Und was hast du gesehen?

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„Smu... hörst du mir bitte kurz zu?"
Ein Murren kam als Antwort.
„Es tut mir leid, was du mit Miriam durchgemacht hast. Wirklich. Das hast du nicht verdient. Ich weiß nicht, wie es in dir aussieht, aber ich kann mir vorstellen, dass du noch mehr durcheinander bist als ich... Ich... Vielleicht sollten wir wirklich ein andermal darüber reden. Aber... ich will nur, dass du weißt, dass ich immer für dich da bin. Egal, was ist."
Smudo atmete tief ein und aus.
„Ich weiß, Michi...", murmelte er.
„Sie hat dir nicht gut getan, oder?", fragte ich vorsichtig.
Ich sah schemenhaft, wie Smudo den Kopf schüttelte. Er lag immer noch mit dem Rücken zu mir.
„Willst du drüber reden?"
„Nein... Ja. Doch. Du weißt ja eh schon, was sie gemacht hat. Und du hast sie sogar live erlebt... im Supermarkt. Du weißt nur nicht, was das mit mir gemacht hat", sagte er leise und unsicher.
Scheinbar steckte noch mehr dahinter, als nur der Kontrollzwang. Ich hörte zu und sagte nichts.
„Ich weiß, dass es nicht stimmt, aber... wenn dir das jemand die ganze Zeit einredet. Dann glaubst du das irgendwann selbst. Und Miriam kann sehr überzeugend sein. Ich dachte, ich habe ein Selbstbewusstsein, was dem ganzen Stand hält, aber..."
Er suchte nach Worten. Vorsichtig streckte ich den Arme nach ihm aus und streichelte langsam über seine Schulter.
„Du musst mir das nicht erzählen, wenn es nicht geht, Smu", sagte ich leise.
„Nein, ich... Puh... Sie hat gesagt, dass ich Glück habe, weil mich außer ihr doch gar keiner mehr haben will. Als ich ihr von unseren Bar-Geschichten erzählt habe, meinte sie, dass die doch nur Smudo wollten und deshalb mit mir gepennt haben. Aber, dass sich doch sonst niemand mehr für den Menschen interessiert, der ich bin. Sie hat das so oft gesagt, Michi. Und so... Es klang immer alles so wahr, was sie gesagt hat."
Er griff mit seiner Hand nach meiner und hielt sie an seiner Schulter fest, als wollte er sicher gehen, dass ich die Hand dort nicht wegnahm.
„Sie hat mir gedroht, mich zu verlassen. Bei jeder Kleinigkeit, die ihr nicht gepasst hat. Und ich war so fertig mit den Nerven, dass ich jedes Mal klein bei gegeben habe, damit sie nur ja bei mir bleibt."
Er schluckte.
„Ich... als ich dich gestern an der Kasse stehen sehen habe... Wie du mich angeschaut hast. So entsetzt. Richtig entsetzt hast du geguckt. Da wusste ich, dass es so nicht weiter geht. Dass das nicht die Lösung ist. Und je länger ich darüber nachgedacht habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass ich gar nicht mehr ich selbst war, wenn sie dabei war."
Ich rutschte ein Stück näher, da mein Arm unangenehm gestreckt war.
„Sie hat mich angeschrien. Dass ich nie wieder jemanden finden werde. Dass ich eine Frau an meiner Seite brauche. Und dass ich ohne sie ein Nichts bin."
Er schniefte und es tat mir weh, diese Worte aus seinem Mund zu hören. Das hatte niemand verdient.
„Und das Schlimme ist, dass ich das selber auch geglaubt habe. Und mir ehrlich gesagt immer noch nicht sicher bin, ob sie nicht doch Recht hat. Dass ich einsam werde. Und dass ich..."
„Shhh...", unterbrach ich ihn sanft. „Glaub sowas nicht. Du bist ein wahnsinnig toller Kerl, Smudo. Und das nicht nur, weil du Smudo von den Fantas bist. Du bist nicht Nichts, hörst du? Du bist so viel, Smu. Und das weißt du. Lass dich nicht von dem Gerede einer verrückt gewordenen Frau beeinflussen, die dich psychisch nur fertig machen will. Es ist gut, dass du sie los bist."
Smudo nickte, schniefte jedoch erneut.
„Du hast allen Grund, selbstbewusst zu sein. Es gibt so viele Menschen, die zu dir aufsehen, die
dich bewundern, die dir nur Gutes wollen. Die dir vertrauen und dich gern haben und zwar genau so, wie du bist. Lass dir von niemandem sagen, was du wert bist und was nicht, Smudo."
Ich war vollkommen geschockt von der Tragweite von Miriams Verhalten. Smudo schien wirklich am Boden zu sein und ich fragte mich, wie er das ganze heute so gut überspielt hatte.
„Das tut gut, Michi. Ich weiß, das ist armselig, aber..."
„Ist es nicht! Du bist nicht armselig. Ganz im Gegenteil. Ich würde mich um Kopf und Kragen reden, wenn ich dir erzähle, was dich alles zu etwas besonderem macht, deshalb..."
Ich räusperte mich verlegen und Smudo strich mit seiner Hand über meine.
„Aber ich will, dass du weißt, dass es richtig war, dass du dich endlich von ihr getrennt hast. Das war mutig und du hast dich durchgesetzt gegen sie. Ich bin immer da für dich. Und wenn es sein muss, fange ich doch an, alles aufzuzählen, was ich an dir so schätze. Aber dann liegen wir morgen früh immer noch wach im Bett", sagte ich und fühlte mich selbst sehr mutig dabei.
Natürlich war das kein Vergleich zu dem, was Smudo durch hatte, aber für mich war es mutig.
„Du bist mir sehr wichtig, merk' dir das... Und dass ich dich nie so schrecklich behandeln würde wie sie. Niemals, Smu."
Ich hörte keine Antwort, doch Smudos Körper bebte auffällig. So konnte ich ihn einfach nicht liegen lassen.
„Wenn ich das lassen soll, sag es einfach, ja?", wisperte ich, bevor ich seine Decke ein Stück anhob und mich mit darunter legte.
Zögerlich legte ich meinen Arm um Smudo, als kein Protest von ihm kam. Er lag trotz dem, dass er mit den Tränen zu kämpfen schien, immer noch merkwürdig steif da und ich war schon fast im Begriff, meinen Arm wieder wegzuziehen, als Smudo näher an mich heranrutschte und meinen Arm festhielt. Sein nackter Rücken schmiegte sich an meine nackte Brust und das fühlte sich einfach verdammt gut an. Ich lächelte und mein Herzschlag ging schneller.
„Halt mich fest, Michi", sagte er leise und mit erstickter Stimme.
„Immer."
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich Smudos Haltung wieder etwas entspannte.
„Danke", flüsterte er und streichelte über meinen Arm.
Ich war ihm so nah in diesem Moment und das nicht nur körperlich. Er hatte mir von seinen schlimmen Erlebnissen erzählt, sich mir geöffnet und darauf vertraut, dass ich ihn auffing und ihm den Halt gab, den er gerade dringend nötig hatte. Ich war seltsam froh, dass ich das Thema angesprochen hatte, da es uns näher zueinander gebracht hatte. Dass es Smudo geholfen zu haben schien, diese Erlebnisse ein wenig zu verarbeiten, war ein gutes Gefühl.
„Schlaf gut."
Smudo drückte meine Hand, die er gefasst hielt.
„Du auch."

Wirre Träume hatten mich durch die Nacht begleitet. Smudo war ständig darin aufgetaucht. Seine Augen hatten im schönsten Blau gestrahlt. Der Tag mit ihm schien mich so aufgewühlt zu haben, dass er mich auch im Schlaf nicht losgelassen hatte.
Nun schien mich die Morgensonne ins Gesicht und ich versuchte, die Helligkeit noch zu ignorieren, um noch ein wenig länger mit Smudo im Bett liegen zu können.

Smudo... Ob er schon wach ist? Nur mal kurz schauen, ob er noch neben mir liegt...

Ich blinzelte vorsichtig – und dann konnte ich nicht verhindern, dass sich meine Mundwinkel anhoben.
„Na guten Morgen", nuschelte ich Smudo zu, der den Kopf auf seine Hand gestützt hatte und mich beobachtet haben musste.
Er räusperte sich und wirkte peinlich berührt, dass ich das mitbekommen hatte.
„Morgen", murmelte er und kratzte sich verlegen am Kinn.
Meine Augen wollten noch nicht so richtig aufgehen, weshalb ich sie mir kurz rieb und dann mit Erfolg versuchte, sie länger offen zu halten. Smudo wollte sich von mir wegdrehen, doch ich hielt ihn an seinem Arm fest. Dadurch kam er allerdings mit dem anderen Arm, mit dem er sich aufgestützt hatte, aus dem Gleichgewicht und konnte gerade noch so verhindern, dass er direkt auf mich drauf fiel.

So nah waren wir uns noch nie gewesen. Wenige Zentimeter trennten unsere Köpfe voneinander. Das Blau seiner Augen war noch intensiver, als es in meinem Traum gewesen war.
„Und was hast du gesehen, als du mich beobachtet hast?", wisperte ich.
Ich spürte Smudos Atem auf meiner Haut, spürte die Wärme, die sein Körper abstrahlte. Aus einem Impuls heraus legte ich meine Hand an seinen Nacken und fuhr mit meinen Fingerspitzen federleicht darüber.
„Den wichtigsten Menschen in meinem Leben", flüsterte Smudo zurück und fuhr nun seinerseits mit seinem Daumen über meine Wange.
Sein Blick war so voller Zuneigung, Wärme und Ehrlichkeit, dass ich all meine Bedenken über Bord warf. Seine Lippen waren meinen bereits so nah, dass es ein leichtes für mich gewesen wäre, ihn einfach zu küssen. Ich hatte den Gedanken gerade zu Ende gedacht, als Smudo seine Augen schloss und die letzten Zentimeter zwischen uns überbrückte.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt