Nicht zu fassen

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Meine Laune hob sich im Laufe des Abends nicht mehr wirklich. Mit zunehmender Getränkezahl, die wir konsumierten und die Smudo mehr zu schaffen machten als mir, erfuhr ich einige Dinge von ihm.
So hatte ihm diese weibliche Ausgeburt der Hölle, die sich Smudos Freundin schimpfte, gedroht, dass sie ihn wieder verlassen würde, wenn er heimlich Kontakt zu jemandem aufnahm. Was sie machte, war aus meiner Sicht reiner Psychoterror. Smudos Selbstwertgefühl musste irgendwo unterhalb des Kellers liegen. Es kostete ihn einiges an Überwindung und guten Zuredens meinerseits, mir überhaupt etwas von ihr zu erzählen. Sämtliche notwendigen Anrufe hatte er von ihrem Handy aus zu erledigen. Sie las seine Mails, kontrollierte seine Nachrichten, kurzum: sie kontrollierte alles. Sie hatte ihm sogar Alkohol verboten und das schon eine ganze Weile, was Smudos dürftige Trinkfestigkeit erklärte. Und weil sie eifersüchtig auf mich war, weil ich Smudo so oft angerufen hatte, hatte sie Smudo auch den Kontakt zur Band vorübergehend untersagt.

Ich war vollkommen baff, als ich das alles erfuhr.
„Hast du eigentlich eine Macke?", fragte ich ungläubig. „Warum lässt du das mit dir machen, Smudo? Warum? Schieß die wieder ab! Sofort! Das ist doch krank, was die macht! Das hat nichts mit Vertrauen zu tun, gar nichts!! Und das hast du nicht verdient, man!"
„Aber ich liebe..."
„Ach, erzähl' mir keine Märchen, Smudo. Wenn das Liebe ist, dann gute Nacht!"
Smudo war mittlerweile wirklich gut dabei. Vielleicht lockerte das seine Zunge.
„Vielleicht hast du Recht...", murmelte er zögerlich. Es wirkte wie ein Geständnis vor ihm selbst.
„Ach? Wirklich? Ich habe Recht? Natürlich habe ich Recht! Was willst du dann mit der? Warum tust du dir das an?", verlangte ich zu erfahren.
Smudo druckste herum. Doch dann fand er Worte.
„Ich dachte wirklich, ich liebe sie. Sie ist hübsch, jung und sie war am Anfang wirklich lieb zu mir. Sie hat mir Honig ums Maul geschmiert und ich habe es genossen... Ich war nicht mehr allein und wir haben uns anfangs gegenseitig auf Händen getragen. Ich habe diese... rosarote Brille abgesetzt, als wir zwischenzeitlich getrennt waren." Er seufzte. „Und seitdem ist sie auch ganz anders. Sie nervt mich. Jeden Tag. Und ich weiß auch, dass das nicht ganz okay ist, was sie da veranstaltet. Aber du und ich... wir haben so viel Energie da reingesteckt, dass sie und ich wieder zusammenkommen, dass ich dann nicht den Schwanz einziehen wollte. Jetzt habe ich sie eben wieder an der Backe. Aber wenigstens bin ich nicht allein. Ich hasse es, allein zu sein. Und ich finde doch sonst niemanden mehr", murmelte er in sein Glas, das leer vor ihm stand.

Mir stand im wahrsten Sinne des Wortes der Mund offen.
„Sag mir, dass das nicht dein Ernst ist."
„Es tut mir leid, Michi..."
Ich konnte nicht anders.
„Ich glaube das nicht. Ey, ehrlich, Smudo! Ich reiß' mir den Arsch auf für dich, dass du wieder eine Frau findest, dann dass ihr wieder zusammen kommt - und glaube ja nicht, dass ich es dir nicht übel nehme, was du zu meinem Candlelight-Dinner-Date gesagt hast - und du meckerst mich einfach permanent voll. Ob das bei der Hochzeit war, wegen Uli oder wegen dem Date. Immer hab' ich am Ende die Arschkarte! Und du ignorierst mich, wochenlang! Ohne einen einzigen Ton!"
Es war mir scheißegal, ob ich vielleicht sogar so laut geworden war, dass ich die Musik übertönen könnte, dieser Ärger musste aus mir raus.
„Und jetzt schiebst du mir die Schuld in die Schuhe, dass du unglücklich bist??"
Smudo schaute weiter in sein Glas, er war vollkommen erstarrt.
„Was habe ich denn davon, wenn du mit diesem Monster zusammen bist?? Nichts, Smudo! Nichts! Ich habe dich doch nicht aus Spaß jeden Tag angerufen und dir geschrieben! Ich hab' mir Sorgen um dich gemacht! Und du hast mir gefehlt, verdammt nochmal! Und jetzt sagst du mir auch noch, dass du SIE und das ganze Elend MIR vorziehst?"
Smudo rührte sich immer noch nicht.
„Schau mich an, Smudo."
Er reagierte nicht.
„Ich hab gesagt, du sollst mir in die Augen sehen!", fuhr ich ihn erbost an.
Nur sehr zögerlich kam er dieser Aufforderung an.
Als er meinen Blick erwiderte, scheuerte ich ihm eine. Ich konnte einfach nicht anders. Es tat mir schon direkt danach leid, aber er hatte die Ohrfeige mehr als verdient. Und wenn sie nur dafür sorgen würde, dass er endlich aus seinem Alptraum wachgerüttelt wurde.
„Arschloch", sagte ich und ließ ihn stehen.

Ich lief nach draußen, raus aus dem stickigen Club, der nach Schweiß und billigen Parfum roch. Weg von Smudo, der mir heute mit aller Deutlichkeit vor allem eins klargemacht hatte: Er hatte kein Interesse an mir.

Das Unwetter, das sich aus dem Nieseln mittlerweile entwickelt hatte, nahm ich schon fast dankbar zur Kenntnis, als ich zitternd vor Wut auf dem Parkplatz hinter dem Club stand. Es war arschkalt und nass, aber es war mir egal.
Ich schrie meine Wut hinaus in den Wind, der meine Worte forttrug. Weit weg von hier, vielleicht an einen besseren Ort.
„Wieso hab' ich sie ihm nur vorgestellt? Wieso?", rief ich. „Ich hab' nichts unversucht gelassen, damit sie alleine fährt, aber er ist mit ihr mitgegangen! Alles habe ich versucht! Alles!"
Ich trat gegen einen Poller, der mir im Weg stand.
Es kam mir vor, als würde der Wind mir zuhören und so schrie ich meine Gedanken heraus.
„Ich ertrag' es nicht, ihn mit ihr zu sehen! Zu wissen, dass er mit ihr zusammen ist. Mit irgendjemandem! Scheiße nochmal! Ich will mir am liebsten das Herz rausreißen!"
Meine Stimme war heiser und ich konnte nicht mehr zwischen Tränen und Regentropfen unterscheiden, die meine Wangen herunter rollten.
„Er bleibt mein bester Freund, aber ansonsten... Wieso kann es nicht einfacher sein? Wieso kann mir das nicht einfach reichen? Wie es mir über 30 Jahre gereicht hat? Wieso musste ich mich ausgerechnet in ihn verlieben?? Wieso ausgerechnet in Smudo??"
Der Poller bekam nun richtig Dresche von mir.
„Scheiße!!", brüllte ich.
Ein Donnern kam als Erwiderung.
„Scheiße", sagte ich nun leise.
Der Poller stand unnatürlich schief, weshalb ich ihn provisorisch wieder gerade rückte. Nun zitterte ich nicht mehr vor Wut, sondern weil mir wirklich kalt war. Deshalb machte ich kehrt - und erstarrte in der Bewegung.

Smudo stand in der Tür. Und seinem Gesichtsausdruck zu Folge tat er das schon länger und hatte alles gesehen. Und womöglich auch gehört.
Wohl oder übel musste ich an ihm vorbei, um meine Jacke aus dem Club zu holen.
„Michi, was... wieso... hast du das ernst gemeint?", fragte er stotternd und ungläubig, als ich vor ihm stand.
Ich warf ihm einen giftigen Blick zu.
„Halt die Fresse", war alles, was ich über meine Lippen brachte, bevor ich an ihm vorbeirauschte.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt