81🐺

2.4K 221 71
                                    

Da waren ganz viele Bilder drin, auf denen Jeongguk abgebildet war. Aber keine normalen Bilder, wie wir sie heute mit einer High-Tech Kamera aufnehmen und dann auf Fotopapier ausdrucken würden, sondern in allen möglichen Formen, Farben und Qualitäten. Ich fand sogar ein Ölgemälde von ihm als kleines Kind, mit einem Prunkvollen Gewand und edlen, schimmernden Verziehrungen an seiner Bekleidung. Wie ein König, oder ein Prinz.

Dann gab es wieder Bilder, auf denen er älter aussah, fast schon dreißig oder gar vierzig und dann gab es wieder welche, auf denen er genauso alt aussah wie jetzt. Das verwirrte und überforderte mich zunächst, aber die Zusammenhänge konnte ich mir im Grunde selber erschließen, immerhin hatte er mir bereits gebeichtet, dass er älter sei, als es schien.

Es gab Bilder in schwarz-weiß, es gab Bilder in diesem Braunton, den alte Fotos hatten, aber es gab auch Bilder, die definitiv von einer digitalen Kamera abstammten. Ich fand sogar einen Filmstreifen, der höchstwahrscheinlich mit einem Kinematographen aufgenommen wurde, für dessen Aufnahmen sich meine Augen ein wenig anstrengen mussten. Darauf war auf jedem kleinen Bild ein Jeongguk in anderer Position am Strand abgebildet und war wahrscheinlich beim sonnen "gefilmt" worden.

Ich grinste und setzte mich, nachdem meine Knie in der Hocke angefangen hatten weh zu tun, ordentlich in den Schneidersitz vor die Kiste, um die Bilder in Ruhe betrachten zu können. Wie ein kleines Kind im Spielwarenladen schaute ich die Sachen mit großen Augen an und zog einige davon begeistert hervor. Andere wiederrum jagten mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken, aber das versuchte ich lieber zu ignorieren.

Mir fiel auf, dass Jeongguk auf den Fotos nie jünger als in dem pubertierenden Alter vorzufinden war und ich fragte mich, wann er denn geboren sein musste, aber dann fiel mir das Gemälde wieder ein. Ich nahm es in die Hand, pustete eine leichte Staubschicht weg und betrachtete es etwas genauer.

Es war recht groß, nahm im Querschnitt ungefähr die Fläche der Kiste ein und hatte einen goldenen Bilderrahmen mit alt wirkenden, aber dennoch wunderschön und elegant geschwungenen Ornamenten. Der darauf abgebildete Jeongguk war zwar wie erwähnt mit Ölfarben gemalt und deswegen vielleicht nicht absolut detailgetreu dargestellt, aber dennoch war er zweifelsfrei erkennbar und auch sein Alter ließ sich in etwa einschätzen.

Er musste auf dem Bild jedenfall jünger als 10 Jahre gewesen sein, denn er wirkte im Vergleich zum, im Hintergrund illustrierten, Sessel relativ klein und auch seine Proportionen hatten, im Gegensatz zu den anderen Aufnahmen, etwas sanftes und kindliches. Er hatte rundlichere Pausbacken, obwohl er schon damals schlank war, seine Stirn war etwas höher und die Augen sahen größer aus. Im großen und ganzen wirkten seine Gesichtszüge einfach weicher als jetzt und deuteten auf ein junges Alter hin, trotz der malerischen Qualität.

Als es für mich feststand, dass ich einen Jeongguk im Kindesalter vor Augen hatte, quitschte ich zunächst begeistert auf, denn er sah wirklich knuffig aus, hielt mich dann aber zurück, denn der Hintergrund und seine Aufmachung schüchterten mich irgendwie ein. Er sah zwar aus wie ein Kind, aber sogar durch das Gemälde hindurch versprühte seine Präsenz eine gewisse Reife. Als wäre er ein Erwachsener, gefangen im Körper eines Kindes. Vielleicht lag es auch an dem Zeitalter, vielleicht waren alle Kinder damals so. Oder seine Eltern hatten einen großen Wert darauf gelegt, ihren Sohn zu einem weisen Mann zu erziehen. Aber warum? In was für einer Position musste er gestanden haben, dass ihm anscheinend nicht einmal die Naivität des jungen Alters vergönnt worden war?

Kopfschüttelnd legte ich das Bild vorsichtig beiseite, darauf bedacht den Rahmen nicht zu beschädigen, denn davon bekam ich noch Kopfschmerzen, und griff wieder in die Kiste, nach dem nächstbesten Bild.

Es war schon etwas neuer, denn es war bereits eine Farbfotografie und zeigte erste Abweichungen von dem Braunstich. Es konnte dennoch relativ alt sein, denn die Bekleidung, die die abgebildeten Personen trugen, schien immer noch zu förmlich und anständig für unsere heutigen, alltäglichen Verhältnisse. Aber bestimmt nicht älter als 50 Jahre, dachte ich mir.

Auf dem Bild war Jeongguk etwa im Studentenalter zu sehen und neben ihm ein anderer junger Mann, im gleichen Alter, der in der Größe ein wenig kleiner war und seinen Arm um Jeongguk geschlungen hatte. Sie grinsten in die Kamera und schienen irgendetwas zu feiern. Ich musste automatisch zurücklächeln und drehte das Papier neugierig in meinen Händen herum. Und tatsächlich, auf der Rückseite war ein Datum mit Schriftzug aufgeschrieben und mit etwas Mühe, konnte ich die verschnörkelte Schrift entziffern. Es stand drauf:

1953, Yoongs & Gguk, Abschlussfeier

Gguk... wie... Cookie. In meinem Kopf machte es Klick und ich erinnerte mich, wie jemand ihn schon einmal so genannt hatte. Daher hatten sie den Spitznamen also abgeleite-

"Darf ich fragen, was du da machst?", erklang plötzlich eine Stimme hinter mir und riss mich aus meinen Gedanken.

~~
Uff leute, fast 40 k reads. OOF

𝐖𝐎𝐋𝐅.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt