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Es herrschte Totenstille.

"Frei lassen?!", brach schließlich mein Bettnachbar die Stille. Ich war mir nicht sicher, ob er es laut ausgesprochen hatte, aber als Gemurmel folgte, wurde mir klar, dass ich zum ersten Mal seit dem Tag an dem ich hier eingeliefert wurde, seine Stimme gehört hatte. Also nicht in meinem Kopf.

"Wie stellt ihr euch das vor?", fragte er aufgebracht.
"Was sollen wir deiner Meinung nach machen? Willst du ihn vielleicht irgendwo für den Rest seines Lebens einsperren? Das können wir uns nicht leisten", folgte eine Antwort. Bei dieser Vorstellung überkam mich eine unangenehmer Schauer und mein Herz schlug vor Angst und Aufregung schneller.

"Vielleicht wollt ihr ihm auch noch eure Identitäten zeigen? Sonst noch was?!"
"Jk, ganz im Ernst, was sollen wir machen?" Mein Bruder, Baekhyun, hilf mir doch. Warum machst du denn nichts? Du steckst mit denen unter einer Decke, aber was ist mit mir, deinem Bruder?

"Okay, aber unter einer Bedingung...", gab er schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit nach. Ich spürte, dass sie sich zusammenrissen,  weil ich noch hier war.
"Die wäre?"

"Wir lösen die Bindung nicht auf."

"Aber Jk! Was ist mit mir? So nimmst du mir meine Möglichkeiten! Du weißt schon, willst du, dass ich nun immer so bleibe?"
Ich hatte absolut keine Ahnung wovon mein "Bruder" da sprach.

"Sei nicht so egoistisch, hier geht es mal nicht um dich", kam es kühl von "Jk" zurück. Ich hatte sie ihn schon einmal so nennen hören.

"Ich soll nicht egoistisch sein?! Du tust das doch nur, weil du ihn für dich willst! Ich bin dir langweilig geworden! Ist es nicht so? Schau mir in die Augen und sag mir die Wahrheit!" Baekhyun klang richtig entrüstet. So kannte ich ihn gar nicht. Früher war er wirklich immer gut gelaunt, er hat alle zu Hause glücklich gemacht. Verrückt, aber glücklich.

"Tja, wie du vielleicht bemerkt hast könnte das umständlich werden."

"Du bist so ein-"

"Hüte deine Zunge", kam bedrohlich von meinem Bettnachbarn. Ich verstand, wie immer gar nichts, gab es inzwischen aber auch auf. Ich war vielleicht neugierig, aber das war mir einfach zu anstrengend zu verstehen. Er würde es mir ja noch erklären, das hatte er mir versprochen.

"Gut, du bist der Boss, dein Wort ist Befehl", sprach dieser dritte Typ, der mich versorgt hatte.

"Ich verabreiche ihm das hier und dann,", während er sprach hörte ich, wie er irgendwo rumkramte. "bringen wir ihn zurück." Ich spürte wie etwas kaltes meinen Oberarm berührte. Und da setzte mein Gehirn seit Ewigkeiten, vielleicht Wochen wieder ein.

"STOPP! Das könnt ihr doch nicht ma-"

...

Schwärze

...

_____

Langsam öffnete ich meine Augen und zum ersten Mal seit so langer Zeit sah ich etwas. Mein Blick war direkt gen Himmel gerichtet und ich wurde schlagartig geblendet. Zischend hielt ich mir die Hände vor das Gesicht und versuchte mich aufzurichten. Es war definitiv alles viel, viel zu hell. Daran musste ich mich erst wieder gewöhnen.

Ich sah, wo ich mich befand und hatte ein Deja-vù. Ich lag neben dem Baum, im Kies, wo ich runter gefallen war.

Als ich unter mich schaute, sah ich sogar eine Blutspur. Sie war bereits getrocknet, aber sie stammte definitiv von mir. Aber wie lange ist das her? Das war doch kein Traum gewesen? Wie lange lag ich hier? Vielleicht hatte ich mir das alles mit den Wölfen und der "Entführung" nur eingebildet, es geträumt und in Wirklichkeit waren nur ein paar Stunden vergangen und mein Fehlen war niemandem aufgefallen.

Aber irgendwas in meinem Kopf sagte Nein. Nein, das war keine Einbildung. Du warst wirklich weg.

Plötzlich hörte ich ein lautes Schluchzen. Es kam irgendwo über meinem Kopf her, also schaute ich hoch, sah aber nur das geöffnete Fenster meines Zimmers.

Ich hatte Kopfschmerzen, aber diesmal lag es nicht an äußeren Schäden, es schien mir als wolle mein Kopf, mein ganzer Körper einen Eindringling bekämpfen.

Verzweifelt versuchte ich mich an diese ganzen lebendigen Farben um mich herum zu gewöhnen. Es kam mir so vor, als hätte ich seit Jahren keine mehr gesehen. Schwindel überkam mich und ich hielt mich an der nächstbesten Wand fest.

Langsam ging ich das Haus entlang, kam irgendwann an der Frontseite des Hauses an und steuerte die Haustür an.

Ich klingelte und wartete ängstlich. Ich hoffte sie würden mich nicht umbringen.

Aber zu meiner Verwunderung öffnete nach einiger Zeit meine verheult aussehende Mutter die Tür und schaute betrübt zu mir, bereit die Person vor der Tür weiterzuschicken.

In dem Augenblick, in dem sie mich erkannte, sah ich wie jemand wieder das Licht in ihren Augen wieder anknipste. Sie brach in Tränen aus und zog mich an sich.

"WO WARST DU?!", kreischte sie gegen meinen Hals und ihre Tränen befeuchteten mein Shirt.
"Wo warst du?!", wiederholte sie etwas leiser. Ich blieb weiterhin stumm.
"Wo warst du?", flüsterte sie schließlich.

Sie drückte mich mit aller Macht an sich und schien mir sie Luft abzuschnüren. "Luft", keuchte ich also. Sofort ließ sie mich los und schaute besorgt. "Oh mein Gott, tut mir leid!" Sie musterte mich misstrauisch.
"Wie siehst du denn aus... was ist mit dir passiert? Brauchst du etwas? Komm erst einmal rein und nimm eine warme Dusche, du siehst schrecklich aus, dein Vater ist noch mit der Polizeiwache auf der Suche nach dir. Ich rufe ihn direkt an", sprach sie überfordert. Ich sah ihr an, dass sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte, aber unendlich glücklich war mich wiederzusehen. Lebendig.

Also betrat ich das Haus.

𝐖𝐎𝐋𝐅.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt