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"Da wären wir", flüsterte Jeongguk heiser in die Stille des kleinen Häuschens, während er die Haustür hinter sich zuzog. Er hatte mir den Vortritt gelassen, und so hatte ich die Gelegenheit mich bereits in der spärlichen Ausstattung umzuschauen.

Hier auf dem Land ein kleines Haus zu bekommen war nicht sonderlich schwer, aber für eine einzelne Person, war es definitiv trotzdem zu groß. Er meinte, dass er früher mit meinem Bruder hier gewohnt hatte, aber da dieser ja nun in der Stadt war, stand das Haus seit einer Woche leer.

Ich nahm einen tiefen Atemzug der stickigen Luft und genoß die absolute Stille hier. "Tut mir leid, hier hat länger keiner mehr gelüftet", sagte er verlegen und lief schnell zum Fenster auf der gegenüberliegenden Seite.

Der Flur war direkt mit einer kleinen Art Wohnzimmer verbunden, in dem nur eine Couch für 2 Leute stand und ein kleiner Apparat, der einem Fernseher glich. In der Ecke stand noch eine große verstaubte Kiste, mit Handabdrücken und das war's auch schon.

Links von uns waren 2 Türen, die eine nur angelehnt und führte in eine Küche, die andere vermutete ich als Badezimmer. Und zu guter letzt war an der gegenüberliegenden Wand, dort wo Jeongguk stand noch eine Tür, die wahrscheinlich in ein Schlafzimmer führte.
Mehr Räume gab es nicht. Ich zog eine Augenbraue hoch.

In dem Moment erklang das Geräusch eines aufknallenden Fensters und ich wurde aus dem Vakuum dieser Stille herausgezogen.

Es war nicht selten, dass es mal irgendwo still war, aber da dieses ganze Häuschen für sich alleine stand und einsam war, schien es wirklich jedes Geräusch zu verschlucken, sogar das Vogelgezwitscher, das wir sonst dauernd hörten und somit schon als gewöhnlich empfanden, blieb fort. Erst als ich den Vogelgesang wieder wahrnahm, merkte ich was vorhin gefehlt hatte und wertschätzte diese Kleinigkeit für einen kurzen Augenblick.

Dann drehte Jeongguk sich wieder in meine Richtung und ich vergaß alles andere. Mein Blick wanderte kurz zu der Tür neben ihm und ich zog abermals fragend eine Augenbraue hoch. Natürlich wusste er sofort worauf ich hinaus wollte.

"Ja, aber dein Bruder konnte als Wolf ja nicht in dem Doppelbett schlafen. Ich hätte ihn nicht hierher mitnehmen können. Wenn ihn jemand gesehen hätte, wer weiß was passiert wäre. Er musste seit unserer beiden Bindung im Wald schlafen", beantwortete er meine stumme Frage. Das bedeutete, dass die beiden früher also in einem Bett geschlafen hatten. Mein Herz fühlte sich erdrückt.

Er schaute zu Boden, erwiederte nichts darauf. Aber diesmal wollte ich Antworten. Ich wollte das nicht wieder auf mir sitzen lassen.

"Ihr wart zusammen", sagte ich. Es klang weniger wie eine Frage, eher wie eine Feststellung. Er nickte trotzdem.

"Habt ihr...", ich traute mich nicht die Frage auszusprechen. Wollte es nicht laut sagen, weil ich einerseits nicht daran denken wollte und andererseits die Antwort nicht hören wollte. Aber ich konnte nicht mehr so tun, als wäre es nie gewesen. "... habt ihr...", dennoch brachte ich es nicht über meine Lippen. Es blieb mir im Hals stecken und ich konnte es nicht laut aussprechen. Warum erleichterte er es mir nicht, wenn er doch wusste was ich fragen wollte?

"...miteinander geschlafen?", flüsterte ich schließlich und erst da gab er sich die Mühe zu antworten: "Ja", es kam fast tonlos aus seinem Mund und er senkte reuevoll den Kopf. Mich wunderte aber die Tatsache, dass er weder irgendetwas abstritt, noch Gegenargumente suchte, also stellte sich mir eine noch größere Frage. Eine vor deren Antwort ich mich mehr fürchtete, als vor der zu ihren körperlichen Tätigkeiten.

"Warst du... oder viel mehr, bist du... in meinen Bruder verliebt?", hauchte ich und sobald die Frage zwischen uns im Raum stand, drehte er sich wortlos um und stand nun mit dem Rücken zu mir.

Klar, es sollte mich nicht wundern, immerhin kannten sie sich nun vier Jahre und ich hatte ihre Beziehung innerhalb von 3 Monaten zerstört. Aber egal, wie sehr ich versuchte es zu rechtfertigen und die Schuld auf mich zu schieben, ich konnte nicht verhindern dieses beengende Gefühl zu verspüren. Als würde mir jemand die Kehle zuschnüren. Als hätte jemand ein Gewicht auf meine Brust gelegt. Als würde die Luft zum Atmen knapp werden. Und je länger er nicht antwortete, desto schlimmer wurde es.

Mich beängstigte meine eigene Reaktion zutiefst, immerhin war zwischen uns beiden doch noch nie die Rede von Liebe oder starker Zuneigung gewesen. Ich wusste es doch von Anfang an, dass die beiden eine spezielle Beziehung geführt hatten. Warum also fühlte es sich an, als hätte ein Teil meiner Selbst mich betrogen?

Jeongguk holte mich aus meinen egoistischen Gedanken, indem er entschlossen seufzte und eine Entscheidung getroffen zu haben schien.  "Ja", sagte er leise. Zu meiner Überraschung klang seine Stimme nun monoton.

Er drehte sich wieder um und schaute mir über seine Schulter in die Augen. "Ja, ich war in ihn verliebt", sagte er und kam nun in meine Richtung. Meine Kehle wurde trocken und ich schluckte dieses unangenehme Gefühl runter, was nur dazu führte, dass Übelkeit in mir aufkam.

"Er war für mich das wichtigste auf der Welt. Dachte ich. Ich war glücklich mit ihm. Sagte ich mir. Seine Anwesenheit war alles was ich brauchte. Glaubte ich. Wollte ich glauben. Ich wollte ihn nicht verlieren", während er sprach, machte er langsam einige Schritte auf mich zu, aber mit jedem Meter, dem er sich mir näherte, ging ich instinktiv einen Schritt zurück. Es passierte automatisch, ich konnte es nicht verhindern. Genauso wenig wie ich verhindern konnte, dass meine Augen anfingen zu brennen. Mit aller Macht versuchte ich es zu unterdrücken, aber dennoch wurde meine Sicht in Sekundenschnelle unklarer und verschwommener.

"Er war nach so vielen Jahren endlich der perfekte Seelenpartner", an dem Punkt stieß ich mit meinem Rücken an eine Wand hinter mir. Eine Träne löste sich aus meinen Augen, rollte über meine Wange und brannte sich ihren Weg über mein Gesicht. Erst als sie über meinen Kiefer kullerte und auf mein Oberteil tropfte, kam ich auf die Idee mir mit meinem Arm über die Augen zu wischen.

Ich wollte keine Schwäche zeigen, wollte nicht zeigen, dass es mir weh tat. Warum auch? Ich hatte doch keinen Grund. Er liebte meinen Bruder, damit sollte ich wohl leben.

"Alles war perfekt." Und dann kam ich, fügte ich in Gedanken selbstbemitleidend hinzu. Nun stand er direkt vor mir. "Aber immer fehlte mir noch etwas", ich blickte schniefend auf und da stand ein gutmütig lächelnder Jeongguk vor mir und schaute mir in die Augen.

"Und dann habe ich dich kennengelernt."

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Wo sind meine LGBTQ+ Leute? (ღ˘⌣˘ღ)
(Nachdem das gestern mit den Koalas nicht so geklappt hat.. xD)

𝐖𝐎𝐋𝐅.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt