Als ich heute morgen aufwachte fühlte ich mich irgendwie seltsam. Als wäre alles ein Traum. Als hätte ich den letzten Monat in einer Seifenblase gelebt. Wie diese absurden Träume, die eigentlich gar nicht wahr sein können, aber solange man träumt, glaubt man felsenfest an sie. Man empfindet das Leid, freut sich, wenn etwas glückt und weint, wenn etwas grausames passiert. Man überdramatisiert es fast schon. Oder in manchen Träumen empfindet man gar nichts. Jedenfalls wird es immer absurder und unglaubwürdiger, sodass man es doch eigentlich merken müsste.
Aber das hier war kein Traum. Die Narbe war noch da. Das T-Shirt lag immer noch auf meinem Bett. In meinem Handy war Jeongguks Kontakt eingespeichert. Und das auffälligste: meine Sinne waren nicht von dieser Welt. Das was ich mir sonst immer so sehr gewünscht hatte, schien nun ein Fluch, der an mir klebte und mich rund um die Uhr an das ganze absurde Zeug, das in meiner Umgebung geschah, erinnerte. Ich wollte sie nicht mehr. Ich wollte wieder ein erbärmlicher Mensch sein, auch wenn es hieß, dass ich wieder in einer Lüge ohne Bruder leben musste. Ich war bereit diese Lüge zu leben, aber wenn man die Wahrheit kannte, konnte man manche Sachen nicht ignorieren und wieder ungeschehen machen. Und so war es in meiner Situation nun einmal. Ich würde mich wohl damit abfinden müssen.
Ich stand grade im Badezimmer und machte mich fertig für die Schule. Als meine Eltern am Sonntag zurück gekommen waren, hatte ich schon fertig aufgeräumt und ihnen war nichts aufgefallen. Zumindest konnte ich mir diesen Stress ersparen.
Dafür hatte Jeongguk die letzten zwei Tage in der Schule gefehlt. Am Montag hatte ich mir noch nichts gedacht und hatte Hobi gebeten sich auf den freien Platz neben mir zu setzen. Wir hatten die ganze Schulstunde gelacht und wie früher Mist gebaut, wenn der Lehrer wegsah, bis uns angedroht wurde, dass wir auseinander gesetzt werden würden. Trotzdem lachten wir still vor uns hin und auch die Pausen verbrachten wir zu viert, wie früher bevor Jeongguk in unsere Klasse kam. Ein paar sprachen mich auf die Party an, aber ansonsten war es, als wäre er nie hier gewesen.
Aber er war es, denn jedes Mal wenn Hoseok etwas lustiges sagte und ich lachen musste, schweiften meine Gedanken zu Jeongguk und ich wünschte, er hätte die Situation auch mitbekommen. Teilweise merkte ich mir alles erzählenswerte, um es ihm am nächsten Tag nacherzählen zu können.
Natürlich nur unterbewusst, denn ich war ja immer noch sauer wegen den ganzen Lügen...
Aber insgeheim war meine Wut schon längst verflogen. Ich war nicht mehr sauer, verspürte keine Wut und keinen Ärger. Ich nahm es ihm nicht mehr übel und das machte mir Angst.
Niemandem, nicht einmal meinem eigenen Bruder, hatte mein Herz so schnell vergeben können. Aber im Gegensatz zu Baekhyun, bei dem ich meine Enttäuschung verbergen und begraben musste, konnte ich bei Jeon, so tief ich auch grub und so sehr ich auch danach in mir suchte, keine finden. Ich hatte es ihm bereits vergeben, aber wenn ich ihm solche großen Schwindeleien so einfach vergeben konnte, wo war denn meine Toleranzgrenze? War das gesund? Es schien, als würde ich durch nichts wirklich von ihm verärgert werden können und das machte mir Angst, denn damit gab ich ihm die größten Möglichkeiten mich eines Tages zu verletzen, wenn ich ihm verfiel.
Aber als er am zweiten Tag ebenfalls nicht auftauchte, machte ich mir Sorgen. Ich rief ihn gestern nach der Schule einmal an. Er ging nicht dran. Ich hinterließ Nachrichten. Er antwortete nicht.
Und als ich dann heute den Klassenraum betrat und er nicht, wie sonst, schon vor mir auf seinem Platz saß, war es das mit mir.
___
Es verging noch ein Tag. Ich schielte am Morgen sofort zu seinem Platz, dort war er aber nicht.
Ein weiterer und mir verging das Lachen in der Schule. Irgendetwas stimmte nicht.Ich beschloss heute wieder einen Abstecher in den Wald zu machen, denn die letzten Tage hatte ich mich nachts in meinem Zimmer eingesperrt, in der Hoffnung so meine Verwandlungen aufhalten zu können. Ich hatte das ganze Zimmer abgedunkelt und zu meiner Überraschung, hatte es tatsächlich geklappt.
Ich blieb ein Mensch und somit ließ mich auch jede weitere Nacht an der Existens Jeons zweifeln. Nur meine Gedanken, die vergaßen ihn nicht. Er war ununterbrochen bei mir, in meinem Kopf.
Egal, was ich tat, ich sah, wie er neben mir stand, mir half oder seine schnippischen Kommentare zu dem Thema abließ. Und ich musste sagen, sie fehlten mir. Innerhalb von 5 Tagen fehlte er mir schon.
Und das machte mir sogar noch mehr Angst, denn wer war er, sich innerhalb weniger Monate einen Platz in meinem Herzen zu reservieren und nicht mehr frei zu geben. 5 Tage verdammt. Nicht eimmal meine engsten Freunde oder Verwandte fehlten mir nach 5 Tagen so sehr.
Es war nicht so, dass ich sie nicht gerne alle um mich hatte, das schon und wenn ich jemandem einen Platz in meinem Herzen gab, ließ ich ihn sehr schwer wieder raus, aber einige wenige Tage konnte ich von klein auf komplett alleine verbringen, ohne etwas zu vermissen. Ich wusste ja immer, dass es nur vorrübergehend war. Aber hier schien mich dieser Gedanke nicht wirklich zu beruhigen.
Ich konnte den ganzen Tag gar nicht abwarten, dass es Abend wurde, aber als es soweit war, wurde mir ganz bang. Ich hatte seit der Auseinandersetzung, bei der ich ihn angezickt hatte, gar nicht mehr mit ihm geredet. Ob er mir vielleicht böse war? Aber er hatte doch gar nicht so gewirkt, als er sich von mir verabschiedet hatte.
...
Auch beim Sprung aus dem Fenster und während ich über das langsam vertrocknende Gras lief, zerbrach ich mir den Kopf warum er nicht zur Schule kam, oder sich bei mir meldete. Es war fast schon absurd, was er mit mir anstellte, indem er nur fünf Tage nicht in die Schule kam.
Und als ich ihn mit seinem Rücken zu mir im Wald stehen sah, konnte ich mich an keinen einzigen Gedanken der Wut mehr erinnern und rannte nur umso schneller auf ihn zu.
"Wo warst du?", flüsterte ich, während ich meine Arme zaghaft von hinten um seinen Oberkörper schlang.
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𝐖𝐎𝐋𝐅.
FanfictionScheiße, ich saß in der Falle. Für den Wolf war das anscheinend optimal, denn er trat aus seinem Mantel aus tiefschwarzen Schatten und näherte sich mir so sehr, dass mir das Mondlicht erlaubte ihn genauer zu betrachten. Sein Fell schimmerte in einem...