20🐺

3.6K 299 19
                                    

"Ich hab keine Lust mehr!", quängelte ich und ließ meinen Kopf erneut auf meinen Tisch fallen. Ich hatte es zwar geschafft mich wieder unbemerkt ins Haus zu schleichen, aber nun war ich so unglaublich müde von heute Nacht, dass ich mich nicht auf den Unterricht konzentrieren konnte. "Hast du bereits erwähnt", sagte mein linker Sitznachbar kühl. Ich schenkte ihm einen bösen Blick und vergrub mein Gesicht anschließend wieder auf meinen auf dem Tisch verschränkten Armen. "Naw, armes putt putt", hörte ich von vorne und Hoseok streichelte mir einmal mitleidig über den Hinterkopf. "Hast du irgendwie deine Tage?", fragte er mich lachend. Ich grummelte nur etwas gegen meinen Tisch, was er aber zu verstehen schien. "Was ist es denn dann?"

"Zu wenig Schlaf", folgte die Antwort. Aber die Worte stammten nicht von mir. Ich hob meinen Kopf einige Zentimeter von meinen Armen, nur um Jeongguk einen verwirrten Blick zu schenken. Ich hatte dafür gesorgt meine Augenringe mittels Schminke unsichtbar zu machen und hatte mir Mühe gegeben meine Augenlider während des Unterrichts oben zu halten, woran hatte er es also bemerkt?

"Zu wenig Schlaf? Da musst du dich wohl täuschen, denn unser Musterknabe hier geht immer früh schlafen", rief Hobi, die Tatsache ignorierend, dass Jeongguk trotz seiner dauerhaften Stummheit mit ihm gesprochen hatte, meinem Sitznachbarn zu. "Da täuschst du dich wohl", kam kühl zurück. Warum war er sich in seiner Annahme so sicher? Er kannte mich doch gar nicht, wusste nicht, wie ich war, wenn ich müde war, nicht wie ich motiviert war, wie ich zickig war, woher also wollte er wissen, dass es an Schlafmangel lag?

Ich verspürte aus meinem tiefstem Inneren das dringende Bedürfnis ihm, wie ein kleines, trotziges Kind, zu widersprechen. "Das ist es nicht", motzte ich. Später fand ich mein Benehmen ziemlich albern. Er drehte seinen Kopf zu mir und schaute mich mit seinen schokoladefarbenen Augen an.  "Sondern?", fragte er mich in einer ganz anderen Tonlage als sonst. Seine Stimme kam mir nun nur noch bekannter vor als sonst schon und ich brachte sie unterbewusst mit meinem Aufenthalt bei diesen "Kriminellen" letzten Monat in Verbindung. Ich erschauderte.

Er räusperte sich augenblicklich und fuhr in üblicher Stimmlage fort: "Woran lag es sonst?" Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass diese Stimme gekünstelt klang und er sonst dauernd seine Stimme verstellen würde und deswegen so selten reden täte. Als würde er seine echte Stimme verbergen wollen, aber warum?

Dann wurde mir bewusst, dass meine Theorien ziemlich weit hergeholt und absurd waren. Warum sollte er rund um die Uhr seine Stimme verstellen? Wahrscheinlich hatte er grade einfach einen Forsch im Hals und die Erinnerung an den Monat im Nirgendwo schob ich auf meine Paranoia. Ich sah schon in allem etwas verdächtiges. Sein fragender Blick erinnerte mich daran, dass er auf eine Antwort wartete. Nach kurzem Überlegen sah ich ein, dass ich keine Argumente hatte.

"Geht dich nichts an", zischte ich also und vergrub mein Gesicht wieder in meinen Armen. Da es Ende August war, trugen alle noch T-Shirts, aber das kam mir grade nicht zu Gunsten. Normalerweise hätte ich jetzt mit den Ärmeln meines Pullovers mein Gesicht verdeckt und so getan als wäre niemand bei mir, als könnte ich mich einfach abkapseln. Aber da ich nur kurze Ärmel hatte, funktionierte das nicht und ich hatte nur meine eigene Haut die ebenso gut vor Blicken schützte, wie ein transparenter Regenschirm.

"Gutes Argument", sprach mein Sitznachbar meinen Gedanken mit ironischem Unterton aus, aber ich hörte ihn nicht. Jedenfalls tat ich so. Ich lag da und lauschte den leisen Gesprächen im Hintergrund die alle zusammen ein großes undeutliches Zischeln ergaben, aber da verstummten sie und wanderten in das Quitschen von zurückgeschobenen Stühlen über.

Alle standen auf, also war der Lehrer da. Das hieß ich sollte mich ebenfalls erheben. Dennoch wartete ich bis zur letzten Sekunde, bis die Stimme des Lehrers erklang und endgültig feststand ihn begrüßen zu müssen, ehe ich träge aufstand. Ich machte mir nicht einmal die Mühe meinen Stuhl richtig zurückzuschieben. "So müde?", kicherte mein bester Freund von vorne. Gereizt warf ich ihm einen warnenden Blick zu. "Bin nicht müde", grummelte ich. "Hm, ich glaube da stehe ich auf Jeons Seite; du bist müde." Neben mir erklang ein kehliges Lachen.

Sie hatten sich gegen mich verschworen. Die Schüler beendeten den Gruß im Singsang und ich plumpste wieder unsanft auf meinen Stuhl, meine Augen schon geschlossen. Wem machte ich was vor? Ich war müde as hell und konnte wahrscheinlich als besoffen durchgehen.

Plötzlich piekste mir etwas, beziehungsweise jemand -und zwar jemand- in die Seite. Konnten meine Mitmenschen mich denn nicht einmal in Ruhe lassen? War es zu viel verlangt einen einzigen Tag lang von niemandem gestört zu werden? Ich war genervt, fuhr daher ruckartig auf und saß nun kerzengerade auf meinem Stuhl, nur um Jeongguk mit einem bösen Blick zu bedenken. Aber da bemerkte ich im Augenwinkel, wie der Lehrer in meine Richtung sprach. Er hatte noch nichts über mein dreist auffälliges Verhalten gesagt, aber es war deutlich erkennbar, dass er es gemerkt hatte. Also so gesehen hatte mich Jeon grade  vor einer Standpauke bewahrt und dafür war ich einen kurzen Wimpernschlag lang dankbar.

"Gerngeschehen."

-dann wurde mir wieder bewusst was für ein Arschloch er war und ich sackte stumm wieder auf meinem Stuhl zusammen.

𝐖𝐎𝐋𝐅.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt