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Der Tod.
Was macht ihn aus, dass alle Menschen Angst vor ihm haben?
Oder nein, das stimmt nicht so ganz. Die Menschen fürchten nicht den Tod an sich, sie fürchten das, was danach kommt. Sie fürchten die Tatsache, dass sie von ihrer früheren Umgebung werden getrennt und diese um sie trauern wird.
Aber ist der Tod wirklich etwas wovor wir uns fürchten sollten?
Ich denke nicht, denn wenn die Zeit gekommen ist, wird er uns aufnehmen, so wie uns das Leben einst aufgenommen hat.

Aber die Sache ist die; für mich war die Zeit noch nicht gekommen. Und jede willensstarke Faser meines Körpers sträubte sich dagegen das große Nichts in mir aufzunehmen. Ja, ich hatte Angst. Ich hatte Angst, jedes Mal wenn ich, seitdem ich Jeongguk kannte, in Ohnmacht fiel. Jedes Mal war mein letzter Gedanke; vielleicht schließt du grade zum letzten Mal die Augen. Und nein, ich war noch nicht bereit dazu.

Also kämpfte ich unbewusst gegen den Eindringling in meinem Körper und versuchte wieder Herr über diesen zu werden. Es erschien mir irgendwann so, als sei das alles sinnlos, als würde ich nur träumen und wäre in Wirklichkeit bereits auf dem Weg in den Himmel oder sonst wo, wo ein Mensch nach seinem Tod hinkam. Vielleicht eben auch ins Nichts, ich wusste es ja nicht.

Kurz überlegte ich aufzugeben, denn es hatte doch keinen Zweck. Wofür kämpfen, wenn es viel einfacher war sich den Ereignissen hinzugeben? Wofür unnötig anstrengen, wenn es zum Schluss doch früher oder später sowieso auf's Gleiche hinauskam. Wenn ich nicht jetzt starb, dann in einigen Jahren. Also wozu? Ich gab innerlich schon auf, ließ den Funken Kampfgeist in mir erlöschen, aber dann drang eine Stimme aus meiner Welt zu mir.

"Taehyung?", sagte sie und es klang wie das Schönste was ich je gehört hatte. Die Art, wie sie meinen Namen wie Honig klingen ließ, der süßlich seine Quelle verlassend meine Ohren umschmeichelte und mich einlullte. Ich vermisste etwas daran, denn ich kannte diese Stimme.

"Taehyung was machst du hier?", fragte die Stimme wieder. Ich schaute mich um, wo war ich überhaupt? Bewegte ich mich wirklich, oder fand das alles in meiner Vorstellung statt?

"Willst du gehen? Komm her ich nehme dich auf", sprach die honigsüße Stimme und lockte mich zu sich und da erkannte ich ein Licht. Es war schwach, aber dennoch fragte ich mich, wie ich es in der eben noch vollkommenen Schwärze hatte übersehen können. "Komm her Taehyung!", sagte die Stimme die offenbar aus der Lichtquelle kam.

"Wo bist du?", fragte ich schließlich orientierungslos, obwohl ich es doch sehen konnte, aber irgendwie machte nichts hiervon Sinn.
"Das weißt du doch. Komm einfach zu mir her, hier ist es viel schöner!", sagte sie beharrlich. "Lass alles hinter dir, hier ist alles unbeschwert und sorgenfrei."

Unbeschwert und sorgenfrei, hallte es in meinen Ohren wider. Das klang verlockend. Aber da blitzte ein Bild von dem Namensträger dieser Stimme vor meinem inneren Auge auf. "Nein", sagte ich entschlossen. "Nein Jeongguk, ich kann nicht."

Das Licht schien verblüfft, denn es flackerte etwas. "Du überraschst mich", sagte es wie erwartet und die Stimme veränderte sich etwas. Der männlichere Klang der einem Halbgott glich, wurde nun viel weicher und femininer. "Ich dachte wenn ich dir deinen dir wichtigsten Menschen vor Augen führe, würdest du leicht auf mich reinfallen", sagte die Stimme, die nun wie ein Engel klang, perfekt. Zu perfekt.

"Ich hätte nicht erwartet, dass es das Gegenteil bewirkt", sagte das Licht.
"Wer bist du?!", fragte ich verwirrt, denn das alles kam mir inzwischen mehr als absurd vor.
"Das zählt nicht mehr Taehyung, du hast dich gegen mich entschieden", sagte es kalt.
"Wie? Ja... warte, was meinst du?", fragte ich nach wie vor verwirrt, aber die Stimme ignorierte meine Fragen mit ihrer nächsten Aussage schlichtweg: "Ich hoffe du wirst deine Entscheidung nicht bereuen." Es klang so kalt und abweisend, dass mit ein Schauer den Rücken runterlief und ich mich wirklich unwohl fühlte. Unwohl in einem Maß, in dem ich es nicht einmal beschreiben komnte.

Und dann riss ich plötzlich die Augen auf und schnappte hektisch nach Luft.
"Er atmet wieder!", war das Erste was ich hörte, und obwohl meine Sicht noch relativ verschwommen war, konnte ich mit Sicherheit sagen, dass ich wieder in der Realität war. In meiner Realität.

"Versuch ihn langsam aufzusetzen!", ertönte das Nächste, was ich hörte und die Stimme kam mir wieder irgendwie bekannt vor, aber nicht zu vertraut.
Ich blinzelte einige Male und erkannte ein tränenüberströmtes Gesicht genau vor mir. "Jeongguk!", sagte ich und nahm es sofort zwischen meine Hände. "Hey, hey, hey, es ist alles gut!", redete ich zuversichtlich auf ihn ein, obwohl ich nicht einmal wusste woher die Tränen rührten. Ich konnte ihn einfach nur nicht so weinen sehen, das brach mir wortwörtlich das Herz. Lag wahrscheinlich an unserer Bindung.

"Taehyung", schniefte er entkräftet und zog mich sofort in seine Arme. Er umarmte mich so fest, dass ich kaum Luft kriegte und sich der Schmerz an der gebissenen Stelle wieder bemerkbar machte, aber ich erwiderte es dennoch.
"Ich dachte, ich habe dich verloren", schluchzte er undeutlich an meine Schulter, aber ich verstand jedes Wort klar und deutlich und strich ihm beruhigend über den Rücken.

Den großen und selbstsicheren Jeongguk so zu sehen verunsicherte mich auf der einen Seite, denn immerhin zeigte es, dass sogar der stärkste Mensch eine Schwäche hatte, aber auf der anderen Seite, beruhigte es mich aus eben dem gleichen Grund und brachte mein Herz zum Schmelzen, da diese ganze Sorge nur um mich war. Natürlich wollte ich trotzdem nicht, dass er weinte, dass er traurig war, aber ich war erleichtert, dass ich vorhin die richtige Entscheidung getroffen hatte. Den richtigen Jeongguk gewählt hatte.

Denn wer auch immer dieses Licht eben war, er hatte mir versucht mithilfe von meiner größten Schwachstelle meine Seele zu nehmen. Jeongguk.

"Ich auch", hauchte ich an seine Halsbeuge.
"Du hast aufgehört zu atmen!", schluchzte er.
"Schon gut, jetzt bin ich hier", versuchte ich ihn zu beruhigen. Ein weiterer herzzerreißender Schluchzer und er drückte sein Gesicht mehr in den zerrissenen Stoff meines Shirts.
Autsch, dachte ich, aber er schien es nicht zu hören, oder jedenfalls zu ignorieren, denn nichts an seiner Haltung änderte sich. Seltsam.

"W-wie hast du das geschafft?", flüsterte er.
"Was geschafft?", fragte ich sanft.
"Zu mir zurückzukommen."
Ich überlegte kurz, denn diese Frage hätte ich mir auch selber stellen können.
Aber die Antwort lag eigentlich auf der Hand.

"Du hast mich zurückgeholt."

~~
Ich würde euch gerne fragen, ob ihr meine Gedankengänge manchmal verwirrend findet oder nicht nachvollziehen könnt? Gerade bei solchen Kapiteln habe ich Angst, dass jemand nicht mitkommt. Wenn das der Fall sein sollte, sagt mir das bitte!
Ich hatte von Kind auf schon den Drang mehr zu denken, als ich erzählen konnte xD

𝐖𝐎𝐋𝐅.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt