Verschlafen öffnete ich meine Augen und starrte ins überbeleuchtete nichts. Ich war anscheinend wieder eingeschlafen, ausgelaugt vom Weinen, und es war Mittag geworden, denn die Sonne schien mit aller Macht in mein Zimmer. Warum scheint das scheiß Ding durchgehend, vielleicht war an diesem Tag irgedendwo auf der Welt etwas furchtbares passiert?
Ich stand auf und merkte erst in diesem Moment, dass ich noch die Kleidung aus dem Wald trug. Eigentlich achtete ich sehr auf Hygiene, aber das war heute zu viel. Ich zog die Hose und das Shirt aus und wollte es grade in meinen Wäschekorb werfen, als mir auf einmal der Geruch des Oberteils entgegenkam. Es roch eindeutig noch nach Wald, aber da war noch etwas anderes. Ich hielt es an meine Nase und bemerkte, dass der herbe Geruch mich an den Wolf erinnerte. Es roch nach ihm.
Letztendlich brachte ich es nicht über's Herz es in den Wäschekorb zu legen und den Geruch von Freiheit und gleichzeitig irgendwie auch Geborgenheit abzuwaschen. Ich legte es auf mein Bett, als mir schlagartig Flocke einfiel.
Scheiße, hatte sie den Weg zurück gefunden? Bestimmt, ich bin sehr oft mit ihr in den Wald geritten. Aber noch nie in der Nacht... und auch noch nie nach einem so aufwühlenden Zusammenstoß. Panisch hastete ich die Treppen runter, den Flur entlang und suchte den Schlüssel, um die Haustür aufzuschließen.
Da war keiner. Kein Schlüssel.
Ich konnte nicht raus. Sie meinten es also ernst. Zähneknirschend raufte ich mir die Haare und überlegte, wie ich hier raus kam ohne meinen Eltern über den Weg zu laufen. Ich musste wissen, wie es Flocke ging, also ging ich wieder hoch in mein Zimmer, stellte mich vor mein Fenster und öffnete es. Ich beugte mich vor und schaute mir meinen bereits so oft durchdachten Fluchtplan an. Ich wusste wie ich hier entkommen könnte, hatte es aber bis jetzt noch nie durchgezogen da ich erstens meine Eltern nie wirklich noch mehr verärgern wollte und zweitens mir der Mut fehlte. Außerdem war ich noch nie wirklich hier eingeschlossen. Aber jetzt ging es nicht um mich, sondern um ein unschuldiges Tier.
Ich biss mir auf die Unterlippe, kletterte auf die Fensterbank und schwang meine Beine auf die andere Seite, sodass sie rausbaumelten. Ein letztes mal tief durchatmen und dann stieß ich mich ab und landete wackelig auf dem kleinen Vorsprung direkt unter meinem Fenster. Seitlich versuchte ich den immer kleiner werdenden Vorsprung bis zum Baum an der Kante des Hauses zu balancieren. Irgendwann streckte ich meine Arme aus und versuchte mich verzweifelt an der Steinwand hinter mir festzuhalten. Hatte ich erwähnt, dass ich Höhenangst hatte? Solangsam hatte ich Angst abzurutschen und verlangsamte mein ohnehin schon lahmes Tempo noch mehr. Ich zögerte... sollte ich wieder umdrehen? Und hoffen das irgendwer sonst meine Stute gefunden hatte?
Nein, es war meine Schuld, also musste ich das jetzt regeln. Warum ich nicht einfach zu meinen Eltern gegangen war? Hätte ich ihnen gesagt, dass das Pferd verloren gegangen war, obwohl das doch nicht mal feststand, hätten sie mir den Kopf abgehackt. Ich musste nur sichergehen, dass sie den Weg gefunden hatte, dann bräuchte ich auch keine unnötige Panik schieben. Also versuchte ich mich mit einem letzten Stoßgebet gen Himmel zum Weitergehen zu motivieren.
Wie ein Mantra wiederholte ich die Worte "Bitte lass mich nicht ausrutschen", während ich nacheinander mit ganz kleinen Schritten den Boden abtastete.
Ich hatte es fast geschafft und der Vorsprung war hier inzwischen so klein, dass meine Füße keinen Halt mehr fanden. Der Baum war gut einen Meter entfernt. Ich musste rüberspringen und hoffen, nicht runterzufallen. Ich hatte wirkliche Höhenangst auch schon von dort, vom 2. Stock. Immerhin könnte ich mir von hier immer noch einen Knöchel verstauchen oder sogar brechen. Ich schwebte hier gut 3 einhalb Meter über dem Boden und das unten war nicht etwa ein Schwimmbecken, wobei ich sogar vor dem 3 Meter Brett im Schwimmbad Angst habe, nein das unter mir war harter Steinboden.
Ich fixierte einen stabil aussehenden Ast, nahm meinen ganzen Mut zusammen, holte so viel Schwung, wie man an die Wand gepresst holen kann und sprang ab...
und landete auf dem Baum. Ich umklammerte ihn sofort und atmete erleichtert aus, als aber plötzlich der Ast unter mir zu knirschen begann."Shit, shit, shit, shit, shit", wiederholte ich leise und beobachtete wie sich unter meinen Füßen ein Riss bildete. Panisch suchte ich einen anderen Ast, aber da brach meiner schon durch und ich begann runter zu fallen. Meine Arme um den großen Baum geschlungen, schürften sich beim Versuch sich festzuhalten auf und als ich kurz darauf mit meinem Fuß an einem anderen, dickeren Ast hängen blieb, fiel ich kopfüber weiter runter, sodass mein an der Jeans verfangenes Bein nun mein einziger Halt war und ich unter mir den Boden sehen konnte.
Ich war bestimmt etwa 2 Meter runtergefallen und baumelte nun kopfüber ein einhalb Meter über dem Boden. Wenigstens war das hier nur Kies und nicht Beton. Vor Schock gelähmt hatte ich mich bislang nicht bewegt, aber nun sollte ich mich solangsam von hier befreien. Ich versuchte also meinen Oberkörper so weit hochzukriegen, dass ich an meinen Fuß kam, aber mir fehlten eindeutig die Bauchmuskeln. Ich fiel wieder runter wie ein Lappen.
Also musste ich entweder warten bis mich jemand fand oder den Ast zum Brechen kriegen. Ich fing an rum zu zappeln, um mich loszumachen, aber durch das Rascheln fielen kleine Tierchen und Insekte aus den Blättern und da ich auch diese Viecher scheute, ließ ich es sein. Also bedeutete das für mich warten. Und zwar lange. Meine Eltern meinten es ernst als sie sagten "wir wollen dich heute nicht sehen".
Mein ganzes Blut lief mir in den Kopf und mit der Zeit spürte ich immer mehr Druck auf meinen Kopf. Das konnte nicht so weitergehen, ich hatte zwar hier kein Zeitgefühl, aber das könnte noch Stunden so weiter gehen. Ich versuchte also wieder mein Bein los zu machen. Warum konnte der verdammte Ast nicht so schnell brechen wie der andere vorher? Ich machte ruckartige Bewegungen und einmal kam ich sogar fast bis an meinen Fuß. Mit der Zeit wurde mir aber durch diesen plötzlichen Wechsel schwindelig. Oh, nein jetzt bloß nicht wegdriften. Ich sammelte meine ganze Kraft und mit großem Schwung kam ich an meinen Fuß und zog an dem Stoff. Das letzte was ich mitbekam bevor ich bewusstlos wurde, war wie meine Jeans ein reißendes Geräusch von sich gab und ich mich kurz darauf für einen kleinen Augenblick schwerelos fühlte.
Dann wurde alles furchtbar hell und grell und auf einmal war alles schwarz.
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𝐖𝐎𝐋𝐅.
FanfictionScheiße, ich saß in der Falle. Für den Wolf war das anscheinend optimal, denn er trat aus seinem Mantel aus tiefschwarzen Schatten und näherte sich mir so sehr, dass mir das Mondlicht erlaubte ihn genauer zu betrachten. Sein Fell schimmerte in einem...