Eine Frage der Perspektive

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„An dem Abend hatten wir richtig guten Sex...", überlegte Uli laut.
Irritiert sah ich sie an. Erschrocken erwiderte sie meine Blick, als hätte sie das unbeabsichtigt laut ausgesprochen. Sie stammelte den Anfang eine Entschuldigung, dann hatte sie sich wieder gefasst.
„Du hast mich angelogen! Du warst gar nicht arbeiten! Ihr habt euch volllaufen lassen!", schimpfte sie sofort, um ihren herausgeplatzten Satz zu überspielen.
„Das hab ich dir doch dann auch erzählt. Man, ich hab mich doch schon entschuldigt! Darum geht's doch jetzt auch gar nicht!", feuerte ich zurück.

Dass sie sich nie auf das Wesentliche konzentrieren kann! Immer muss sie ablenken, um einen Vorteil zu erhalten.

„Dann erzähl doch jetzt endlich mal, was es mit dieser Miriam auf sich hat!", fuhr Uli mich an. „Ich will schließlich nicht ewig dir in dieser staubigen Kammer stehen!"
Ich schluckte meinen angepissten Kommentar herunter und blickte angespannt in ihr genervtes Gesicht.
„Du weißt ja, dass wir dann öfter zusammen um die Häuser gezogen sind, damit Smudo irgendwann seiner großen Liebe über den Weg läuft. Und der Plan ist ja anscheinend auch aufgegangen, der Kerl hat total die rosarote Brille auf der Nase...", erzählte ich weiter.

Uli hat mich sogar unterstützt dabei, dass ich Smudo helfe, wieder auf die Beine zu kommen. Sie hatte Verständnis dafür, dass er mit mir als Wingman viel bessere Chancen hat. Und dann ist sie mir plötzlich in den Rücken gefallen und hat sich beschwert, dass ich nie da wäre! Sie hat mir vorgeworfen, dass ich sie betrügen würde. Ich hab ihr zwar erklärt, dass der Lippenstift absichtlich an meinem Kragen war, damit Smudo so tun konnte, als wäre er eine ehrliche Haut und dass er es nicht erträgt, wenn sein bester Freund seine Frau betrügt. Die Masche war so verdammt gut. Die Frauen sind alle auf seine Moralpredigten, die er mir gehalten hat, reingefallen. Alle, ohne Ausnahme. Ich konnte mich dann vom Acker machen und er hat die heiße Nacht mit den Ladys verbracht. Aber Madame hat natürlich nur das gehört, was sie hören wollte. Smudo war derjenige, der den Lippenstift-Kussmund auf mein Hemd befördert hat, keine andere Frau! War schon sehr lustig, wie er versucht hat, das Zeug danach wieder von seinen Lippen abzubekommen...

„Jedenfalls war Smudo wieder oben auf, seit er Erfolg bei den Frauen hatte. Aber irgendwann haben ihm die schnellen Nummern auf dem Klo oder in einem billigen Hotelzimmer nicht mehr gereicht. Er hat angefangen, sich ernsthaft mit den Ladys zu unterhalten. Stell dir vor, wie grauenhaft langweilig das war!", fuhr ich mit meinen Erzählungen fort.
Uli rollte mit den Augen.
„Ach, nur weil deine blöden Pläne nicht mehr aufgegangen sind? Du bist einfach ein wahnsinnig schlechter Verlierer, Michi!", kommentierte Uli ungefragt.
In mir brodelte es bereits, weil sie mich ständig unterbrach und sich auf völlig belanglose Dinge stürzte. Kein Wunder, dass ich nicht zum Punkt kam, sie ließ mich einfach nicht!

„Ich hab dann nur noch versucht, ihn von ganz üblen Fängen abzuhalten. So wie bei Miriam. Sie hatte uns erkannt als Michi und Smudo und hat Smudo so viel Honig ums Maul geschmiert, dass er gar nicht mehr wusste, wo ihm der Kopf steht. Sie ist das totale Fangirl, die ihre Chance gesehen hat, mal mit Smudo zu poppen und vor ihren Freundinnen mit ihm anzugeben. Ich hab alles versucht, hab Smudo blöd dastehen lassen mit peinlichen Kindergeschichten, hab von seinen schlimmsten Marotten erzählt und dass er nachts ganz laut schnarchen würde. Macht er zwar gar nicht, aber... Jedenfalls hab ich nichts unversucht gelassen! Ich könnte mir in den Arsch beißen, dass ich sie ihm - als Wingman - vorgestellt habe. Sie ist mit ihm nach Hause gefahren. Nach Hause, Uli! Kein Hotelzimmer, wo man sich schnell aus dem Staub machen kann, nein. Zu. Sich. Nach. Hause!", erklärte ich und betonte jedes einzelne Wort des letzten Satzes zusätzlich mit meinen Händen.

Uli sah mich völlig unbeeindruckt an.
„Ja, wenn er sie eben toll findet? Und was ernsthaftes draus machen will? Vielleicht ist er wirklich verliebt in Miriam! Warum gönnst du ihm sein Glück nicht?", fragte Uli.
„Glück?", wiederholte ich ungläubig, „Glück nennst du das? Die nutzt ihn doch nur aus! Die will gar nichts von ihm als Person, sie will nur Smudo, den Promi und selbst ins Rampenlicht!"
„Ach und du kannst das einschätzen, ja? Nur, weil sie dir nicht passt?", warf Uli ein.
„Er hat was besseres verdient als die olle Tussi!", rief ich aufgebracht.
Uli platzte der Kragen: „Das ist doch nicht deine Entscheidung! Michi, es geht nicht immer nur darum, was du für richtig hältst! Smudo ist 51, das kann..."
„Er ist nicht ganz bei Sinnen!", fiel ich ihr ins Wort und schlug mit beiden Fäusten auf die Wand links und rechts von Ulis Kopf.

Mit weit aufgerissenen Augen sah sie mich an. Uns trennten nur wenige Zentimeter voneinander. Ich war genauso erschrocken von meiner Aktion, wie Uli aussah. Es war außerdem Monate her, dass wir uns so nah gewesen waren wie heute bereits mehrfach. Wir musterten uns gegenseitig. Ulis Gesichtsausdruck wechselte von Angst zu Wut. Sie öffnete den Mund - und schloss ihn wieder. Sie schloss außerdem kurz ihre Augen. Ich war wie erstarrt.

Ich will sie doch gar nicht anschreien. Ich... Scheiße man, wieso bringt sie mich nur immer so auf die Palme??

„Uli, ich... es...", stammelte ich. Zögerlich hob sie einen Arm und griff nach meinem Handgelenk.
„Überleg dir, wer hier nicht ganz bei Sinnen ist", sagte sie. Sie klang ruhig, aber resigniert. Kopfschüttelnd zog sie meinen Arm nach unten, um sich den Weg zur Tür freizumachen. Ich schüttelte ebenfalls schnell den Kopf, um mich aus meiner Starre zu lösen. Dann drehte ich meine Hand und hielt Uli so an ihrer Hand fest.
„Entschuldige bitte, Uli", sagte ich niedergeschlagen. Sie drehte sich noch einmal um. Sie sah enttäuscht aus.
„Spar's dir."

So ließ sie mich stehen und entfernte sich zusehends von mir. Ich kannte sie so gut, dass ich sogar ihrem Gang ansah, dass sie wütend war.

Dabei hab ich ihr nicht mal gesagt, dass ich ihre Hilfe brauche, Smudo von Miriam abzubringen!

Wütend auf mich selbst und auf Uli ließ ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Missmutig ging ich in die Richtung, aus der die meisten Stimmen und außerdem Musik kamen. Mir war viel zu warm, weshalb ich das Sakko kurzerhand auszog und mir über die Schulter warf. Ich ließ meinen Blick über die Gäste schweifen.
„Da bist du ja wieder!", ertönte eine fröhliche Stimme neben mir.

Na der hat mir jetzt gerade noch gefehlt.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt