. Still und doch so einsam. Ich schaute runter auf meine Nudeln, drehte meine Gabel hin und her und beobachtete wie einzelne Nudeln sich aus dem Bündel lösten. Wirklich Hunger hatte ich nicht. Und normalerweise verbrachte ich diesen Tag alleine in meinem Zimmer, wie fast die gesamte restliche Woche, aber ich hatte die Entscheidung Jeongguk einzuladen ziemlich spontan und aus dem Gefühl heraus getroffen. Irgendwas sagte mir, dass alleine sein vielleicht doch nicht die beste Lösung sei. Dass er das vielleicht auch so sah.
Ich hob meinen Blick. Er saß mir gegenüber und anders als ich, machte er sich an den Nudeln zu schaffen. Ich musterte ihn und betrachtete die Strähnen, die ihm vor die Augen fielen und bestimmt seine Sicht behinderten. Ich wollte sie wegstreichen. Aber ich tat es natürlich nicht. Er aß gierig weiter, ohne mein Starren zu bemerken und schaute dann innerhalb kürzester Zeit von seinem leeren Teller auf.
"Das. War. Das beste was ich seit wirklich langer Zeit gegessen habe", sagte er schließlich und lächelte. Ich stutzte. Das waren doch nur Nudeln in Tomatensoße? Nichts besonderes, oder?
Er grinste. "Du verstehst das nicht." Ja, da hatte er wohl Recht, aber warum war er heute so gut gelaunt und so offen? Jedenfalls mir gegenüber. Ich hatte das Gefühl, je verschlossener ich wurde, desto umgänglicher wurde er. Aus dem wurde ich echt nicht schlau.
"Hm", machte ich. "Bist du satt oder magst du noch was?", fragte ich. Er versicherte mir satt zu sein, also stellte ich sein Geschirr in die Spüle und meinen Teller wieder zurück, damit das Essen nicht weggeworfen wurde. Ich hatte einfach keinen Appetit.
Wir gingen hoch zu meinem Zimmer, er hinter mir, schlichen wir durch das einsame Haus. Vor meinem Zimmer blieb er stehen und nahm einen tiefen Atemzug. Dann drehte er sich nach rechts und starrte die Tür an, die in das verbotene Reich führte an. "Gehört das deinem Bruder?", fragte er leise. Ich sprach mit niemandem darüber. Nicht mal Hobi hatte das Zimmer gesehen, in dem die Sachen meines Bruders standen. Und ich betrat es auch nie. Aber jetzt hatte er es angesprochen und ich musste antworten. "Ja", flüsterte ich. Ich wunderte mich inzwischen überhaupt nicht mehr woher er von meinem Bruder wusste, woher er wusste oder warum er vermutete, dass genau dieses sein Zimmer war. Ich hatte keine Lust mehr mir Fragen zu stellen, die sowieso niemand beantwortete.
Ich öffnete still meine Tür und während ich eintrat, breitete ich meine Arme aus. "Und das ist mein Reich", sagte ich lächelnd. Ich hielt die Pose ein paar Sekunden und klappte dann wie ein Sack Reis in mich zusammen. Ich ließ mich rückwärts auf mein Bett plumpsen und verdeckte mit meiner Armbeuge meine Augen. Das Lächeln fiel.
Ich hörte ein leises Kichern und normalerweise würde man das als respektlos empfinden oder wenigstens empört sein, aber es brachte mich dazu ebenfalls die Mundwinkel zu einem Lächeln hochzuziehen. Zu einem echten.
Durch eine kleine Lücke zwischen meinem Arm und meinem Gesicht, durch die etwas Licht fiel, beobachtete ich ihn nun und sah wie er auf etwas links neben mir starrte. Er grinste freudig. Ich griff blindlings danach und bekam mein T-Shirt aus dem Wald zwischen die Finger.
"Soso", ertönte es und im nächsten Moment spürte ich, wie die Matraze rechts neben mir einsank und das Bett ein leises Quitschen von sich gab. Es war kurz still und ich nahm meinen Arm runter um zu sehen, was der Eindringling tat, aber was ich sah, war unerwartet. Er schaute mich nur an. Als ich zurückstarrte, drehte er sich auf die Seite und legte seinen Kopf auf seinem Arm ab.
Ich drehte meinen Kopf ebenfalls vollends in seine Richtung und betrachtete ihn. Erneut. Irgendwie war diese Stille nicht einmal unangenehm, jedenfalls empfand ich es so. Er zwang mich nicht über etwas zu reden, wozu ich sowieso keine Kraft hatte und er sah auch nicht genervt oder gelangweilt aus.
Ich legte mich nun doch auf die Seite und so lagen wir da, nebeneinander und zueinander gedreht und musterten einander in der lauten Stille. Ich streckte letztendlich meine Hand aus und seine Augen verfolgten jede Bewegung, die ich tat. Er durchdrang meine Hand mit Blicken, hielt sie aber nicht davon ab, ihm die Strähnen aus dem Gesicht zu streichen, die mich seit Ewigkeiten störte.
Als meine Fingerkuppen seine Haut streifte, ging von meinen Fingerspitzen ein seltsames Kribbeln aus und statt die Hand wieder zurückzuziehen, nachdem ich mein Ziel erreicht hatte, verweilte sie vor seinem Gesicht in der Luft. Meine Finger senkten sich sanft auf seine Haut. Ich strich über seine weiche Wange, stellte wieder das gleiche Gefühl fest, weiter runter bis zu seinen Lippen. Mein Daumen verweilte genau davor, aber dann haderte ich. Unentschlossen, was ich tun wollte. Was war meine Absicht? Er bemerkte anscheinend meine Zweifel und plötzlich erschien mir mein Handeln ziemlich albern und ich wollte meine Hand wieder zurückziehen, aber er griff mit seiner nach meinem Handgelenk.
Und dann führte er meine Hand wieder zu seinen Lippen und küsste federleicht meine Fingerspitzen.
~~
Ahahaha nach 100 Jahren passiert auch mal was zwischen den beiden xD
DU LIEST GERADE
𝐖𝐎𝐋𝐅.
FanfictionScheiße, ich saß in der Falle. Für den Wolf war das anscheinend optimal, denn er trat aus seinem Mantel aus tiefschwarzen Schatten und näherte sich mir so sehr, dass mir das Mondlicht erlaubte ihn genauer zu betrachten. Sein Fell schimmerte in einem...